Beim Integrationsprojekt „Zuhause in Bayern“ ist immer was los
Vom Fastenbrechen bis zum Schwimmkurs, vom Beauty-Salon für geflüchtete Frauen bis zum Argumentationstraining gegen Stammtischparolen: Das Projekt "Zuhause in Bayern. Migrantinnen leisten ihren Beitrag zur Förderung der Willkommenskultur"1 des Frauenfachverbandes IN VIA Bayern e.V. hat viele Gesichter. Das Besondere dabei: Migrantinnen, die schon länger in Deutschland leben, engagieren sich seit Juni 2016 an den drei Standorten Würzburg, Nürnberg und Regensburg ehrenamtlich, um weibliche Flüchtlinge zu unterstützen und zu begleiten.
Das Projekt war noch gar nicht am Start, als es schon die erste Auszeichnung für IN VIA Bayern gab: den Bayerischen Innovationspreis Ehrenamt in der Kategorie "Neue Ideen". Was die Jury begeisterte: "Zuhause in Bayern" setzt bei Migrantinnen an. Ziel ist es, sie als ehrenamtliche Multiplikatorinnen zu gewinnen und so ein Netzwerk mit Flüchtlingsfrauen zu knüpfen.
Der Gedanke dahinter: Zugewanderte Frauen, die schon länger in Deutschland leben, können besser verstehen, wie sich die Neuangekommenen fühlen - ihre Unsicherheit, ihre Ängste in einer unbekannten Umgebung. Durch die jahrelangen Bemühungen, ihr Leben in Deutschland neu zu gestalten, haben viele Migrantinnen interkulturelle Kompetenz erlangt - und sind die besten Vorbilder. Ihre Sprachkenntnisse, die Vertrautheit mit dem Wohnort, ihre Erfahrung mit Behörden oder ihr Einblick in das deutsche Schulsystem bilden ein großes Potenzial, das der Integrationsarbeit zugutekommen soll. Profitieren sollen vor allem Mädchen sowie Frauen mit ihren Kindern, deren besondere Situation tendenziell eher übersehen wird.2
Durch ihr bürgerschaftliches Engagement nehmen die Multiplikatorinnen eine aktive Rolle in unserer Gesellschaft ein. Sie definieren ihr Selbstverständnis neu und bauen Vertrauen in die eigenen Kompetenzen auf. Das wiederum fördert ihre Integration und die ihrer Familien.3
Aller Anfang ist schwer
Entstanden ist "Zuhause in Bayern" aus der langjährigen Integrationsarbeit des bei IN VIA Bayern angesiedelten "Kontakt-, Förderungs- und Integrationszentrums für außereuropäische Frauen und deren Familien" (IN VIA Kofiza4). Migrantinnen helfen sich gegenseitig, sie unterstützen sich und ihre Familien dabei, ihre Kompetenzen zu nutzen und zu erweitern. Mit Beratungsstellen in München, Nürnberg und Würzburg, 17 Selbsthilfegruppen und Kontaktfrauen in Bayern und mit Kontakten zu anderen Organisationen im Migrationsbereich verfügt(e) IN VIA Kofiza über ein breites Netzwerk für die Durchführung des Projektes.
Trotzdem war die Suche nach Frauen, die sich ehrenamtlich engagieren wollten, nicht einfach. An den drei Projektstandorten arbeiteten ab Sommer 2016 drei hauptamtliche Mitarbeiterinnen in Teilzeit zunächst daran, das Projekt bekanntzumachen und Kontakte zu (Flüchtlings-)Initiativen und geflüchteten Frauen aufzubauen. Im Mittelpunkt stand das Bemühen, Freiwillige zu finden.
Je nach Standort hatten es die Mitarbeiterinnen zwar mit ganz unterschiedlichen Herausforderungen zu tun, kräftig Werbung für ihr Projekt mussten sie aber alle machen. "Von zehn Frauen, die ich angesprochen habe, sind vielleicht zwei zum ersten Treffen gekommen", erzählt Mouna Bouzgarrou aus Würzburg, die schon vorher in der Flüchtlingsbegleitung arbeitete. Schnell merkte sie, dass der Begriff "Ehrenamt" eine Hemmschwelle war: "Viele Frauen wussten nicht, auf was sie sich da einlassen sollten - zumal es für viele ganz selbstverständlich ist, zu helfen." Auf der anderen Seite sehen die, denen geholfen wird, die Helferinnen eher als Freundinnen oder Familienersatz an. "Das ehrenamtliche Verhältnis ist schwer abzugrenzen, die Übergänge sind fließend", sagt Mouna Bouzgarrou, "eigentlich hilft jeder nach seinen Möglichkeiten." Frauen stärken einander auch über Whatsapp-Gruppen: Fragt eine der Frauen wegen eines Arzt- oder Behördenbesuches an, findet sich meist sehr schnell Unterstützung.
Während sich in Nürnberg im Juni 2016 dank der Vorarbeit von IN VIA Kofiza Nürnberg bereits eine Gruppe aus acht ehrenamtlichen Migrantinnen gefunden hatte, war in Regensburg Fantasie bei der Suche nach Freiwilligen gefordert. Dort gibt es keinen IN?VIA-Kofiza-Stützpunkt. "Unsere Mitarbeiterin radelte durch die Stadt, von Spielplatz zu Spielplatz, und sprach potenzielle Ehrenamtliche an", erinnert sich Rita Schulz, Geschäftsführerin von IN VIA Bayern. Der Erfolg: Im November 2016 fand die erste gemeinsame Grundlagenschulung mit 24 Ehrenamtlichen in München statt. Während die mitgereisten 15 Kinder betreut wurden, erfuhren ihre Mütter viel Wissenswertes zu den Themen "Grundlagen des Ehrenamts", "Hintergrundwissen zur Flüchtlingssituation", "Interkulturelle Kommunikation" oder "Sensibilisierung für Gewalterfahrungen".
