Mit den Armen und nicht für die Armen arbeiten
Caritas ist ein lateinisches Wort und bedeutet wörtlich "Mildtätigkeit" oder universale Liebe. Wir bevorzugen die Bedeutung "Liebe", welche alle Aspekte des Menschlichen umfasst. Caritas Bangladesch wurde 1971 von der katholischen Bischofskonferenz Bangladeschs gegründet, um Maßnahmen sozialer Wohlfahrt und Entwicklungsvorhaben umzusetzen. Caritas Bangladesch hat zurzeit mehr als 6000 Mitarbeitende in 234 Büros, einschließlich eines nationalen und acht diözesaner Büros. Das jährliche durchschnittliche Gesamtbudget betrug während der letzten fünf Jahre 1.775.000.000 Bangladeschische Taka (BDT) (rund 21 Millionen Euro). Etwa 35 Prozent davon werden lokal gesammelt oder erwirtschaftet. Siebzig Prozent der Mitarbeitenden von Caritas Bangladesch sind Nichtchristen (zum Beispiel Muslime, Hindus, Buddhisten), bei den "Programmteilnehmern" (oder den Begünstigten) beträgt der Anteil 90 Prozent.
Die Gnade und Liebe Gottes, die sich in Jesus offenbart, ist unser Leitmotiv. Wir verbinden uns untereinander in der Gnade und Liebe, die sich in allen Religionen und Kulturen manifestiert, und in einem Geist der Gemeinschaft möchten wir Zeugnis ablegen von dieser universalen Gnade und Liebe mit und für alle Volksgruppen Bangladeschs. Weitere Grundsätze sind:
- Unsere Zielgruppen sind die ärmsten Schichten der Bevölkerung, unabhängig von Hautfarbe, Kaste, Religion, Rasse, Kultur und Geschlecht.
- Wir streben an, die Grundursachen der Armut nachhaltig zu beseitigen.
- Wir leisten einen Beitrag, die Menschenrechte zu verwirklichen, und widersetzen uns jeder Form von sozialer Diskriminierung.
- Sehr wichtig ist für uns, die Selbsthilfekräfte, Eigenverantwortung und Selbstbestimmung unserer "Programmteilnehmer" zu stärken.
- Wir prüfen sorgfältig, ob Projektmaßnahmen im Einklang mit der Umwelt und nachhaltig sind, so dass die Lebensgrundlagen zukünftiger Generationen gesichert und gestärkt sind.
- Wir respektieren die kulturellen Werte der "Programmteilnehmer" und unterstützen sie darin, ihre kostbaren Traditionen und ihre Lebensweisen zu bewahren.
- Uns ist der partnerschaftliche Dialog wichtig, mit dem Ziel, voneinander zu lernen.
Die Arbeitsansätze
In der Folge des Zyklons von 1970 und des Befreiungskrieges von 1971 begann Caritas Bangladesch mit massiven Nothilfe- und Wiederaufbaumaßnahmen, die bis Mitte der 1970er-Jahre andauerten. Darauf folgten Entwicklungsmaßnahmen, die die Bauern mit Saatgut, Düngemitteln, Wasserpumpen für Bewässerung und Schulungen für eine moderne, technologiebasierte Landwirtschaft unterstützten. Evaluierungen zeigten jedoch, dass durch das materiell unterstützende landwirtschaftliche Projekt zwar die Produktion erhöht wurde, es den landlosen Bauern aber nicht die erhofften Vorteile brachte. Denn man hatte das Projekt ohne jegliche soziale Analyse und Recherche der Machtverhältnisse im Kontext von Bangladesch begonnen. Auf der Basis dieser Erkenntnis entschied sich die Caritas, daraus zu lernen und einen Prozess der Befähigung (Empowerment) anzustoßen, der mit einer gesellschaftlichen Analyse beginnt und fortgesetzt wird, indem Arme gefördert werden, sich selbst zu organisieren und gemeinsam sozial aktiv zu werden.
Um Armut zu mindern, verfolgt Caritas Bangladesch einem ganzheitlichen Ansatz. Dieser fußt darauf, die arme ländliche Bevölkerung durch Bewusstseinsbildung, Förderung von Eigenverantwortung und Solidarität sowie durch Selbstbefähigung zu organisieren und zu mobilisieren. Hierbei wendet Caritas Bangladesch unterschiedliche Methoden an, je nachdem, was im Kontext eines bestimmten Gemeinwesens angemessen ist. Diese Methoden sind:
Soziale Gruppen
Die Caritas unterstützt die Bildung sozialer Gruppen. Sie werden aus erwachsenen Mitgliedern aus Haushalten von armen, marginalisierten und verwundbaren Gemeinschaften gebildet. Diese sozialen Gruppen sind relativ homogen zusammengesetzt, aus Bewohner(inne)n des Dorfes oder einer anderen lokalen Gliederung. Ein Mitglied einer solchen Gruppe zu sein, ist der Ansatzpunkt für Entwicklungen in den einzelnen Haushalten.
