Die Caritas an der Seite der Rohingya
Vielleicht entstand noch nie und nirgendwo in der Geschichte so schnell eine Großstadt. Binnen vier Monaten siedelten sich in Bangladesch 700.000 Menschen - auf einem Areal von rund zwölf Quadratkilometern - dort an, wo wenige Monate zuvor noch völlige Wildnis war. Da, wo der Südostzipfel des Landes an Myanmar grenzt, wo sich noch im Juli 2017 auf den kargen, teils mit Sträuchern, Bambus- und Akazienhainen bewachsenen Hügeln höchstens mal ein paar Bauern aus der Umgebung zum Sammeln von Brennholz hinverirrten, rund 50 Kilometer entfernt von der Küstenstadt Cox’s Bazar, stand innerhalb eines Monats bereits ein rapide expandierendes Meer von aus Plastikplanen und Bambusrohren errichteten Notunterkünften. Zunächst für hunderttausend Menschen. Dann für 200.000. Im Oktober waren es bereits eine halbe Million, bis zum Jahresende 700.000. Wiederum zwei Monate später, im Februar 2018, hat man aus großen Teilen des Camps eine regelrechte Stadt aus dem Boden gestampft, mit unasphaltierten Straßen und Gassen und kilometerlangen Reihen, in denen sich Verkaufs- und Teebuden aneinanderreihen. Heute leben circa eine Million Menschen dort.
Allerdings kamen die Siedler(innen), allesamt Angehörige der Volksgruppe der Rohingya aus Myanmar, nicht freiwillig. Sie wurden gewaltsam aus ihrer Heimat vertrieben. Und dies auf eine so grausame Weise, dass die Vereinten Nationen inzwischen von einem "Musterbeispiel ethnischer Säuberung" innerhalb einer Flüchtlingskatastrophe sprechen, die sie nicht nur als "die am schnellsten wachsende der Welt", sondern auch als die "schlimmste seit Jahrzehnten" bezeichnen.
Schon in der Vergangenheit wurden sie vertrieben
Seit Jahrzehnten auch werden die Rohingya in Myanmar, wo sie im Bundesstaat Rakhine ohne Rechte und ohne Staatsbürgerschaft leben (oder muss man sagen: lebten? Schätzungen zufolge sind bis heute nur mehr 150.000 bis 200.000 Menschen dort übriggeblieben), diskriminiert und verfolgt. Bereits in den Jahren 1978, 1991 und 1992 wurden insgesamt 300.000 Rohingya nach Bangladesch vertrieben. Sie
wohnen in einem Flüchtlingscamp, das sie bis heute nicht verlassen dürfen: Bangladesch gehört nicht zu den Unterzeichnern der UN-Flüchtlingskonvention und muss den Rohingya daher keinen Flüchtlingsstatus zuerkennen. Sie erhalten damit auch keine Arbeitsgenehmigung (abgesehen von Gelegenheitsarbeiten als Tagelöhner). Es ist politisch nicht gewollt, sie in die Gesellschaft in Bangladesch zu integrieren. Den 700.000 Neuangekommenen, deren Camp inzwischen mit dem ihrer Vorläufer zu einem Millionenlager zusammengewachsen ist, droht das gleiche Schicksal.
Dennoch - im Gespräch sind kritische Stimmen kaum zu hören. "Hier müssen wir wenigstens nicht mehr in ständiger Todesangst leben", sagt die 38-jährige Witwe Aline Nessa. "Alles ist besser als in Myanmar. Dort wurden wir wie Tiere behandelt", meint der Familienvater Omar Hamad. Auch wenn man hundert von ihnen befragt, erhält man hundertmal ähnliche Antworten: Alle haben sie in ihrer Heimat das Gleiche entweder selbst erlebt oder mitansehen müssen: Mord, Folter, Plünderungen, Massenvergewaltigungen. Soldaten der Armee von Myanmar griffen Augenzeugenberichten der Rohingya zufolge deren Dörfer an, brannten die Häuser nieder, vergewaltigten junge Mädchen und Frauen vor den Augen ihrer Familie und Nachbarn. Wollte ein Mann sie verteidigen, wurde er getötet. Im günstigsten Fall erschossen. Häufig aber hackten die Soldaten den Männern die Gliedmaßen ab.
"Es ist mir egal, wie ich hier in Bangladesch leben muss", sagt die 25-jährige Julekai Begum. "Ich würde sogar betteln gehen. Hauptsache, ich darf endlich in einem friedlichen Land sein." So gut wie niemand von den Vertriebenen möchte wieder zurück. Die Regierung von Bangladesch hat zwar ein Abkommen mit Myanmar geschlossen, Rohingya-Flüchtlinge wieder zurückzunehmen. Dessen Umsetzung scheitert bis jetzt daran, dass Myanmar keine Garantien gibt, die Flüchtlinge menschenwürdig aufzunehmen und ihnen Rechte zu erteilen. Menschenrechtsorganisationen warnen vor einem solchen Weg "zurück in die Hölle", wie ein Flüchtling im Lager dies nennt. "Aus unserer Sicht", erklärt auch Peter Seidel, Asienexperte bei Caritas international, dem Hilfswerk des Deutschen Caritasverbandes, "ist eine Rückkehr sowieso unmöglich. Es gibt überhaupt nichts, wohin die Menschen gehen könnten. Ihre Dörfer wurden niedergebrannt."
