Das Trauma überwinden
Wie eine Kolonne von Lastwagen hörte sich der Tsunami an, der Ende Dezember auf die Westküste Javas traf. So erzählen es die Menschen der Region, die damals von der fünf Meter hohen Welle überrascht wurden.
Unter ihnen ist die 15-jährige Sela. Sie war gerade dabei, den Boden des Gasthauses zu putzen, das ihre Eltern sich in dem Küstenort Sumber Jaya aufgebaut hatten, als es passierte. "Ich hörte einen großen Lärm, sah die Welle und schrie meinem Vater zu, dass wir sofort wegmüssen. Wir sind dann vom Strand in Richtung des Hinterlandes gelaufen. Das Wasser erwischte uns trotzdem. Es ging uns aber nur bis zur Hüfte und wir blieben Gott sei Dank alle unverletzt."
Bei dem durch einen Erdrutsch am Vulkan Anak Krakatau ausgelösten Tsunami kamen mehr als 400 Menschen ums Leben, mehr als 14.000 wurden verletzt. Wenige Wochen danach schallt das Ententanz-Lied aus einem Lautsprecher. Ein Mitarbeiter von KUN, einer Partnerorganisation von Caritas international (Ci), hat ihn mit in das Dorf gebracht. In die Musik mischt sich Kindergelächter, als sie versuchen, der im positiven Sinne albernen Choreographie zu folgen.
Sela steht etwas am Rande, ihre Miene ist ernster als die ihrer Freundinnen und Freunde. Mit geschultem Blick geht Permata Andhika Rahardja auf die Teenagerin zu und versucht vorsichtig, mit ihr ins Gespräch zu kommen. Rahardja arbeitet als Psychologin im Katastrophengebiet, um Kindern wie Sela, aber auch traumatisierten Erwachsenen zur Seite zu stehen. Regelmäßig fährt sie mit ihren Kolleginnen und Kollegen in die Küstendörfer, um den Betroffenen der Katastrophe ihre Dienste zur Verfügung zu stellen, freiwillig und ohne Bezahlung.
"Ich arbeite wirklich sehr gerne mit Kindern. Der Freiwilligendienst ermöglicht es mir, in einer schwierigen Zeit ein wenig nach ihnen zu sehen. Die Vorgehensweise ist dabei immer ähnlich: Wenn wir in ein Dorf kommen, beobachte ich erst einmal die Situation. Ich setze mich zu den Kindern, höre zu, über was sie reden und stelle Fragen, wenn ich denke, dass es angebracht ist. Erst dann fange ich mit einer Gruppeneinheit an", erläutert Rahardja ihre Arbeitsweise.
Spiele als Eisbrecher
"Wenn das Eis gebrochen ist und ich etwas über die Kinder in Erfahrung bringen konnte, versuche ich sie spielerisch zu mobilisieren", sagt die Psychologin. Nach traumatischen Erfahrungen stehe oft der gesamte Körper unter extremer Anspannung. So wie bei Sela, bei der Haltung, Mimik und Gestik deutliche Hinweise darauf geben, dass sie den Schock noch nicht ansatzweise verarbeiten konnte.
"Wenn sich die Kinder bewegen, wirkt sich das positiv auf ihr Gefühlsleben aus", erklärt Rahardja, während ein indonesisches Lied den Ententanz ablöst. "Ich versuche außerdem, ihnen mittels Spiel und Spaß zu entlocken, wie sie sich fühlen. Auch hier helfen Bewegungsübungen. Kinder können ihre Emotionen damit viel besser ausdrücken als mit Worten. Unsere Hilfe beschränkt sich aber nicht nur auf die Kinder, wir haben natürlich auch ein Ohr für die Erwachsenen."
Zu ihnen gehört die 45 Jahre alte Ibu Baeti. Sie wohnt in dem Fischerdorf Labuhan Teluk, das einige Kilometer nördlich von Sumber Jaya liegt. Ihre Erfahrungen mit dem schicksalhaften Tag im Dezember sind noch dramatischer als die von Sela. "Ich war am Schlafen, als der Tsunami kam." Eine Nachbarin habe dann "Welle, Welle" geschrien. "Ich habe nicht nachgedacht, bin mit meinen Liebsten einfach losgerannt und wir haben uns dabei aneinander festgehalten. Wir liefen zu einer Moschee, die etwas höher gelegen war. Die erste Welle war nicht ganz so stark. Die zweite zerstörte dann unser Haus", erzählt sie und kämpft mit den Tränen.
Für den Übergang lebt sie nun mit ihrer Familie mit 40 anderen Familien auf engstem Raum in einer Gemeinschaftsunterkunft. "Ich weiß nicht, wie es weitergeht. Ich würde gerne wieder Salzfisch herstellen mit dem Fang, den mein Mann heimbringt. So wie früher." Doch da fast alle Boote in dem Dorf zerstört wurden und ihr Mann außerdem Angst hat, der See überhaupt wieder nahezukommen, wird ihr Wunsch wohl auf unabsehbare Zeit ein Traum bleiben. "Die Aktivitäten, die hier angeboten werden, sind aber sehr hilfreich für uns. Es ist gut, dass zum Beispiel die Kinder abgelenkt sind und das Ganze für sie nicht mehr so schwer wiegt. Auch uns Erwachsenen wird geholfen, das Erlebte besser verarbeiten zu können." Die Partner von Ci kümmern sich aber nicht nur um die psychische Gesundheit der Menschen, die den Tsunami überlebt haben, sondern auch um die körperlichen Leiden.
Hilfswerke füllen Lücke im System
Einer, der in diesem Partnerprojekt von Ci mitarbeitet, ist der Mediziner Christian Sikite. Wie Rahardja fährt er mit einer mobilen Klinik von Küstendorf zu Küstendorf, um die Menschen zu versorgen. Hilfswerke nähmen eine ganz wichtige Funktion ein, "denn gerade bei Katastrophen füllen sie eine Lücke, die der Staat einfach nicht füllen kann", sagt Sikite. "Deswegen habe ich mich dazu entschieden, zu helfen, wo ich kann."
Zu Beginn hätten die Ärzte vor allem akute Nothilfe leisten und viele chirurgische Eingriffe vornehmen müssen. "In der jetzigen Phase kommen die Menschen vor allem mit Beschwerden wie Bluthochdruck und Pilzinfektionen zu uns. Die hygienische Situation ist schlecht. Aufgrund der negativen Erlebnisse und Traumata schlafen viele Menschen schlecht, manche sogar kaum noch", sagt der Arzt. Die mobile Klinik sei ein niedrigschwelliges und kostenfreies Angebot, das gerne angenommen werde. "Auch weil es für viele schwer ist, nach der Arbeit, etwa auf den Reisfeldern, zu einem viele Kilometer entfernten Arzt zu gehen, der oft nur zu begrenzten Zeiten Patientinnen und Patienten empfängt. Wir kommen hingegen direkt zu den Menschen. Wir wollen damit auch ein wichtiges Zeichen senden: Wir lassen euch nicht allein mit eurem Schicksal!"
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