Diskussion: Sollen Kindertagesstätten kostenfrei sein?
Marie-Theres Kastner, Bundesvorsitzende Katholische Elternschaft Deutschlands KED, E-Mail: mthkastner@t-online.de
In erster Linie kommt es auf die Qualität an
Das Thema ist alt und wird an vielen Stellen und seit vielen Jahren diskutiert. Es wird allein schon deshalb darüber geredet, weil es von Stadt zu Stadt, von Bundesland zu Bundesland so unterschiedlich gehandhabt wird. Da gibt es nicht nur unterschiedliche Tarife, sondern da gibt es auch sehr unterschiedliche "Kostenfreiheiten": Ermäßigungen oder Befreiungen für Geringverdiener und Sozialhilfeempfänger oder generelle Befreiungen für das letzte Jahr.
Prinzipiell wären natürlich alle Eltern froh, wenn die Kinderbetreuungseinrichtungen als Einrichtungen frühkindlicher Bildung kostenfrei besucht werden könnten und nur für die Verpflegung ein Obolus entrichtet werden müsste - wie in den Schulen. Wir halten das durchaus für ein erstrebenswertes Ziel. Aber wir Eltern wissen auch: Der Bedarf nach mehr Tagesbetreuungseinrichtungen ist noch längst nicht umgesetzt. Da muss noch viel passieren.
In den Einrichtungen geht es um mehr als Betreuung und Verwahren. Es geht darum, zum Beispiel gute Voraussetzungen für den späteren Lebensweg der Kinder zu schaffen. Dafür benötigt man geschultes, gut ausgebildetes Personal, und das den pädagogischen Ansprüchen angemessen auch in ausreichender Zahl. Das gilt vor allem für die Gruppen mit den Kleinstkindern. Hier braucht man viele Hände, um den Jüngsten gerecht zu werden. Den Status haben wir wohl in keinem Bundesland erreicht. Erzieherinnen und Erzieher werden nicht müde, darauf hinzuweisen, weil sie einfach in Sorge sind, dass sie den Kindern nicht gerecht werden.
Diese Situation sehen die Eltern durchaus. Deshalb sind sie auch bereit, für eine gute Versorgung ihrer Kinder ihren finanziellen Beitrag zu leisten; wobei schon die unterschiedlichen Rahmenbedingungen wie etwa Öffnungszeiten und Qualität sehr beklagt werden. Wir Eltern finden, dass die Qualität das erste Ziel ist, das umgesetzt werden muss. Dann die Kostenfreiheit für alle Eltern. Wir können das so sagen, weil wir sicher sind, dass in allen Städten und Gemeinden kein Kind vom Besuch einer Tageseinrichtung für Kinder ausgeschlossen wird, wenn die Eltern wenig verdienen.
Gaby Hagmans, Caritasdirektorin in Frankfurt, E-Mail: gaby.hagmans@caritas-frankfurt.de
Nicht auf Kosten der Kinder- und Jugendhilfe
Das Land Hessen hat den Besuch einer Kindertagesstätte ab dem 1. August 2018 beitragsfrei gestellt - bis zu einer Nutzung von sechs Stunden täglich. Die Differenz zu einem Ganztagsplatz von neun bis zehn Stunden stellt die Stadt Frankfurt ab dem 1. August zusätzlich beitragsfrei. Dieser Ganztagsplatz kostete die Eltern bisher 148 Euro im Monat, einer der niedrigeren Beiträge im bundesweiten Vergleich. In der politischen Diskussion wurde diese Maßnahme mit verschiedenen Argumenten begründet. Zum einen sei die Schule auch ohne Eigenbeitrag der Eltern finanziert und zum anderen würden nun gerade Familien aus sozial und ökonomisch schwächeren Familien ihre Kinder in die Kindertagesstätte geben können.
Man kann aber auch eine ganz andere Lesart über diese Entscheidung legen. Eltern, die aufgrund ihrer ökonomischen Situation den Beitrag nicht selbst zahlen können, werden durch die Wirtschaftliche Jugendhilfe von diesem befreit. Diese Kosten hat die Kommune bisher schon übernommen. Zukünftig fällt die Antragstellung und damit Offenlegung der Einkommensverhältnisse weg, ob das aber mehr Eltern aus diesen Familien motivieren wird, ihr Kind in die Kita zu geben, bleibt fraglich.
Mein Eindruck ist eher, dass mit der Entgeltfreiheit dem Druck des Arbeitsmarktes nachgegeben wird. Frankfurt ist eine wachsende Stadt. Hauptsächlich ziehen die Menschen wegen der Arbeit hierher. Familien mit Kindern sehen sich gleich mehreren Herausforderungen gegenüber. Sie müssen den Leistungsanforderungen ihres Unternehmens gerecht werden. Das erfordert eine verlässliche Kindertagesbetreuung. Aufgrund der hohen Wohnungspreise in Frankfurt können sie oftmals ihrem Wunsch- und Wahlrecht nicht nachkommen und müssen das Kind ganztags betreuen lassen. Die Entgeltfreiheit nimmt den Eltern diesen Druck ein wenig.
Die Entgeltfreiheit ist nicht grundsätzlich abzulehnen. Ich plädiere allerdings dafür, die eigentliche Zielsetzung ehrlich darzulegen und den Kontext einer solchen Entscheidung kritisch zu reflektieren. Die Kindertagesbetreuung ist eine Leistung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes SGB VIII, auf die die Eltern einen Rechtsanspruch haben. In den letzten Jahren wurden durch den Ausbau der Betreuung der unter Dreijährigen und durch höhere Qualitätsstandards deutlich mehr Mittel für diese Bereiche gebraucht. Rechtsansprüche müssen von den Kommunen erfüllt werden, und das erhöht den Druck auf die übrigen Bereiche, die keinem Rechtsanspruch unterliegen. Hierzu gehören die offene Kinder- und Jugendarbeit, die Beratungsstellen in der Erziehungshilfe und die Nachmittagsbetreuung an Schulen. Diese Bereiche sind finanziell weit weniger gut ausgestattet. Und so geraten essenzielle Prinzipien der Jugendhilfe aus dem Blick, wie etwa das Wunsch- und Wahlrecht der Eltern, die Fokussierung der Leistungen auf das Kindeswohl, das Aufwachsen der Kinder in öffentlicher und privater Verantwortung, also die Begleitung der Kinder und Jugendlichen bis zur Eigenständigkeit.
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