Hospizarbeit in Familien: Vor allem die Kinder brauchen Halt
Fünf Hauptamtliche des Caritasverbandes Wuppertal/Solingen mit einem wöchentlichen Stellenumfang von 152 Stunden koordinieren die ehrenamtlichen Einsätze, schulen und betreuen die Hospizbegleiter(innen). Eine dieser Hauptamtlichen ist Ramona Raeder. Bei einem ihrer Erstbesuche öffnet eine junge Frau um die 30 die Türe. Ihr Gesicht ist vom Leid gezeichnet. Auf dem Teppich im karg eingerichteten Wohnzimmer spielen zwei kleine Mädchen, fünf und sechs Jahre alt. Ihr Papa liegt bewegungsunfähig im Bett. Der Familienvater ist an ALS erkrankt.
Die amyotrophe Lateralsklerose ist eine nicht heilbare degenerative Erkrankung des motorischen Nervensystems. Betroffene Menschen verlieren kontinuierlich Muskelsubstanz. An Armen und Beinen, am Sprech-, Kau- und Schluckapparat. Männer sind eher betroffen als Frauen. Meist entwickelt sich die Krankheit zwischen dem 50. und 70. Lebensjahr. Nisa Sch. aus Aleppo ist 42 Jahre alt.1 Er hat nur noch wenige Wochen zu leben. Seine komplette Grundpflege leistet seine Frau. Sie reicht ihm passierte Kost, lagert ihn regelmäßig, damit er nicht wundliegt, wechselt allein das Inkontinenzmaterial. Die beiden Töchter schauen zu.
Zurück im Büro organisiert die Hospizkoordinatorin das Team: In den nächsten Tagen und Wochen werden Monika Moschüring, eine ehrenamtliche Kinderhospizbegleiterin, und Sulaiman E., ein junger syrischer Ehrenamtlicher, viel Kraft und Zeit in das Schicksal der syrischen Flüchtlingsfamilie stecken, die in Wuppertal keinerlei familiären Rückhalt hat.
Ambulanter Palliativ- und Hospizdienst arbeiten zusammen
Dass Nisa Sch. und seine Familie vom Caritas-Hospizdienst begleitet wurden, hat die SAPV eingefädelt. Die Spezialisierte Ambulante Palliativversorgung ist seit der Gesundheitsreform im Jahr 2007 eine Regelleistung der gesetzlichen Krankenversicherung. Die SAPV vernetzt ärztliche und pflegerische Leistungen für austherapierte Schwerkranke, die in ihrer häuslichen Umgebung bleiben möchten, unter anderem mit Hospizdiensten und Hospizen, Therapeut(inn)en und Seelsorger(inne)n. Um die häusliche Versorgung nach seinem stationären Aufenthalt zu sichern und insbesondere das Wohl der Kinder in den Blick zu nehmen, schaltete ein Wuppertaler Krankenhaus für den Familienvater die SAPV ein. Die wandte sich an den örtlichen Caritasverband, der als einziger Dienst in der Stadt über entsprechende Kompetenzen in der hospizlichen Begleitung von Kindern und Erwachsenen verfügt.
Die Familie von Nisa Sch. ist muslimisch. Kultursensibles Verhalten und Handeln sind ein wichtiges Thema aller Hospizbegleiterkurse, die der Caritasverband Wuppertal/Solingen nach Richtlinien von Bund und Land mehrmals jährlich ausrichtet. "Wir bieten unsere hospizliche Begleitung allen Menschen an, gleich welchen Glaubens oder welcher Lebenseinstellung", sagt Heike Breitrück, Leiterin der ambulanten Caritas-Hospizdienste für Wuppertal und Solingen.
Vieles, was bei der syrischen Familie anstand, hatte allerdings gar nichts mit Glauben oder Spiritualität zu tun. Da ging es um ganz lebenspraktische Unterstützung: Beim Jobcenter musste Betreuungsgeld für die Kinder beantragt werden. Es fehlte an Kleidung, Schuhen, Spielsachen für die kleinen Mädchen. Manches fand sich in der Kleiderkammer der Caritas, manches organisierten die gut vernetzten Hospizmitarbeiter(innen). Die Kinderhospizhelferin nahm sich der beiden Kinder an, sprach mit ihnen deutsch, sorgte dafür, dass sie wieder in den Kindergarten gingen. Die Dienste von Sulaiman E. als Hospizbegleiter und Übersetzer waren unersetzbar. Er klärte Behördenangelegenheiten, vermittelte zwischen der Ehefrau und dem Vermieter und blieb bei dem Kranken, wenn die Ehefrau Termine außerhalb des Hauses wahrnehmen musste. Nach knapp drei Monaten intensivster Begleitung war der Tod ganz nahe. Die Hospizbegleiterin bereitete die Kinder behutsam auf die Sterbe- und Bestattungssituation vor, der junge Syrer half der Ehefrau, die letzten Dinge zu regeln. Und er war dem Kranken als Landsmann und Muslim in den Stunden des Abschieds nahe.
