Frühe Hilfen für Mütter mit Fluchterfahrung
Kleinkinder sind extrem abhängig von der Versorgung durch ihre Eltern und deren Erziehungsfähigkeit. Familien mit Fluchthintergrund und geflüchtete Frauen mit Kindern gelten aufgrund besonders belastender Lebensbedingungen als Hochrisikogruppe in Bezug auf die Sicherstellung einer gedeihlichen Entwicklung ihrer Kinder. Studien belegen, dass ein großer Teil dieser Menschen im Heimatland, auf der Flucht oder hier in Deutschland traumatisierende Erfahrungen gemacht hat. Ein Teil leidet unter psychischen oder physischen Beeinträchtigungen, beispielsweise unter Symptomen einer posttraumatischen Belastungsstörung.
Insbesondere traumatisierte und psychisch oder physisch kranke Frauen sind häufig nicht in der Lage, die Versorgung und altersgemäße Förderung ihrer Kinder zuverlässig sicherzustellen. Im Frühjahr 2016 begann daher die Caritas Ulm-Alb-Donau ihr Projekt "Frühe Hilfen für Frauen mit Fluchterfahrung", finanziert über das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Die Aufgabenstellung war, in der Ulmer Gemeinschaftsunterkunft Mähringerweg auf geflüchtete Schwangere und Frauen mit Kindern unter einem Lebensjahr zuzugehen, ihre Unterstützungsbedarfe zu ermitteln und ihnen den Kontakt zu einheimischen Frauen und zu Familienbegleiterinnen zu vermitteln, die sie in ihrer neuen Umgebung unterstützen und Halt geben.
Zu Beginn des Projektes lebten die Frauen mit ihren Familien in einer ehemaligen Kaserne, die bis heute als Gemeinschaftsunterkunft genutzt wird und die im Frühjahr 2016 voll belegt war. Auf drei Häuser verteilt wohnten circa 600 Personen unterschiedlichster Herkunft, Religion und Ethnie zusammen, Kinder spielten teilweise unbeaufsichtigt in den Fluren oder auf dem Areal. Den größten Anteil stellten alleinreisende Männer.
Gerade für schwangere Frauen und Frauen mit Babys war diese Situation sehr belastend. Viele Frauen erzählten von ihrer Angst davor, nachts die langen, dunklen Gänge bis zu den Toiletten entlangzugehen. In ihrer Schwangerschaft oder als Wöchnerin fühlten sie sich sehr angreifbar. Alles sei laut und unhygienisch, und die Männer würden oft die Toiletten der Frauen mitbenutzen. Es gab Berichte über Waschbecken, die als Urinal verwendet wurden, und über Duschen mit defekten Schlössern.
Aufsuchendes Angebot in der Unterkunft
Hinzu kam, dass es keinen Gruppenraum als Treffpunkt für die Frauen gab, viele blieben daher in ihrem Zimmer. Besonders auf die schwangeren Frauen hatte die angespannte Situation erhebliche Auswirkungen. Es mangelte ihnen an muttersprachlichen Informationen über die medizinische Vorsorge während der Schwangerschaft; einige Frauen hatten noch keinen Kontakt zu einem Frauen- oder Kinderarzt gehabt. Auch das veränderte Ernährungsangebot war für viele Frauen irritierend.
In Kooperation mit einer syrischen Kollegin war es durch regelmäßige Hausbesuche möglich, die Frauen in ihren Zimmern zu erreichen und sie kennenzulernen. Die Resonanz der Bewohnerinnen auf dieses Angebot war ausgesprochen positiv: Es entwickelten sich gute Kontakte, und die Frauen aus Syrien, dem Irak und Afghanistan, aber auch aus Nigeria und Gambia bauten Vertrauen auf. Ohne das muttersprachliche Angebot wäre die Kontaktaufnahme mit Sicherheit schwieriger oder ausgeschlossen gewesen.
Nach ersten Hausbesuchen waren die Frauen meist offen; einfache Sachverhalte ließen sich auch mittels Sprachen-App und nach der altbewährten "Hand- und Fuß-Methode" klären. Die Weitervermittlung zum Sozialdienst oder zu Ärzt(inn)en wurde möglich. In diesem Zusammenhang konnte dann auch das Angebot einer ehrenamtlichen Familienbegleitung thematisiert werden. In der Unterkunft wurde ein Frauenbüro eröffnet.
Einsatz ehrenamtlicher Familienbegleiterinnen
Die individuelle Unterstützung durch geschulte Familienbegleiterinnen und weitere Akteure der Frühen Hilfen - beispielsweise Hebammen - hatte und hat zum Ziel,
- das Vertrauen der oft sehr jungen Mütter in ihre eigenen Fähigkeiten zu unterstützen (Stärkung der Resilienz);
- den Aufbau einer gelingenden Bindung zum Kind zu erleichtern;
- eine altersgerechte Entwicklung des Kleinkindes zu fördern;
- die Mütter zu befähigen, den Alltag mit Kleinkindern in der neuen Umgebung zu bewältigen und
- ihre Deutschkenntnisse zu verbessern.
