Licht und Schatten eines Gesetzes
Das Ziel der Gesetzesinitiative war, in der Prostitution Tätige besser zu schützen, die Szene durch das Schaffen eines Hellfeldes kontrollierbarer zu machen und besonders gefährliche Erscheinungsformen der Prostitution zu verhindern. Mit dem Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG) sollten auch Menschenhandel und Zwangsprostitution bekämpft werden, wobei klar war, dass hierzu weitere gesetzliche Regelungen erforderlich sind, die über das ProstSchG hinausgehen. In der damaligen Gesetzesdebatte wurde innerhalb des Sozialdienstes katholischer Frauen (SkF) breit und kontrovers diskutiert. Aus den Beratungsstellen für Prostituierte gab es große Zweifel, ob die Ziele mit dem damals vorliegen den Gesetzentwurf erreicht werden können. Besonders groß waren die Bedenken, dass die Anmeldepflicht viele Frauen, vor allem die besonders vulnerablen, wie Frauen ohne oder mit mangelnder Schulbildung sowie Sprachbarrieren, in das Dunkelfeld drängt oder sie noch schärfer kriminalisiert.
Ziel des Berichts war, die Gegebenheiten wertneutral zu rekonstruieren
Die mit der Anmeldepflicht verbundene Gesundheitsberatung lehnten fast alle Beratungsstellen ab. Die höheren Auflagen zum Betrieb der Prostitutionsstätten wurden relativ positiv bewertet. Schon lange hatten Beratungsstellen und Ordnungsbehörden gefordert, dass nur höhere Auflagen dazu führen könnten, Schutz und Sicherheit der Prostituierten besser zu kontrollieren. Vor diesem Hintergrund unterstützte der SkF-Gesamtverein die damalige Kompromisslösung, weil zu befürchten stand, dass es andernfalls keine weitergehenden Regelungen geben würde, was als die schlechteste Möglichkeit eingeordnet wurde.
Das beschlossene ProstSchG umfasst unter anderem die Einführung einer Anmeldepflicht für Prostituierte, verbunden mit einer verpflichtenden Gesundheitsberatung, Auflagen für Betreibende und den Betrieb von Prostitutionsstätten sowie ein Werbeverbot und eine Kondompflicht. Das Gesetz sieht fünf Jahre nach Inkrafttreten (2022) eine Evaluation vor, die im Jahr 2025 vorgelegt werden soll. Bereits im Jahr 2019 entbrannten Diskussionen über die Sinnhaftigkeit des Gesetzes und die Einführung anderer Modelle. Das liegt auch daran, dass die Datenlage im Feld der Prostitution seit jeher dramatisch gering ist. Für eine abschließende Bewertung der Auswirkungen des ProstSchG und der damit verbundenen Frage, wie es mit den gesetzlichen Regelungen weitergehen soll, muss aus Sicht des SkF dringend die Gesamtevaluation abgewartet werden. Dennoch ist es sinnvoll, das Feld zu beobachten und erste Schlüsse zu ziehen.
Die Mitarbeiterinnen haben engen Szene-Kontakt
Daher ist es sehr erfreulich, dass die Beratungsstelle "Kober" des SkF Dortmund mit Unterstützung des Landes Nordrhein-Westfalen (NRW) im Jahr 2019 einen qualitativen Bericht über die Auswirkungen des ProstSchG auf die Prostitutionsszene in NRW erstellt hat. Im Fokus des Berichtes standen die weiblichen Sexarbeiterinnen, die ein Jahr lang vom Team der Beratungsstelle intensiv begleitet und analysiert wurden.
Das Forschungsprojekt sowie der anschließend formulierte Bericht waren möglich, weil die Mitarbeiterinnen der Beratungsstelle seit vielen Jahren durch aufsuchende Arbeit in der Szene in ganz NRW aktiv sind und etwa durch Verbreitung der "Lola"-App (eine Informationsplattform für Sexarbeiterinnen) in engem Kontakt mit den Szeneteilnehmer(inne)n stehen.