"Es war eine extreme Situation und Herausforderung", erinnert sich Monika Moschüring, die seit fünf Jahren als ehrenamtliche Hospizbegleiterin viel gesehen hat. Gemeinsam mit Sulaiman E. besuchte sie auch nach dem Tod des Familienvaters weiterhin regelmäßig Mutter und Kinder. Dann allerdings wurde die Begleitung seitens der Witwe unerwartet und ohne Nennung von Gründen eingestellt. In der Hospizabteilung vermutet man eine entsprechende Einflussnahme aus dem soziokulturellen Umfeld der Familie. Für die Ehrenamtliche war dies eine durchaus schmerzhafte Trennung, hatte sie doch zur Mutter und vor allem zu ihren Töchtern einen freundschaftlichen und vertrauensvollen Zugang gefunden und wollte die größere noch bis zur Einschulung im Sommer begleiten. Trotzdem, da ist sie sich sicher, war ihr Einsatz für die Kinder auch in der ersten Trauerphase wichtig und für ihre weitere Entwicklung hilfreich.
Die Ehrenamtlichen sind unbezahlbar wertvoll
"Während die psychosoziale Begleitung vor dem Tod der Patienten heute von den Krankenkassen gefördert wird, wird die Trauerbegleitung nicht finanziert", erläutert Heike Breitrück. Ihr großer Stab an ehrenamtlichen Frauen und Männern ist also umso mehr unbezahlbar wertvoll. 105 Ehrenamtliche sind über 5000 Stunden im Jahr für sterbende Menschen da. Dieses Potenzial erhält sich allerdings nicht von alleine. "Wir investieren viel Zeit und Kraft in die Gewinnung und Pflege unserer Ehrenamtlichen", sagt Heike Breitrück. Mindestens zweimal jährlich starten in Wuppertal und Solingen neue Hospizbegleiterkurse im Erwachsenenbereich. Die Werbung für die Kurse mit Flyern, Postkarten, Plakaten und Veröffentlichungen in Zeitungen und sozialen Netzwerken beginnt Monate vorher. Sogar dreimal jährlich bietet der Verband Kurse zur Befähigung im Kinder- und Jugendhospizbereich an. Als der Caritasverband Wuppertal (seit 2009 Wuppertal/Solingen) vor 13 Jahren seinen ambulanten Kinder- und Jugendhospizdienst an den Start brachte, kam er der Bitte des Deutschen Kinderhospizvereins nach, seine Tätigkeit auf den gesamten, damals unterversorgten bergischen/ niederbergischen Raum auszuweiten. Kursangebote gibt es deshalb auch in Haan und in Velbert. In Velbert wurden zwischenzeitlich sogar eigene Büro- und Schulungsräume eingerichtet, um für Interessierte im östlichen Kreis Mettmann die Teilnahme an den Kursen attraktiver zu machen. Möglich wurde die Einrichtung und Unterhaltung dieser Niederlassung durch großzügige Förderung des Bundesverbandes Kinderhospiz.
Nach 120 Unterrichtseinheiten einschließlich eines praktischen Einsatzes werden die neuen Hospizbegleiter(innen) feierlich entsandt und auf Wunsch auf Dauer in das Hospizteam aufgenommen. Von nun an werden sie engmaschig von den professionellen Koordinator(inn)en begleitet. Heike Breitrück: "Das beginnt mit unserem Bemühen, unter Berücksichtigung persönlicher Neigungen und Kompetenzen Klienten und Hospizbegleiter passgenau zusammenzubringen." Regelmäßige Fallbesprechungen und Fortbildungen, aber auch vermittelnde Gespräche in Konflikten stützen und stärken die Ehrenamtlichen. Auch dem Informationsfluss aus der Hospizabteilung zu den Ehrenamtlichen und dem Austausch der Ehrenamtlichen untereinander wird ein hoher Stellenwert eingeräumt. Gesellige Veranstaltungen von jahreszeitlichen Feiern über das gemeinsame Krimidinner bis zu Besinnungstagen und Unternehmungen stärken den Zusammenhalt und das Zugehörigkeitsgefühl zum Caritas-Hospizdienst.
Anmerkung
1. Die syrischen Namen sind aus Datenschutzgründen abgekürzt.
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