Gutmenschen in den Social Media
Die Caritas-Kampagne "Sei gut, Mensch!" polarisiert. Mehrere Hundert Kommentare landeten kurz nach dem Start auf den Social-Media-Profilen des Deutschen Caritasverbandes: Absolute Zustimmung oder größtmögliche Ablehnung - dazwischen gibt es kaum andere Reaktionen. Die ablehnenden Kommentare zeichnen sich durch eine diskriminierende Sprache aus: Hate Speech (Hassrede). Ein User schrieb auf Youtube zu einem Video anlässlich der Caritaskampagne 2020: "Ja, ihr seid Gutmenschen. Das bedeutet, ihr seid elende Heuchler. Umsorgt illegale Einwanderer und hängt am Tropf des deutschen Steuerzahlers. Und deutsche Rentner, die ihr Leben lang gearbeitet haben, lasst ihr verrecken. Aber ihr könnt ja behaupten, so menschlich und gut zu sein.
Den wirklichen Grund für Wut herausarbeiten
" Eine allgemein anerkannte Definition von Hate Speech gibt es (noch) nicht. Das "No Hate Speech Movement"1 beschreibt Hassrede als "sprachliche Handlungen gegen Einzelpersonen und/oder Gruppen mit dem Ziel der Abwertung oder Bedrohung aufgrund deren Zugehörigkeit zu einer benachteiligten Gruppe in der Gesellschaft. Die Person oder Gruppe muss dafür rein zahlenmäßig nicht in der Minderheit sein, andersherum sind Minderheitengruppen nicht automatisch benachteiligt." Als Beispiele für Hassrede nennt die junge Bewegung: Sexismus, (antimuslimischer) Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus, Klassismus (Diskriminierung aufgrund sozialer Herkunft), Ableismus (Diskriminierung von Menschen mit Behinderung), Homo- und Transfeindlichkeit.2 Welche Gruppen am meisten betroffen sind, hat Campact Mitte 2019 in einer Studie ermittelt3 : Menschen mit Migrationshintergrund, Politiker(innen), Muslime/Musliminnen, geflüchtete Menschen, politisch Andersdenkende, arbeitslose Menschen und Frauen. Hinzu kommen die, die sich für benachteiligte Gruppen einsetzen. Damit also auch, im Sinne der Caritas-Kampagne 2020, haupt- und ehrenamtliche Gutmenschen.
Warum Hass vermehrt in den Social Media auftritt
Als ein Grund für das Hasspotenzial sozialer Medien wird genannt, dass man dort ungehemmter kommunizieren kann. Der Mensch oder die Gruppe, die von Hatern, von Hasser(inne)n, beleidigt wird, ist nicht physisch präsent. Beide Seiten schauen einander nicht in die Augen, eine spontane, sichtbare Reaktion bleibt aus. Die Autor(inn)en des Social Media & Society Reports4 stellten darüber hinaus fest, dass Social-Media-Nutzer(innen) signifikant mehr persönlichen Stress erleben als Menschen, die sich der Nutzung von Social Media verweigern. Dieser Stress ist, so die These, "der Auslöser für aggressiven Umgang mit anderen Menschen"5 und steigert das Aggressionsniveau von Nutzer(inne)n, die hauptsächlich Nachrichteninhalte in den sozialen Medien verfolgen, um mehr als 20 Prozent.6 Facebook ist dabei der Kanal, der besonders hervorsticht. "Möglicherweise schafft Facebook", so die Erklärung dafür, "eine aggressionsfördernde Atmosphäre oder es hat sich zum Treffpunkt aggressionswilliger Menschen bzw. Schauplatz aggressiver Auseinandersetzungen entwickelt."7
Gegenstrategie 1: Nachfragen und Empathie zeigen
Was tun gegen Hasskommentare?8 Eines vorweg: Begeben Sie sich nie selbst auf das argumentative Niveau von Hasskommentator(inn) en. Damit trügen Sie dazu bei, dass die Diskussion vergiftet weiterläuft. Im Kern bestimmen Wut und Angst die Hasskommentare. Das kann beispielsweise die Angst vor neu ankommenden Flüchtlingen sein oder auch die Wut auf Wohlfahrtsverbände. Da es meist nicht um Fakten, sondern um gefühlte Wahrheiten geht, lohnt es sich, nachzufragen und Empathie zu zeigen: Warum bist du wütend? Auf welchen Fakten beruhen deine Annahmen? Solche Fragen können zum Nachdenken anregen und ein Gespräch über den tatsächlichen Grund der Wut oder Ängste initiieren. Oft verstricken sich Hasskommentator(inn)en in ihren Antworten in Widersprüche und enttarnen sich auf diese Weise vor den mitlesenden Nutzer(inne)n selbst.
Gegenstrategie 2: Verstöße klar benennen
Eine perfide Strategie von Hatern ist Victim-Blaming. Dabei wird "dem Opfer bzw. den Betroffenen […] die Schuld für die an ihnen begangenen Straftaten oder Online-Attacken zugeschrieben"9 - nach dem Motto: selbst schuld. Hierbei hilft es, dieses Vorgehen klar zu benennen und klarzustellen, wer das Opfer ist. Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass man sich auf eine Diskussion einlässt, die vom ursprünglichen Thema wegführt. Daher sollte man sich und allen Kommentator(inn)en in Erinnerung rufen, worum es eigentlich geht. Diese Art der Gegenrede hilft somit auch gegen Themen-Hopping: Dabei springen Kommentator(inn)en von einem Thema zum anderen und führen so konsequent von der eigentlichen Thematik weg, um einen anderen Schauplatz zu eröffnen. Dort haben sie dann aus ihrer Sicht leichteres argumentatives Spiel.