Caritas international unterstützt die Caritas Bangladesch, die von Beginn der Flüchtlingskatastrophe an unentwegt an der Seite der Betroffenen steht. Die Dimension der Hilfe, die die Caritas bisher geleistet hat, ist enorm. Allein in den Monaten September und Oktober 2017 verteilte sie an über 200.000 Rohingya im Camp Lebensmittel (mit Ausnahme von Reis, der vom "World Food Programme" gestellt wird), Kochutensilien, Geschirr, Hygieneartikel, Windeln und andere Hilfsgüter. Danach, als es kälter wurde, gab die Caritas an rund 19.000 Familien Winterdecken und wärmere Kleidung aus. "19.000 Familien, das sind rund 130.000 Menschen", erklärt James Gomes, für die Flüchtlingshilfe zuständiger regionaler Direktor der Caritas Bangladesch, "da die Rohingya-Familien sehr kinderreich sind und eine Familie statistisch durchschnittlich 6,8 Mitglieder hat."
Die Gefahr von Menschenhandel ist besonders hoch
In der Tat sind etwa 70 Prozent der Rohingya-Flüchtlinge Frauen und Kinder. Der Schutz dieser vulnerablen Gruppe ist der Caritas ein besonderes Anliegen. "In großen Camps", so Gomes, "ist die Gefahr von Menschenhandel immer besonders hoch. Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen kam es auch im Rohingya-Lager bereits zu Fällen, in denen junge Mädchen unter fadenscheinigen Gründen abgeworben und zur Prostitution gezwungen wurden. In diesen konkreten Fällen wurden die Zuhälter inzwischen ausfindig gemacht und hinter Schloss und Riegel gebracht. Aber man muss weiterhin auf der Hut sein."
Nur wie? Die Caritas beispielsweise betreut bestimmte Zonen im Camp. Diese wurden ihr von der Regierung und dem UNHCR, dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, übertragen. "Dort hat die Caritas mit Solarenergie betriebene Straßenlaternen aufgebaut", erklärt Hassan Almamun, einer der Planungsmanager des Caritas-Camps. "Sie lässt die Siedlungen nachts auch von abgestellten Sicherheitsleuten bewachen." Zudem besuchten Sozialarbeiter(innen) der Caritas regelmäßig die von ihr betreuten Familien, ergänzt James Gomes. Sie würden sofort bemerken, wenn dort plötzlich Familienmitglieder fehlten, und Nachforschungen anstellen lassen.
Stolz verweist Gomes auf das bisherige Glanzstück der Caritashilfe: eine Modellsiedlung innerhalb des Camp-Abschnitts Kutupalong, die sie für zunächst 182 Familien errichtet hat - eine Siedlung, in der stabile Bambushütten die Zelte aus Plastikplanen ersetzen, mit 60 Meter tiefen Brunnen, die Trinkwasserqualität garantieren, mit Duschen, Toiletten und einem gut funktionierenden Abwassersystem. "Wir hätten noch stabiler bauen können", sagt Dabaraj Dey, der für die Caritas Bangladesch den Bereich der sanitären Anlagen leitet. "Aber es ist eine Auflage der Regierung, dass wir nur semipermanent, also übergangsmäßig, bauen dürfen - als Signal, dass unsere Regierung die Flüchtlinge nicht ewig hierbehalten will. Daher durften wir keine Materialien wie Beton oder Zement einsetzen und verwendeten nur Bambus. Lediglich in den Abflussrinnen trugen wir eine ganz dünne Zementschicht auf, sonst würde das Abwasser sofort im Sand versickern."
Die Bambussiedlung macht Schule
Das Flüchtlingshilfswerk UNHCR, das zusammen mit der Regierung die Vergabe von Zonen an Nichtregierungsorganisationen koordiniert, ist von der Modellsiedlung der Caritas dermaßen angetan, dass es anderen Hilfsorganisationen riet, diesem Beispiel zu folgen. Noch vor dem erwarteten Einsetzen der Regenzeit sollen die weiteren Übergangsbauten fertig werden, damit die Flüchtlinge nicht während des Monsuns im Schlamm versinken und damit drohende Erdrutsche vermieden werden. Dies wird ein Wettlauf gegen die Zeit. Die Caritas ist allerdings zuversichtlich, dass sie für weitere Zigtausende Menschen noch rechtzeitig Hütten und Sanitäranlagen errichten kann. Dazu beschäftigt sie ein Heer von Baukräften und bezieht die Rohingya, die diese Hütten einmal bewohnen sollen, gegen Bezahlung in die Arbeiten mit ein. So wird diesen ein Einkommen ermöglicht und ein "Lagerkoller" durch untätiges Herumsitzen verhindert.
Wie es mit den Rohingya weitergehen wird, ob sie jemals wieder in ihre Heimat zurückkehren und dort ein Leben in Frieden und Sicherheit führen können, oder ob sie noch viele Jahre im Camp bleiben müssen - eines steht auf jeden Fall fest: Solange sie in Bangladesch sind, wird die Caritas ständig an ihrer Seite bleiben und ihnen dort das ermöglichen, was sie in ihrer Heimat noch nie hatten: ein Leben in Würde und mit allem ausgestattet, was sie an notwendiger Hilfe brauchen.
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