Entlastende Angebote haben nichts mit „Rabenmüttern“ zu tun
Die Stürme der Empörung ließen nicht lange auf sich warten. Als die damalige Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) im Juli 2015 mit ihrem Programm KitaPlus an die Öffentlichkeit trat, war das Entsetzen groß. Von "staatlich verordneten 24-Stunden-Kitas" konnte man in den Printmedien lesen. Äußerungen wie "Warum nicht gleich die DDR-Wochenkrippe?" oder "seelische Grausamkeiten für Groß und Klein" spiegeln bis heute wider, welche alptraumartigen Schreckensszenarien ein bedarfsgerechtes Angebot der Kindertagesbetreuung in manchen Köpfen unserer Republik auslöst.
Genau hinsehen und dann erst Schlüsse ziehen
Das Programm wurde im Januar 2016 aufgelegt und endet im Dezember 2018. 100 Millionen Euro stehen bis dahin insgesamt zur Verfügung, die Träger von Kindertageseinrichtungen abrufen können, und zwar bis zu 200.000 Euro jährlich. Gefördert werden Personalausgaben sowie Investitionskosten beispielsweise für Umbauten. Auch für 24-Stunden-Angebote gibt es diese Mittel, das ist richtig. Aber schon zu Beginn des Programms wäre es notwendig gewesen, zunächst einmal genau hinzusehen und erst dann Schlüsse zu ziehen. Das Bundesprogramm KiTaPlus zielt nicht darauf ab, flächendeckend 24-Stunden-Kitas als Regelangebot quer durch Deutschland zu etablieren. Auch geht es darin nicht um längere Betreuungszeiten von Kindern, sondern um Angebote zu anderen Zeiten. Gefördert werden eine Erweiterung der Öffnungszeiten pro Wochentag vor acht Uhr und nach 16 Uhr, Betreuungsmöglichkeiten am Wochenende und an Feiertagen, aber auch Angebote, die in den Nachtzeiten liegen. Alles das ist, mit Verlaub gesagt, dringend erforderlich.
Den Fachkräften und Trägern in unseren Kindertageseinrichtungen ist es oft nicht möglich, auf alle Betreuungsbedarfe von Eltern angemessen zu reagieren. Gerade in Randzeiten vor acht Uhr und nach 16 Uhr beispielsweise fehlen hierfür die personellen und finanziellen Ressourcen. KitaPlus bietet hier eine Lösung.
Es geht im Programm darum, dass Eltern Beruf und Familie miteinander in Einklang bringen können. Für viele Eltern ist das heute nach wie vor ein Balanceakt. Im Vordergrund des Programms stehen passgenaue, am Bedarf der Eltern orientierte Betreuungsangebote. Ein Anliegen, das gerade innerhalb der Caritas und auch für katholische Kindertageseinrichtungen eine Verpflichtung ist. Unsere Kitas haben den Auftrag, für Eltern bereichernde und entlastende Angebote zu machen. Dies unterstrich mit dem Förderbeginn von KitaPlus auch der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck. In einer Pressemeldung zum Thema wies er darauf hin, dass wir als Kirche unsere Augen nicht vor gesellschaftlichen Lebensrealitäten verschließen dürfen. Das Bistum Essen ist gleich mit zwei Standorten dabei (s. dazu auch neue caritas Heft 19/2017, S. 25).
Mit KitaPlus auch am Wochenende gut betreut
Insgesamt nehmen am Programm bundesweit 204 Kindertageseinrichtungen teil. Davon sind nur 13 Standorte in katholischer Trägerschaft. Nicht mehr als vier Kindertageseinrichtungen nutzen das Programm, um an sieben Tagen 24 Stunden geöffnet zu haben. Die beteiligten katholischen Einrichtungen sind nicht darunter. Dafür sind aber von den 19 Kindertageseinrichtungen, die ein Übernachtungsangebot unter der Woche bereithalten, immerhin zwei in katholischer Trägerschaft. 34 Kindertageseinrichtungen haben durch KitaPlus ein Betreuungsangebot an Wochenenden beziehungsweise an Feiertagen etabliert. Die restlichen Kitas konzentrieren sich auf verlängerte Öffnungszeiten an den Werktagen. Und das ist auch dringend notwendig.