Zum Schluss sei zu den Gegenstrategien gesagt: Wenn Kommentator(inn)en andere persönlich beleidigen, menschenverachtende Posts veröffentlichen oder eindeutig nur Hass verbreiten wollen, ist das Löschen, Verbergen und Blockieren von Posts und von besonders aggressiven Nutzer(inne)n angebracht. Diese Möglichkeit haben die für Social-Media-Kanäle der Caritas zuständigen Mitarbeitenden. Rechtsverstöße in Posts wie beispielsweise Volksverhetzung müssen zur Anzeige gebracht werden. Das geht zum Beispiel über das Demokratiezentrum Baden-Württemberg.10
Wozu der ganze Stress? Oder: Warum sich Gegenrede lohnt
Laut Paul Sailer-Wlasits ist die "kultivierte Gegenrede", wie er sie nennt, "stets argumentierend, begründend und erklärend, daher bleibt sie rhetorisch-wirkungspsychologisch im Nachteil gegenüber der kurzen, scharfen, schneidenden Hassrede."11 Das mag im ersten Moment entmutigen, zumal auch die erwähnten Gegenstrategien mit Aufwand verbunden sind. Warum also dem Hass im Netz couragiert entgegenschreiben? Weil es wichtig ist, auch auf diese Weise für demokratische, humanistische und christliche Werte einzustehen. Hinzu kommt, dass die Hasskommentator(inn)en im Verhältnis zu allen Nutzer(inne)n, die eine Diskussion mitverfolgen (und nicht kommentieren, liken oder teilen), deutlich in der Unterzahl sind.
Studien zeigen, dass Hate ­Speech immer mehr Menschen davon abhält, sich und ihre Meinung einzubringen. So stimmten 75 Prozent der Befragten eines For schungsberichts des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft der Aussage zu: "Hassbotschaften gefährden die Vielfalt im Internet, weil sie Menschen einschüchtern und verdrängen."12 Die Caritas-Kampagne "Sei gut, Mensch!" will dem etwas entgegenstellen, den Hatern nicht die Meinungshoheit überlassen. Wir wollen auch in sozialen Medien einen starken Akzent für Vielfalt, Menschlichkeit und Weltoffenheit setzen und dem Begriff Gutmensch die Bedeutung geben, die er verdient.
Anmerkungen
1. Das No Hate Speech Movement entstand 2013 aus Jugendorganisationen des Europarats. Zurzeit engagieren sich junge Menschen in 40 Staaten gegen Hass im Internet. Wer sich wie an der Bewegung beteiligt, erfährt man hier auf der Plattform des Europarates: https://www.coe.int/en/web/no-hate-campaign
2. Vgl. https://no-hate-speech.de/de/wissen/
3. Vgl. Geschke, D.; Klassen, A.; Quent, M.; Richter, C.: #Hass im Netz: Der schleichende Angriff auf unsere Demokratie. Eine bundesweite repräsentative Untersuchung. Download per Kurzlink: https://bit.ly/2w3Qnuj
4. Kaczinski, A.; Henning-Thurau, T.; Sattler, H.: Social Media & Society Report. Wie Deutschland soziale Medien nutzt und was das für unsere Gesellschaft bedeutet. DFGForschergruppe 1452 "How Social Media is Changing Marketing" (Hrsg.), Münster/Hamburg, 2019. Download per Kurzlink: https://bit.ly/2W8IONw
5. Ebd., S. 60.
6. Vgl. ebd., S. 61.
7. Ebd.
8. Die folgenden Strategien und Gegenstrategien wurden vorwiegend aus der empfehlenswerten Broschüre "Wetterfest durch den Shitstorm. Leitfaden für Medienschaffende zum Umgang mit Hass im Netz" des bereits erwähnten No Hate Speech Movement extrahiert. Des Weiteren werden folgende drei Quellen zu diesem Thema empfohlen: Strategien gegen Hate Speech (BPB): www.bpb.de/252408/strategien-gegen-hate-speech; Hate Speech im Internet (klicksafe): www.klicksafe.de/service/aktuelles/news/detail/hate-speech-im-internet; Was ist Hate Speech? (Amadeu-Antonio-Stiftung): www.amadeu-antonio-stiftung.de/ digitale-zivilgesellschaft/was-ist-hate-speech
9. No Hate Speech Movement: Wetterfest durch den Shitstorm. Leitfaden für Medienschaffende zum Umgang mit Hass im Netz, 2019, S. 29.
10. Online aufrufbar unter: https://demokratiezentrum-bw.de/ demokratiezentrum/vorfall-melden
11. Sailer-Wlasits, P.: Die Metastasen des Hasses. Erschienen auf Zeit Online. Download per Kurzlink: https://bit.ly/2W72LV5
12. Vgl. Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (Hrsg.): #Hass im Netz: Der schleichende Angriff auf unsere Demokratie. Eine bundesweite repräsentative Untersuchung. Jena, 2019.
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