Das Ziel des Berichtes war, die Gegebenheiten innerhalb der Szene im Jahr 2018 möglichst wertneutral zu rekonstruieren. Um diesem Ziel möglichst nahezukommen, orientierte man sich methodisch am Forschungsansatz der lebensweltanalytischen Ethnographie von Anne Honer (1993). Durch beobachtende Teilnahme und teilnehmende Beobachtungen ermöglichte die Methode, in dem sehr sensiblen und vorurteilsbehafteten Feld der Sexarbeit solide Eindrücke zu erheben. Im Anschluss an die Erhebungsphase wurden das bestehende Datenmaterial analysiert und die Ergebnisse in einem detaillierten Bericht zusammengefasst.1 Es wurden positive wie negative Auswirkungen festgestellt und Ansätze zur Verbesserung des Gesetzes erkannt.
Sexarbeiterinnen müssen sich beraten lassen
Seit Inkrafttreten des ProstSchG sind Sexarbeiter(innen) verpflichtet, sich persönlich bei der zuständigen Ordnungsbehörde als solche anzumelden. Die Anmeldung wird anschließend an das zuständige Finanzamt weitergegeben. Bereits beim Anmelden wird ein Beratungsgespräch geführt. Verpflichtend ist zudem die Teilnahme an der Gesundheitsberatung. Ziel der Meldung ist, zu erfassen, wie viele Menschen in Deutschland der Sexarbeit nachgehen. Ferner sollen die allgemeine Beratung sowie die Gesundheitsberatung Sexarbeiter(innen) über ihre Rechte und Pflichten besser aufklären. Die Beratung soll unter anderem gegen Zwangsprostitution wirken, da Behörden unverzüglich schützende Maßnahmen zu veranlassen haben, sollten sie eine Zwangslage, Hilflosigkeit oder Ausnutzung beobachten. Zudem wird durch die Anmeldungen sichergestellt, dass die selbstständig Tätigen im sexuellen Dienstleistungsgewerbe Steuern abführen.
Allerdings haben sich zum Jahresende 2018 erst 32.800 Prostituierte im Bundesgebiet angemeldet. Mit hoher Wahrscheinlichkeit entspricht dies nur einem Bruchteil der tatsächlich in diesem Bereich Tätigen. In der Erhebung des SkF Dortmund ergeben sich Hinweise auf mögliche Gründe für die geringen Anmeldezahlen. Prostitution ist weiterhin stigmatisiert und in vielen Heimatländern der in Deutschland tätigen Prostituierten gänzlich verboten. Viele Bemühungen, die Frauen zur Anmeldung zu überzeugen, liefen daher ins Leere. Weitere Gründe können unter anderem sein, dass Prostituierte sich durch die behördliche Anmeldung, bei der ein Dokument mit persönlichen Daten und Foto ausgestellt wird, ausgeliefert fühlen. Das Dokument ist mit sich zu führen, wann immer die entsprechende Arbeit ausgeführt wird. Bei all jenen, die ihre Tätigkeit nicht preisgeben wollen oder können, ist die Angst groß, dass dieses Dokument in falsche Hände gerät. Einige Sexarbeiter(innen) empfinden das Mitführen eines Papiers, dass sie als Prostituierte deklariert, als Stigmatisierung.
Auflagen für Prostitutionsstätten sollen schützen
Das Führen eines Prostitutionsbetriebes verlangt, ein Betriebskonzept bei der zuständigen Ordnungsbehörde einzureichen. Dieses umfasst unter anderem Angaben über die bauliche Gestaltung, Notruf- und Notfallsysteme und verlangt separate sanitäre Anlagen sowie eine räumliche Trennung zwischen dem Arbeitsbereich, dem Freizeit- beziehungsweise Pausenbereich innerhalb des Betriebes. Fehlen entsprechende Merkmale, behalten sich die Behörden vor, das Unternehmen zu schließen.