Gemeinwesenbasierte Organisationen
Das Konzept der Förderung von gemeinwesenbasierten Organisationen (CBOs = Community-Based Organizations) bezieht sich auf vorhandene traditionelle Organisationsformen verschiedener indigener/marginalisierter/verwundbarer Gemeinwesen und soll diese nachhaltig als Selbstvertretungsstrukturen der Bevölkerung stärken.
CBOs sind selbstverwaltete Organisationen von Bevölkerungsgruppen, die als Vehikel dienen, um Entwicklungsmaßnahmen der Armen voranzubringen, indem sie Anwaltschaft, Lobbying und Vernetzung betreiben. Hierzu gehört, Ressourcen zu mobilisieren, mit lokalen Regierungsbehörden zu kommunizieren, Rechte einzufordern, eigene kulturelle Bräuche auszuüben und diese zu respektieren, Landerhalt und nachhaltige Landnutzung sowie partizipatives Monitoring und Evaluierung durchzuführen.
Von der Bevölkerung selbst gesteuerte Entwicklung
Von der Bevölkerung selbst gesteuerte Entwicklung (People-Led Development = PLD) ist ein Prozess, bei dem sich die Mitglieder eines Gemeinwesens selbst organisieren, um gemeinsame Ziele zu erreichen, indem sie private und öffentliche Ressourcen mobilisieren. Da sie die Eigenkontrolle über alle Angelegenheiten behalten, machen sie Pläne, setzen Maßnahmen um, tauschen Erfahrungen aus, überwachen und evaluieren die Ergebnisse auf partizipatorische Weise, um eine nachhaltige Weiterentwicklung des Gemeinwesens zu fördern.
Die Zielbereiche
Im Rahmen eines partizipativen Prozesses und unter Einbeziehung aller relevanten Akteure wurden die folgenden sechs Zielbereiche identifiziert und im aktuellen strategischen Plan (2014-2019) festgeschrieben:
- Zielbereich 1: Soziale Wohlfahrt und Gemeinwesenentwicklung;
- Zielbereich 2: Förderung qualitativ hochwertiger Bildung;
- Zielbereich 3: Gesundheitsversorgung und Gesundheitserziehung;
- Zielbereich 4: Katastrophenmanagement;
- Zielbereich 5: Umweltschutz und Entwicklung;
- Zielbereich 6: Förderung von indigenen Bevölkerungsgruppen.
Projekte initiieren und implementieren
Caritas Bangladesch versucht, die Erkenntnisse und Methoden aus dem berühmten Werk "Pädagogik der Unterdrückten" von Paulo Freire zu befolgen. Gemäß der Methode des Brasilianers ist der Sozialarbeiter lediglich ein teilnehmender Beobachter, nicht ein Lehrer oder Dozent. Die Menschen sollen selber ihre Probleme identifizieren und diskutieren, durch Fragen geleitet, wenn sie vom zielführenden Weg abkommen. Sie sollen für sich selbst entscheiden, was sie tun können, um das Problem zu lösen. Dies ist im Grunde der Ansatz in den Bildungsmaterialien von Caritas Bangladesch.
Die Gruppenmitglieder werden "Programmteilnehmer" genannt und bestehen aus Männern oder Frauen oder Männern und Frauen. Es sind homogene Gruppen aus marginalisierten Kleinbauern oder landlosen Arbeiter(inne)n. Die Gruppen treffen sich jede Woche oder alle zwei Wochen und sammeln dann jeweils Sparbeiträge in Form eines Mindestbetrages ein, den die Gruppe festgelegt hat. Hierdurch entsteht Selbstbewusstsein, da sie sich selbst beweisen, dass sie nicht zu arm sind, um etwas zu sparen. In Verbindung mit ergänzenden Kleinkrediten von der Caritas sind sie in der Lage, einkommenschaffende Maßnahmen umzusetzen, entweder als Gruppe oder einzeln. Sie werden auch ermutigt, die Ungerechtigkeiten in ihrem Leben zu identifizieren und etwas dagegen zu unternehmen.
Was sind die Aufgaben der Bevölkerung in diesem Prozess?
