Ohne Pflegefachkräfte keine Pflegequalität
Welchen Einfluss nehmen Pflegefachkräfte auf die Pflegequalität? Worin äußert sich die Kompetenz einer Pflegefachkraft? Welche Zusammenhänge zeigen sich hier zum Fachkräftemangel? Diese Fragen stehen im Mittelpunkt eines seit dem Jahr 2018 laufenden Forschungsprojekts mit dem Titel "Innovationen zur Förderung der Pflegequalität bei variierender Fachkraftquote (InQuaFa)". Organisatorin der Studie ist die Bethesda-St. Martin gemeinnützige GmbH Boppard in Zusammenarbeit mit der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar (PTHV).1
Im Projekt "InQuaFa" soll der Einfluss von unterschiedlich qualifizierten Pflegekräften auf die Pflegequalität dargestellt werden. Bislang fehlte in der Pflege ein Modell, das die individuellen Unterschiede in den Pflegeabläufen systematisch und standardisierbar abbilden kann. Eine solche Darstellung ist jedoch notwendig, um verschiedene Niveaus, auf denen gepflegt wird, aufzeigen zu können. Deshalb wird ein innovatives Modell erarbeitet, mit dessen Hilfe Kriterien beschrieben werden, die eine gute Pflegekraft im Optimalfall bei der Unterscheidung von Pflegebedürftigen aufeinander bezieht. Um dieses Modell zu entwickeln, wurde der Zusammenhang zwischen der Differenzierung von Pflegebedürftigkeit, der erreichten Pflegequalität und der Ausstattung mit Pflegefachkräften untersucht und der Einfluss von unterschiedlich qualifizierten Pflegekräften miteinander verglichen. Dabei wurden auch Erkenntnisse gewonnen, wie dem bestehenden und in der Zukunft sich immer mehr verschärfenden Fachkräftemangel begegnet werden kann. Kurz zusammengefasst geht es dabei um eine Stärkung der fachlichen Perspektive von Pflegefachkräften.
Die Querschnittstudie nutzt die Daten einer Gelegenheitsstichprobe von 208 Bewohner(inne)n in vier Pflegeheimen aus neun Wohnbereichen in Rheinland-Pfalz aus dem Jahr 2019. Circa 60 Pflegeschüler(innen) haben die Pflege- und Betreuungszeiten über 48 Stunden hinweg erfasst. Daneben wurden Bewohnervariablen (zum Beispiel Alter, Geschlecht, Diagnosen, freiheitsentziehende Maßnahmen, ungewollter Gewichtsverlust, Stürze) und Organisationsvariablen (zum Beispiel Platzzahl, Größe, Lage, Träger, Konzept) von Mitarbeitenden der Einrichtungen erhoben.
Für 13 Bewohner(innen) aus jeder Einrichtung konnten jeweils fünf Fach- und fünf Hilfskräfte pro Einrichtung angeben, in welcher Hinsicht sich bestimmte Bewohner(innen) ähnlich oder eher unähnlich sind. Die gleichen 13 Bewohner(innen) wurden in jeder Einrichtung anhand von Kriterien durch die Wohnbereichsleitung und/oder Pflegedienstleitung eingeschätzt. Ein umfassendes Schulungsprogramm und ein Informations- und Datenschutzkonzept stellten sicher, dass die Interessen der beteiligten Pflegebedürftigen gewahrt wurden.
Pflegegrade: kein Kriterium für den Einsatz von Fachkräften
Die Ergebnisse zeigen, dass der Einsatz von Pflegefachkräften kaum durch die Pflegegrade (PG) erklärt wird. Nur zehn Prozent der Unterschiede bei der eingesetzten Pflegefachkraftzeit lassen sich auf die Pflegegrade zurückführen, 90 Prozent der Unterschiede beim Einsatz von Pflegefachkraftzeit lassen sich also nicht mit den Kriterien der Pflegegrade erklären. Die Berechnung der Pflegefachkraftquote kann deshalb keine vergleichbare Ausstattung mit Pflegefachkraftzeit zwischen verschiedenen stationären Langzeitpflegeeinrichtungen sicherstellen, weil auch sie auf den wenig aussagekräftigen Pflegegraden beruht. Die tatsächliche Ausstattung mit Pflegefachkraftzeit variiert auch bei vergleichbarer Fachkraftquote sehr stark.
Qualität setzt sinnvolle Handlungskonzepte voraus
Geht man weg von den Pflegegraden, so zeigt sich, dass das Niveau der Differenzierung von Pflegebedürftigkeit tendenziell bei Pflegefachkräften höher ist als bei Hilfskräften. Sinkt der Anteil der Pflegefachkraftstellen, nimmt auch die Komplexität in der Unterscheidung von Bewohner(inne)n ab. Dies kann insbesondere bei Hilfskräften so weit gehen, dass Patient(inn) en zum Beispiel von einzelnen Hilfskräften nur noch in zwei Gruppen unterteilt werden. Hier kann dann beispielsweise eine Unterscheidung ausschließlich nach Pflegeaufwand dominieren.