Das Ziel dieser Regelung ist, einen gewissen Arbeitsschutz für Sexarbeiter(innen) einzuführen und zu gewährleisten, zwischen beruflicher Zeit, Pausen- und Erholungszeiten sowie Freizeit trennen zu können. Bis zur Einführung des Gesetzes gab es Betriebe, in denen Sexarbeiter(innen) keine Möglichkeit zum Rückzug hatten, sondern quasi permanent mit ihrer Arbeit konfrontiert waren. Zudem kam es vor, dass die Frauen über Wochen in den Zimmern wohnten, in denen sie ihre Dienstleistungen anboten. Auflagen, die einen hygienischen Standard verlangten, gab es kaum.
Die Lebens- und Arbeitssituation vieler Sexarbeiter(innen) haben sich deutlich verbessert. Nicht wenige Betriebe mussten schließen, weil ihnen das Umsetzen dieser baulichen und konzeptionellen Vorgaben nicht möglich war.
Zu den Auflagen gehören auch das Verbot von sexuellen Dienstleistungen ohne Kondom, Flatrate-Sex oder Sex mit Schwangeren. Dies hat für viele in der Sexarbeit Tätige den Arbeitsalltag wesentlich verbessert. Wenn es auch scheint, dass eine staatliche Kontrolle hier schwer durchzuführen ist, fällt es den Frauen mit einem gesetzlichen Verbot im Rücken leichter, abzulehnen, wenn Kunden entsprechende Dienstleistungen verlangen.
Einige empfinden das Mitführen eines Papiers als Stigmatisierung
Dennoch zeigt die Erhebung des SkF Dortmund auch eine andere Seite dieser Auflagen. Die Trennung zwischen privatem Schlafplatz und Arbeitsstätte beispielsweise ist für viele Sexarbeiter(innen) nur auf den ersten Blick eine positive Veränderung. Ein hoher Anteil der in der Sexarbeit Tätigen, kommt aus dem Ausland nach Deutschland. Wohnraum zu finden ist schwierig bis unmöglich und eine eigene Wohnung stellt eine zusätzliche finanzielle Belastung dar. Viele landen nach Feierabend in der Schutzlosigkeit. Manche versuchen, bei ihren letzten Kunden unterzukommen, schlafen auf der Straße, schlagen sich die Nacht um die Ohren, bis der Betrieb am kommenden Tag wieder öffnet - nicht verwunderlich, dass besonders Frauen von Diebstählen, Vergewaltigungen und anderen Übergriffen berichten. Die Schutzlosigkeit hat sich für viele eher verlagert als verringert.
Dieses Für und Wider führt zu weiteren öffentlichen Diskussionen über gesetzliche Regelungen in der Prostitution. Ein generelles Sexkaufverbot oder die Freierbestrafung werden ebenso diskutiert wie die Forderung geringerer Reglementierungen. Die qualitative Erhebung des SkF Dortmund zeigt, dass es weiterhin darum gehen muss, einen Mittelweg zu finden.
Gesamtevaluation des Gesetzes ist der wichtige nächste Schritt
Um Ausstiege zu ermöglichen und die Prostitution insgesamt und besonders auch für Frauen einzudämmen, die keine Alternative sehen, muss es sozialpolitische Lösungen und Abkommen mit europäischen Staaten geben, die die wirtschaftliche Situation der Betroffenen deutlich verbessern. Der SkF wird weiter darauf drängen, dass die Gesamtevaluation der wichtige nächste Schritt ist und dass dann die richtigen Entscheidungen getroffen werden, um Prostituierte besser zu schützen.
Was die gesetzlichen Regelungen allesamt nicht vermochten, ist, die Nachfrage nach sexuellen Dienstleistungen zu verringern. Dies ist eine Aufgabe, die die Beratungsstellen und Fachverbände, gar ein Frauenverband wie der SkF, nicht leisten können. Es ist eine gesellschaftliche Aufgabe, an der alle, auch die Männerverbände, mitwirken müssen, dass die Nachfrage und Nutzung von Prostitution unter Inkaufnahme der teilweise desolaten physischen, psychischen und wirtschaftlichen Situation der Prostituierten keine Akzeptanz mehr findet.
Anmerkung
1. Dieser Bericht ist online verfügbar (siehe www.ksd-dortmund.de, Kurzlink: https://bit.ly/2zzatOP), und kann hier nur punktuell zur Einordnung der Thematik dargestellt werden.
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