Gemeinsam Zeit verbringen und Routinen schaffen
Familiäre Systeme stehen Kopf, da viele Routinen und Abläufe sich plötzlich ändern, ohne dass wir das selbst entschieden haben. So gehen Kinder morgens nicht mehr wie gewohnt in Kita und Schule. Ebenso sind Erwachsene durch den Wegfall oder die Veränderung der Arbeit (zum Beispiel Homeoffice) von veränderten Routinen betroffen. Das spiegelt sich nicht nur in der Arbeits- und Schulsituation wider. Auch die sozialen Kontakte, falls nicht sowieso schon auf soziale Medien reduziert, fallen weg, erzeugen Lücken, es fehlen Ausgleichsmöglichkeiten und Sicherheiten. Die Kinder werden plötzlich nicht mehr zum Musikunterricht oder in den Fußballverein gebracht. Und auch die Eltern gehen nicht mehr in den abendlichen Sport oder zu ihrem ehrenamtlichen Engagement im Verein.
Im ersten Moment könnte man meinen, die "Überhitztheit" unserer Gesellschaft könnte Kinder und Eltern sofort "durchschnaufen" lassen angesichts nachlassender Geschwindigkeit und weniger Termine. Dennoch wirkt der Wegfall entsprechender Routinen in der Regel belastend, nicht entlastend. Das hat nicht nur damit zu tun, dass uns, egal ob Kinder oder Erwachsene, gewohnte Abläufe Sicherheit geben, sondern auch damit, dass wir zusätzliche Energiequellen verlieren. Soziale Begegnungen und die Ausübung von Hobbys geben Bestätigung und Kraft, was wir zur Bewältigung vieler Anforderungen im Leistungsbereich und auf der "sozialen Bühne" benötigen. Sie stärken unsere Resilienz.
Mehr familiäre Konflikte
Dazu kommt der entscheidende Unterschied, dass wir uns nicht selbst gegen oder für etwas entscheiden können. Das gilt für Kinder und Erwachsene gleichermaßen. Unsere freiheitliche Gesellschaft und das damit verbundene, stark ausgeprägte Gefühl der Selbstwirksamkeit geht verloren. Eltern können nicht mehr selbst entscheiden, was sie zulassen oder nicht. Je umfangreicher die Einschränkungen durch die Regierung ausfallen, umso größer wird das Gefühl des Kontrollverlustes und der Hilflosigkeit.
Folgen dieser Gefühlslage wiederum können Ängste, Rückzug, aber auch aggressive Verhaltensweisen sein. So können Jugendliche in einer normalen Abgrenzungs- und Identifikationsfindungsphase eventuell noch extremer reagieren, wenn sie staatliche Beschränkungen (Verbot, sich mit anderen zu treffen) als starken Eingriff in ihr Freiheitsverlangen erleben. Gleichzeitig sehen sie geschwächte, belastete und innerlich weniger anwesende Eltern. Als Resultat sind familiäre Konflikte wahrscheinlicher und in manchen Situationen extremer, da vielfach die Möglichkeiten der Distanzschaffung und des Ausgleichs wegfallen. Bei einer Ausgangssperre kann ich nicht einfach mit der Peergroup abhängen.
Das Stresslevel von Eltern ist durch Sorgen um die Gesundheit der Familie und durch eventuelle finanzielle Existenzängste geschwächt. Je länger und intensiver die Isolation wird, umso stärker entwickelt sich das Gefühl des Alleinseins. Das bezieht sich nicht nur auf Individuen, sondern auch auf die Familien. Bestimmte familiäre Konstellationen sind dabei besonders gefährdet. So wissen wir, dass die soziale Teilhabe von Alleinerziehenden, von Familien mit geringerem Einkommen, von psychisch kranken Eltern und auch von Familien in Trennungssituationen geringer ist. Neben zunehmender Vereinsamung der Eltern und zwangsläufig auch von deren Kindern erleben wir hier auch ein höheres Potenzial an Konfliktzuspitzung und Gewalt.