Niedrigschwellige Angebote
Seitdem treffen sich die Gruppen an ihren Orten weiterhin, entwickeln gemeinsam Ideen, besuchen Unterkünfte, knüpfen Kontakte und bieten niedrigschwellige Aktivitäten an: Mit Thementreffs (zum Beispiel zum Schul- und Gesundheitssystem), Frauencafés in den Unterkünften oder auch Museums- und Theaterbesuchen erreichen die Ehrenamtlichen viele Geflüchtete, die sonst keine Möglichkeit zum Erfahrungsaustausch sehen. Es sei allerdings nicht immer einfach, einen persönlichen, regelmäßigen Zugang zu Neuankömmlingen zu finden - etwa wenn aus der Helferinnengruppe niemand deren Sprache spricht, erklärt die Nürnberger Projektmitarbeiterin Claudia Sánchez-Wolf. Sie hat beobachtet, dass Veranstaltungen in den Unterkünften stärker besucht werden als außerhalb. Im Folgenden sind drei Beispiele für Aktivitäten aufgeführt, die die ehrenamtlichen Gruppen anbieten.
- Fastenbrechen mit Freundinnen: In Würzburg kamen 2017 an einem Abend im Fastenmonat Ramadan etwa 120 Frauen und Kinder unterschiedlicher Herkunft zusammen, um nach Sonnenuntergang gemeinsam zu essen, zu feiern - und einander kennenzulernen. Sie teilten ein reichhaltiges Buffet, die Freude über ein heiteres Familienfest und nicht zuletzt so manche Erfahrung in Sachen Integration. Das Fastenbrechen war eine gute Gelegenheit, in einer großen Gemeinschaft mit einem "geschützten Rahmen" Kontakte außerhalb der Familie zu knüpfen und Fragen über das Leben hierzulande zu stellen.
- Schönheitssalon für Flüchtlingsfrauen: Ein Besuch im "Beauty-Salon" des Projekts "Zuhause in Bayern" ließ geflüchtete Frauen in Regensburg den Alltag vergessen und neuen Mut schöpfen. Für Layla, eine junge Mutter aus dem Irak, war das Angebot wie ein Kurzurlaub für Körper, Geist und Seele: "Wenn ich hier bin und mit den anderen Frauen rede, kann ich für einen Moment meine Probleme zu Hause vergessen."
- "Erste-Hilfe-Box für schwierige Lebenssituationen": In Nürnberg schnürten sich ehrenamtlich tätige Migrantinnen ihr eigenes kleines "Rettungspaket". Die Teilnehmerinnen des fünfteiligen Kurses "Gestalte Dein Leben" packten Dinge in eine Pappschachtel, die ihnen künftig helfen sollen, neue Kraft zu schöpfen: von der Telefonnummer der besten Freundin über ein lehrreiches Buch bis zum persönlichen Trostspender. Im Kurs lernten sie, wie sie ihre Stärken neu entdecken, ihre Grenzen ausloten, mit Stress umgehen - und fit werden fürs Ehrenamt.
"Zuhause in Bayern" wächst weiter
Insgesamt engagieren sich im Projekt etwa drei Dutzend Multiplikatorinnen aus 17 verschiedenen Nationen für rund 70 geflüchtete Frauen. An die Ehrenamtlichen richten sich regelmäßige Fortbildungen zu Themen wie Stress- und Traumabewältigung oder Antirassismustraining. Natürlich herrscht stets Fluktuation in den Gruppen, zum Beispiel durch Umzug oder eine neue Beschäftigung.
Dank der Förderung durch das Bayerische Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie und Integration hat "Zuhause in Bayern" nun zwei Ableger in Augsburg und Ingolstadt bekommen. Ziel ist es hier, Multiplikatorinnen zu finden, die Migrantinnen mit Bleibeberechtigung unterstützen.
Einfallsreichtum ist bei der Finanzierung des Projekts gefordert, das zunächst bis Ende 2018 befristet ist. Die Basiskosten (Personalkosten, Fahrtkosten der Hauptamtlichen etc.) werden vom IN VIA Landesverband aus Projektmitteln der Deutschen Fernsehlotterie sowie der "Dr. Harry und Irene Roeser-Bley-Stiftung" getragen.
Anmerkungen
1. Projektleiterin ist Andrea Paul (E-Mail-Kontakt: andrea.paul@invia-bayern.de).
2. Migrantinnen und geflüchtete Frauen - insbesondere Mütter - unterscheiden sich in ihren Bedürfnissen, Fragen und Alltagsschwierigkeiten in der neuen Heimat oft wesentlich von männlichen Migranten und Flüchtlingen. Daher benötigen diese Frauen spezielle Angebote wie zum Beispiel Informationen zu gynäkologischen Fragen oder Möglichkeiten der Kinderbetreuung in Deutschland.
3. Für diesen besonderen Ansatz belegte das Projekt 2016 auch den zweiten Platz beim Bonifatiuspreis des Bonifatiuswerks (Paderborn).
4. In eigener Schreibweise des Projekts: IN VIA KOFIZA.
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