Akquise, Schulung und Supervision Ehrenamtlicher
Über Mutter-Kind-Gruppen und über Kontakte zu Studierenden der Uni Ulm lassen sich ehrenamtliche Familienbegleiterinnen gewinnen: Bewusst werden jüngere Frauen angesprochen, um einen Austausch zwischen Gleichaltrigen "auf Augenhöhe" zu ermöglichen.
Eine wichtige Voraussetzung für gute, stabile Beziehungen zwischen den Ehrenamtlichen und den geflüchteten Familien ist die Schulung der Familienbegleiterinnen zu den Themen Traumata, interkulturelle Kompetenz/Kultursensibilität, Bindung und Achtsamkeit.
Der Austausch in monatlichen Supervisionstreffen ist für die ehrenamtlich engagierten Frauen sehr wichtig, um sich gegenseitig Tipps aus der Praxis zu geben und mit Gleichgesinnten ins Gespräch zu kommen.
Da die Sprachprobleme es am Anfang schwierig machen, im Tandem aus geflüchteter Frau und ehrenamtlicher Helferin einen guten Kontakt zueinander aufzubauen, rücken zunächst gemeinsame Aktivitäten wie Musikmachen oder Kochen in den Vordergrund. Teilweise nimmt es viel Zeit in Anspruch, eine am Ehrenamt interessierte Frau kennenzulernen, um ein Gefühl dafür zu bekommen, zu welcher Familie sie passen könnte. Aber auch bei einem gelungenen Start des Tandems gibt es keine Garantie für eine längerfristig stabile Verbindung. Der Anfang ist für alle Beteiligten mit viel geduldiger Verständnisarbeit verbunden. Durch die kulturellen Unterschiede, vorhandene Traumata und Verständigungsprobleme kommt es gerade zu Beginn häufig zu Missverständnissen zwischen den Tandempartnerinnen. In dieser Zeit müssen die Frauen sehr intensiv begleitet und gecoacht werden.
Steht das Tandem aber auf soliden Füßen, beginnen die Familienbegleiterinnen, mit den Frauen ihr neues Lebensumfeld zu erkunden. Dazu gehört auch, Angebote im Stadtteil wahrzunehmen. Häufig bietet sich der gemeinsame Besuch einer Mutter-Kind-Gruppe an, der gemeinsame Gang zum Arzt oder einfach der Besuch eines Cafés oder eines Spielplatzes. Im Jahr 2016 konnten sechs Familienbegleiterinnen geschult und vermittelt werden.
Projektverlauf seit 2017
In den Anschlussunterbringungen hat sich die Situation etwas entspannt, da für die Familien kleine, abgeschlossene Wohneinheiten - und dadurch auch etwas Privatsphäre - zur Verfügung stehen. Allerdings werden viele der Familien aufgrund fehlender Wohnungen länger dort verweilen müssen.
Die Traumatisierungen durch Krieg und Flucht wirkten bei der Zielgruppe der Schwangeren fort: Keine der Frauen hatte eine problemlose Schwangerschaft oder Geburt, da der Alltag für sie weiterhin voll beängstigender Situationen und Unsicherheiten bleibt. Die Probleme reichten von körperlichen Symptomen wie Blutungen bis hin zu Depressionen, Komplikationen bei der Geburt oder Erkrankungen der Neugeborenen. Die erschwerte Verständigung mit behandelnden Ärzt(inn)en kommt hinzu.
Auch die Zeit nach der Geburt ist für die Frauen, die im Herkunftsland meist ein Leben im Familienverbund gewohnt waren, eine besondere Situation. Die erste medizinische Versorgung wird durch eine Familienhebamme auf Honorarbasis gewährleistet; ein Netzwerk interessierter Hebammen wird angestrebt.
Die Pflege und Betreuung ihrer Neugeborenen erschwert vielen Frauen den Einstieg in Deutschkurse, das Üben der Sprache und die Teilhabe am Leben außerhalb des Wohnheims. Geplant sind zielgruppenspezifische Angebote in den Stadtteilen, um Frauen mit Kleinkindern frühzeitig das Deutschlernen zu ermöglichen.
Bei komplexeren Anliegen werden weiterhin Hausbesuche angeboten und Kontakte zu Fachdiensten wie Schwangerschafts- oder psychologischen Beratungsstellen, Jugendämtern oder auch zu Müttertreffs im Stadtteil vermittelt.
Es besteht verstärkt der Wunsch geflüchteter Frauen nach einer Familienbegleitung, dafür müssen aber immer wieder Ehrenamtliche gefunden werden. Seit kurzem hat ein Teil der Familienbegleiterinnen das bisher nicht gekannte Problem, dass sie aufgrund ihres Engagements verbal angegriffen und teilweise beleidigt werden. Meist kommen die verbalen Attacken aus dem Familien- und Freundeskreis. Auch dies ist ein Thema, bei dem die Supervisionstreffen Unterstützung geben.
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