Möglichkeiten und Chancen, die Lage zu meistern
- Beibehaltung oder Schaffung neuer Routinen (klare Tagesstruktur, gemeinsame Essenszeiten; vormittägliche Beschäftigung mit Lernstoff wird durch digitalisierte Lernstoffvermittlung der Schulen unterstützt; Beibehaltung von Regeln)
- Gemeinsam Zeit verbringen (eine große Chance besteht darin, die größeren Zeitressourcen für das familiäre Zusammensein zu nutzen: gemeinsame Spielzeiten, gemeinsames Heimkino, gemeinsame kleine Projekte im Garten oder beim Mofa-Schrauben)
- Ruhe bewahren und Fakten checken (es besteht die Gefahr, hektisch und negativistisch zu werden. Man sieht nur noch die Einschränkungen. Wichtig ist, sich bewusstzumachen, was alles gut funktioniert, zum Beispiel: Familie hält zusammen, die Kinder machen zuverlässig ihre Dienste)
- Nachsicht, wenn bei einem selbst und bei den anderen Familienmitgliedern die Nerven blankliegen (Pausenknopf in der Emotionsspirale drücken, manchmal hilft auch einfach, Humor ins Spiel zu bringen)
- Erwartungen nicht zu hoch schrauben (das Harmoniebestreben sollte nicht zu hoch gehängt werden. Auch von Feiertagen kennen wir die Dynamik, dass durch erhöhte "Messlatten" das Scheitern und Konflikte schon vorprogrammiert sind)
Das Telefon dürfte eine Renaissance erleben
- Kleine Hilfsprojekte starten (wenn, dann besteht jetzt auch die besondere Möglichkeit, unseren Kindern die Wichtigkeit von Hilfsverhalten zu vermitteln. Gleichzeitig bedeutet es Selbstwirksamkeit und Übernahme von Verantwortung, wenn Kinder und Jugendliche der älteren, allein lebenden Nachbarin täglich den Einkauf vorbeibringen. Das heißt, durch diese Erfahrungen stärken wir auch Kinder und damit die zukünftige Gesellschaft)
- Kleine Belohnungen (vergessen wir nicht, uns selbst und unsere Kinder zu belohnen für die Dinge, die jetzt in der schwierigen Situation gemeistert werden müssen. Am besten natürlich durch altersangemessene Zuwendung und Aufmerksamkeit)
- Sinnvolle Digitalisierung im familiären Kontext als Stärke definieren (die Affinität unserer Kinder zu den sozialen Medien sollte unsere Anerkennung und Zulassung finden, insbesondere wenn sie der Aufrechterhaltung der Kommunikation und der Unterstützung innerhalb und außerhalb der Familie dienen)
- Beziehungen pflegen und liebevoller Umgang (auch das Telefon dürfte eine Renaissance erleben. Machen wir uns anstatt eines Adventskalenders doch einen Kalender, in dem steht, jeden Tag bis Ostern bewusst jemanden aus dem weiteren Familien- oder Freundeskreis anzurufen)
- Schaffung von Rückzugsmöglichkeiten (zwar bräuchten auch Familienmitglieder in einer beengten Situation oft mehr Rückzugsmöglichkeiten, die räumlich bei großen und benachteiligten Familien meist gar nicht realisierbar sind. Umso wichtiger ist es, kleine, aber sichere Rückzugsmöglichkeiten zu gewährleisten. Jugendliche müssen beispielsweise sicher sein, dass die Eltern sie drei Stunden im Zimmer auch wirklich in Ruhe lassen)
- Zukunftspläne (neben den Tagesplänen, die zur Schaffung von Routinen dienen, ist es auch wichtig, als Familie einen Blick in die Zukunft zu werfen. So könnte zum Beispiel im familiären Kreis besprochen werden, was wir eigentlich schon immer mal zusammen unternehmen wollten, wohin die nächste Urlaubsreise hingehen soll…)
- Externe Hilfe zulassen (neben den familiären und sozialen Netzwerken sollten hier auch die professionellen Unterstützungsmöglichkeiten nicht vergessen werden. Erziehungsberatungsstellen sind weiterhin erreichbar, Umstellung von Face-to-FaceKommunikation auf Telefon- und Onlineberatung)
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