Jeder Mensch braucht ein Zuhause – auch in der Ukraine
Jeder Mensch braucht ein Zuhause. Das erfuhr Swetlana Zhich auf schmerzhafte Weise, als sie 2015 Hals über Kopf mit ihrer Familie fliehen musste. Sie teilte das Schicksal mit ihren Kolleg(inn)en der Caritas Donezk. Zwölf Jahre im Dienst der Caritas hatten sie zusammengeschweißt. Gemeinsam packten sie in aller Eile das Notwendigste und suchten Zuflucht in der rund 250 Kilometer westlich gelegenen Stadt Dnipro im Osten der Ukraine.
Zunächst erschien ihr ihre Lage gar nicht mal so schlimm: "Wir dachten, es sei nur für ein paar Wochen oder Monate. Außerdem hatten wir Geld und waren durchaus in der Lage, Miete zu zahlen." Doch ihre Hoffnung, sich hier vorübergehend ein neues Zuhause schaffen zu können, sei schnell verflogen. Denn auch die vielen leerstehenden Häuser in der Stadt waren alle in Privateigentum. "In einem Zimmer ohne Heizung haben wir die ersten Monate verbracht. Zwei Familien mit vier Kindern!"
Swetlana Zhich berichtet über ihre Erfahrungen im Rahmen eines Diskussionsforums in Kiew. Caritas international, das Hilfswerk des Deutschen Caritasverbandes, und dessen Fortbildungs-Akademie hatten im Mai zu einem einwöchigen Erfahrungsaustausch nach Kiew und Odessa eingeladen. Die Reise fand zum Thema "Jeder Mensch braucht ein Zuhause" statt, dem Motto der diesjährigen Caritas-Kampagne. Sie fordert mehr bezahlbaren Wohnraum (s.?a. das Titelthema der neuen caritas Heft 22/2017 sowie www.zuhause-fuer-jeden.de).
Wohnraummangel gab es in der Ukraine schon vor 2014, vor dem Krieg in ihrem Osten mit über 1,5 Millionen Binnenvertriebenen. Landflucht, überteuerte Mieten und Wohnraummangel in den Städten machen auch den Menschen in der Ukraine zu schaffen - nur in noch viel höherem Maß als den Menschen in Deutschland. In Dnipro kommen auf rund eine Million Einwohner 70.000 offiziell registrierte Binnenvertriebene. Der "billigste" Bezirk der Hauptstadt zähle allein 20.000, berichtet Olga Korolova von der Caritas Kiew. In deren Einzugsbereich lebten derzeit schätzungsweise 260.000 Flüchtlinge oder mehr. Häusliche Krisensituationen hätten sich aufgrund extremer Beengtheit in den letzten Jahren vervielfacht. Die Angebote der Caritas Kiew reichten von Essen und Kleidung bis hin zu Obdach, von Beratung und Unterstützung beim Antragstellen für staatliche Hilfen bis zum Vermitteln an Partnereinrichtungen und -organisationen.
Hilfe für Wohnungslose ist krass unterfinanziert
Dass die Caritas in der Ukraine sich auch um die "klassischen" Problemlagen Wohnungsloser wie Sucht, Straffälligkeit und psychische Erkrankungen kümmere, bestätigt einem deutschen Tagungsteilnehmer Juri Zacharevitsch, Priester und Sozialarbeiter aus der westukrainischen Stadt Kolomyja. Im November 2014 habe er ein Haus zunächst als Notunterkunft für den Winter eröffnet. Inzwischen arbeiteten hier drei Sozialarbeiter rund um die Uhr. Zu 99 Prozent seien ihre Klienten alkoholkrank, darunter viele ehemalige Häftlinge und Ex-Soldaten aus der Ost-Ukraine. Als erste Hilfe erhielten sie ein Bad, Kleidung, Tee und eine warme Mahlzeit sowie kurzfristig einen Schlafplatz. Das Haus biete zwanzig Schlafplätze von 17 Uhr bis acht Uhr morgens. Nach und nach sollten zwei weitere Etagen ausgebaut werden. Juri Zacharevitsch zufolge sollen sie diejenigen aufnehmen, die ihrem Leben ernsthaft eine neue Perspektive geben wollen, bis sie wieder Arbeit gefunden haben. Größtes Problem des Konzepts seien fehlende finanzielle Mittel.
"Unsere Sozialwohnungen sind Zimmer in den ehemaligen sowjetischen Arbeiterwohnheimen", erläutert Swetlana Zhich. Eine Selbsthilfe-Initiative habe sich vor zwei Jahren an die Stadt Dnipro gewandt und daraufhin zwei dieser Wohnheime zugewiesen bekommen. Sie seien aber mit Schulden belastet und bereits bewohnt gewesen. Heute sei eines der Wohnheime zu 60 Prozent von Binnenvertriebenen bewohnt, das zweite werde in Kürze frei. Die Miete für ein Bett in einem zwölf Quadratmeter großen Zimmer, das sich in der Regel vier bis sechs Personen teilten, betrage umgerechnet 32 Euro im Monat.
"Das eigentliche Dilemma aber ist, dass hier die Binnenvertriebenen mit Rentnern, Alleinerziehenden und anderen sozial schwachen Gruppen konkurrieren", fügt ihre Kiewer Kollegin Olga Korolova hinzu. Swetlana Zhich stimmt ihr zu: "Bei uns betragen der Mindestlohn 3000 Griwna (circa 95 Euro), die Mindestrente 1350 Griwna (43 Euro) und die Sozialhilfe 850 Griwna (27 Euro) im Monat." Die Wohnheime würden folglich überwiegend von Rentnern bewohnt. Die Lage in Dnipro unterscheide sich kaum von der in anderen Städten des Landes.
Fundraising-Tipps sind gefragt
"Wir suchen nach neuen Wegen der Finanzierung und weg vom Betteln", stellt ihre Kiewer Kollegin und Fundraiserin Irina Boiko fest. Sie fragt die deutschen Kolleg(inn)en nach ihren Erfahrungen mit Unternehmen, die soziale Verantwortung übernehmen. Die deutschen und ukrainischen Caritas-Kolleg(inn)en tauschen sich über ihre besten Spendenaktionen aus, die sich hier wie dort kaum voneinander unterscheiden. Swetlana Zhich, die mit ihrer Familie inzwischen in einer Container-Siedlung wohnt, berichtet begeistert von einigen ihrer erfolgreichsten Aktionen in Zusammenarbeit mit Apotheken. Für einen Moment, scheint es, vergisst sie darüber ihre eigene missliche Lage.
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