Expertise steht für Qualität
Pflegefachkräfte sind dagegen in der Lage, sehr komplexe, mehrdimensionale Systeme in der Unterscheidung von Bewohner(inne)n konsequent anzuwenden. Sie berücksichtigen neben dem Grad der Selbstständigkeit auch die durch unterschiedliche Sorgeerfordernisse notwendigen Interaktionen und können dabei die Formen von Pflege variieren. Komplexer dfferenzierende Pflegefachkräfte sind also verstärkt dort im Einsatz, wo auch Pflege komplexer wird, zum Beispiel weil diese nicht in Übereinstimmung mit dem/der Bewohner(in) erfolgen kann.
Diese Unterschiede in der Differenzierung von Pflegebedürftigen führen in besser ausgestatteten Einrichtungen dazu, dass Pflegefachkräfte zum Beispiel ihre Expertise verstärkt auch bei anspruchsvolleren Bewohner(inne)n einbringen können. In mit Pflegefachkräften schlechter ausgestatteten Einrichtungen ist dies nicht der Fall.
Mehr Zeit für Leistungen muss nicht automatisch mehr Qualität bedeuten
In der Konsequenz kann Personalausstattung nicht festgelegt werden, ohne darzulegen, auf welchen Niveaus Pflege denn stattfinden soll. Mehr Zeit für Leistungen muss dabei nicht automatisch mehr Qualität bedeuten; vielmehr setzt Qualität sinnvolle Handlungskonzepte und damit Fachlichkeit voraus. Mehr Fachkraftzeit führt auch nicht automatisch zu höheren Zeitbedarfen bei den Pflegebedürftigen, sondern kann bei anspruchsvollen Bewohner(inne)n sogar eine Reduktion von Pflegeaufwand bewirken.
Zeigen, was die Fachlichkeit ausmacht
Die aktuellen Systeme der Personalbemessung und die Pflegegrade zur Differenzierung von Pflegebedürftigkeit können den qualifizierten fachlichen Input von Pflegefachkräften nicht darstellen. Dafür wird "InQuaFa" eine Alternative anbieten. Wenn Fachkräfte nicht mehr zeigen können, was ihre Fachlichkeit ausmacht, dann werden sie auch nicht mehr darin unterstützt, das zu tun, was sie gelernt haben. Hier wird ein Modell, das das kann, dabei helfen, die guten Fachkräfte zu stärken, und damit auch den Beruf wieder attraktiver machen. Ein auf einzelnen Leistungen basierendes System kann dies nicht erreichen, weil sich Fachlichkeit erst in komplexen Verbindungen darstellen lässt, die nicht mit der Addition von einzelnen Kriterien operieren. Errechnen lässt sich ein Bedarf deshalb auch nicht aus einem System, das auf Einzelleistungen basiert. Ein solches Prinzip der Personalbemessung wäre - nach den Pflegegraden und den Ergebnisindikatoren - nur ein weiteres Instrument zur fachfremden Deckelung der Pflege: Pflege wird dadurch nicht befähigt, ihr Handeln besser erklären und begründen zu können, sondern wieder nur normativ auf externe Vorgaben festgelegt. Soll dem Fachkräftemangel wirksam begegnet werden, so muss die Fachlichkeit der Pfleger(innen) wieder mehr Bedeutung erlangen. Deshalb wäre eine sinnvolle Alternative, sich für ein Personalbemessungssystem zu entscheiden, das sich an der Präsenz von unterschiedlich qualifizierten Kräften pro Platz orientiert. Dass einzelne Hilfskräfte ähnlich komplex differenzieren können wie Fachkräfte, und einzelne Fachkräfte weniger komplex differenzieren als Hilfskräfte, ändert nichts an dem generell höheren Niveau der Fachkräfte. Es zeigt aber auch, welch hohe Verantwortung der einzelnen Pflegekraft zukommt.
Anmerkung
1. Gefördert wird das Projekt durch das Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie des Landes Rheinland-Pfalz. Die Bethesda-St. Martin gemeinnützige GmbH stellt die Restfinanzierung des Projektes über Eigenmittel sicher. Das Projekt läuft noch bis Dezember 2020.
Neue Regeln reichen nicht aus
Strategische Personalgewinnung bringt`s
Wir haben keinen Fachkräftemangel
Licht und Schatten eines Gesetzes
Geflüchtete Menschen mit Behinderung
Hilfen zur Krisenbewältigung
Hinterlassen Sie einen Kommentar zum Thema
Danke für Ihren Kommentar!
Ups...
Ein Fehler ist aufgetreten. Bitte laden Sie die Seite erneut und wiederholen Sie den Vorgang.
{{Reply.Name}} antwortet
{{Reply.Text}}