Nur jeder fünfte Kita hat vor sieben Uhr geöffnet
Von den knapp über 54.000 Kindertageseinrichtungen in Deutschland haben 20,4 Prozent vor sieben Uhr geöffnet. Reicht doch aus, könnte man meinen. Von wegen. In den westlichen Bundesländern liegt der Anteil bei nur 5,3 Prozent. Ähnlich düster sieht es mit dem Ende der Öffnungszeiten aus. Nahezu die Hälfte aller Kindertageseinrichtungen in den westlichen Bundesländern machen ihre Türen vor 16.30 Uhr zu, exakt 42,5 Prozent. In den östlichen Bundesländern sind es nur 8,1 Prozent, so die Ergebnisse des Ländermonitors 2016 "Frühkindliche Bildungssysteme" der Bertelsmann-Stiftung. Nicht so erheblich auseinander liegen Ost und West bei den Schließzeiten nach 18 Uhr. Insgesamt haben laut Ländermonitor 1,3 Prozent aller Kitas in Deutschland nach 18 Uhr noch geöffnet, im Westen liegt der Anteil bei einem Prozent, im Osten bei 2,5 Prozent. Dass diese Zahlen nicht den Rückschluss zulassen, wir hätten es in Deutschland flächendeckend mit bedarfsgerechten Öffnungszeiten zu tun, liegt wohl auf der Hand. Gerade mit Blick auf Alleinerziehende, Eltern in Schichtarbeit und Eltern, die sich in der Ausbildung befinden, ist das Programm ein Segen. Und das bestätigen auch die Fachkräfte und Träger der am Programm beteiligten Kindertageseinrichtungen.
Auf die Frage, welche Eltern sie erreichen wollen, antworten 99 Prozent der Kindertageseinrichtungen, dass ihr Angebot für Eltern bereitsteht, deren Arbeitszeiten außerhalb der Kita-Öffnungszeiten liegen. Ebenfalls 99 Prozent geben an, sich insbesondere mit Blick auf Alleinerziehende im Bundesprogramm zu engagieren. 95 Prozent der Kitas beteiligen sich an KitaPlus, um Eltern in Schichtarbeit zu entlasten, 57 Prozent geben an, dass Eltern am Wochenende arbeiten, in zwölf Prozent der Kitas werden erweiterte Öffnungszeiten insbesondere für Eltern in Ausbildung angeboten.
Nicht auf Elternschichten in den Betrieben warten
Auch in Caritaskreisen ist das Bundesprogramm nicht unumstritten. Nicht selten kursiert die Meinung, KitaPlus schade dem Wohl des Kindes. Hand aufs Herz: Wenn das zutreffen sollte, dann ist das kein Problem des Bundesprogramms, sondern eines der Kita. Aufgabe der pädagogischen Fachkräfte ist es, auf der Grundlage ihrer Professionalität dafür Sorge zu tragen, dass andere Öffnungszeiten nicht auf Kosten des Wohlbefindens von Kindern gehen. Und so ganz leicht hat man es den Kitas ja auch nicht gemacht, die Fördermittel in Anspruch nehmen zu können. Um die Förderung zu erhalten, müssen die Fachkräfte und ihre Träger in einem pädagogischen Konzept für die erweiterten Öffnungszeiten nachweisen, dass die Interessen und Belange von Kindern im Vordergrund stehen.
Von erweiterten Öffnungszeiten in Kindertageseinrichtungen profitiert in erster Linie die Wirtschaft, die bei ihrer Personalpolitik und bei ihren Arbeitszeitmodellen wenig Rücksicht nimmt auf die familiäre Situation ihrer Beschäftigten. Dieser Einwand ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Wem aber nützt es, wenn wir uns zurücklehnen und auf Elternschichten in den Betrieben warten. Den betroffenen Müttern und Vätern ganz bestimmt nicht.
"Was Bedürfnis der Zeit, ist der Wille Gottes." An diesem Kernsatz der Gemeinschaft der Schwestern vom Heiligen Kreuz sollten wir uns orientieren. Vielleicht gelingt es dann ja, dass bei einer hoffentlich eintretenden Neuauflage des Programms ein paar mehr katholische Kindertageseinrichtungen dabei sind.
Frank Jansen
Geschäftsführer Verband katholischer Tageseinrichtungen für Kinder (KTK) -
Bundesverband e.?V.
E-Mail: frank.jansen@
caritas.de
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