Arbeit als Teil der Genesung
Psychische Erkrankungen sind der zweithäufigste Grund für betriebliche Fehlzeiten nach Muskel-Skelett-Erkrankungen. Auch die durchschnittliche Dauer psychisch bedingter Krankschreibungen ist vergleichsweise hoch und liegt derzeit bei 34 Arbeitstagen, wie aus aktuellen Statistiken der Krankenkassen hervorgeht. Was die Statistik nicht sagt: Viele der erkrankten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer könnten wahrscheinlich schneller genesen und würden weniger lange dem Arbeitsprozess fernbleiben, wenn es nicht nur die Wahl zwischen Arbeitsfähigkeit und Arbeitsunfähigkeit gäbe.
Denn speziell bei psychischen Störungen, insbesondere bei Depressionen, gibt es wiederholt das Problem, dass eine Krankschreibung, also die ärztliche Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit (AU), eher zu einer Verstärkung der Symptomatik führt und bezüglich der Heilung kontraproduktiv ist. Oft kommt bei den Betroffenen auch noch die Angst um den Arbeitsplatz hinzu.
Diesem Dilemma könnte mit der ärztlichen Bescheinigung einer vorübergehenden Minderung der Arbeitsfähigkeit (Arbeitsminderung) wirksam begegnet werden. Wenn es aus ärztlicher Sicht sinnvoll und vertretbar ist, dass der erkrankte Arbeitnehmer nur wenige Stunden am Tag arbeitet, ohne überfordert zu sein, könnte sich das positiv auf den Genesungsprozess auswirken. Tagesstruktur und Kontakt mit den Kolleginnen und Kollegen blieben erhalten, die Gefahr einer sozialen Isolation wäre deutlich gemindert.
Die Gefahr der sozialen Isolation wäre gemindert
Der Arzt, die Ärztin müsste beispielsweise verordnen können, dass ein Patient vier oder sechs Stunden am Tag Schonung bekommt. Ich bin sicher, dass durch solche Maßnahmen viele Fälle von längerer Arbeitsunfähigkeit verhindert werden und Patienten ihre Krankheit besser bewältigen können. Sofern es im individuellen Fall verantwortbar ist, sollten Ärzte daher die Möglichkeit der "Arbeitsminderung" zur Verfügung haben.
Diesem Vorschlag des Marburger Bundes hat sich auch der Deutsche Ärztetag in diesem Jahr angeschlossen und den Gesetzgeber aufgefordert, die Grundlage für die ärztliche Bescheinigung einer "Arbeitsminderung" zu schaffen, damit Ärzte die tägliche oder wöchentliche Arbeitszeit ihres Patienten herabsetzen können statt ihn - wie bisher - nur komplett aus der Arbeit herauszunehmen. Arzt und Patient könnten dann auch gemeinsam darüber sprechen, welcher Arbeitsumfang angemessen ist.