- Alle Probleme und Bedarfslagen identifizieren und ein oder zwei Themen für die nächsten Schritte priorisieren;
- die Problemursachen analysieren sowie Wege finden, wie man den Bedürfnissen begegnen kann;
- zuerst lokale Ressourcen mobilisieren und danach nach externen Ressourcen Ausschau halten;
- eine erste Projektskizze vorlegen;
- an einem Workshop zur Ausarbeitung eines Projektantrages teilnehmen;
- Mitglied des Komitees zur Projektimplementierung werden;
- alle Schritte der Projektimplementierung begleiten;
- sich am halbjährlichen Monitoring und an der jährlichen Bewertung des Projektes beteiligen;
- signifikant Zeit und Erfahrung für die Endevaluierung des Projektes einbringen;
- an der Langzeitevaluierung der Projektwirkungen (Impact) teilnehmen.
Der bisher beschriebene Prozess kann mit folgenden Worten von Laotse, China, 700 vor Christus, zusammengefasst werden:
Geh zu den Menschen,
lerne von ihnen,
liebe sie.
Beginne mit dem, was sie wissen,
baue mit dem, was sie haben.
Aber mit den besten Führungspersönlichkeiten.
Wenn die Arbeit erledigt und die Aufgabe erfüllt ist,
werden die Menschen sagen: "Wir haben dies selber geschafft."
Um Eigenständigkeit bemühen
Caritas Bangladesch implementiert ihre Projekte hauptsächlich mit Hilfe von Spendengeldern. Sie misst jedoch der Mobilisierung von lokalen Ressourcen (finanziellen und nicht finanziellen) hohe Bedeutung für die Finanzierung und für die finanzielle Nachhaltigkeit der Projekte bei. Um die finanzielle Langzeitabsicherung und Fortsetzung der Projekte zu ermöglichen, mobilisiert Caritas Bangladesch lokale Ressourcen auf vielfältige Weise, zum Beispiel durch:
Fasten-Aktion
Jedes Jahr organisiert die Caritas Bangladesch eine dreimonatige Fasten-Aktion im ganzen Land, insbesondere in den katholischen Pfarreien und deren Einzugsbereichen. Sie erhält dabei von Menschen aller Religionszugehörigkeiten Spenden, Geschenke und allerlei Beiträge. Außerdem spenden die Caritas-Mitarbeitenden in der Fastenzeit einen Teil ihres Lohns und sammeln in Umschlägen tägliche Ersparnisse in ihren Familien.
Lokale Eigenleistungen der Programmteilnehmer oder Begünstigten
Um die Nachhaltigkeit und den Erfolg des Projekts zu gewährleisten, ist es essenziell, die betroffene Bevölkerung zu beteiligen. Caritas Bangladesch aktiviert Eigenleistungen in Form von Geld und Sachleistungen als komplementären Beitrag zu den Projekten. Die lokalen Gemeinwesen spenden auch Land für den Bau von Zyklonschutzbauten, Flutschutzbauten, Schulhäusern, Wohnhäusern, Büros und Straßen.
Mobilisierung von Kapital
Caritas Bangladesch arbeitet zusammen mit der Bevölkerung sowohl für die soziale als auch die ökonomische Entwicklung. Als Teil der ökonomischen Entwicklung regt die Caritas die Menschen in den Gemeinwesen zu wöchentlichen oder zweiwöchentlichen Sparbeiträgen an. Dieses durch Ersparnisse angesammelte Kapital wird für das Caritas-Mikrofinanzprogramm eingesetzt. Ende Juni 2016 betrugen die in das Mikrofinanzprogramm der Caritas eingezahlten Ersparnisse der Mitglieder 1049 Millionen BDT (rund 12,3 Millionen Euro).
Export
"CORR1 - The Jute Works (CJW)", ein Projekt der Caritas Bangladesch, generiert Einkommen durch den Export von Handarbeiten und anderen Artikeln, die von kunsthandwerklich tätigen Landfrauen produziert werden. Ein Teil des Nettoeinkommens aus dem Projekt fließt in die laufenden Kosten kleiner Bildungsprojekte. Das durch den Export erzielte Einkommen von CJW betrug im Haushaltsjahr 2015/2016 mehr als 120 Millionen BDT (rund 1,4 Millionen Euro).
Produktion
Caritas Bangladesch betreibt mehrere technische Bildungseinrichtungen wie die Mirpur-Landwirtschaftswerkstatt und -schule in Dhaka und das technische Schulungszentrum in Bandarban in den Chittagong-Hügeln. Dort werden verschiedene Maschinen und Möbel hergestellt und vermarktet. Das Einkommen, das aus den Schulungsgebühren und dem Verkauf der Produkte erzielt wird, wird für die Finanzierung laufender Kosten der Projekte und für deren Nachhaltigkeit verwendet.
Mitarbeiterbeitrag
Caritas Bangladesch regt ihre Mitarbeitenden an, finanziell zu den Aktivitäten beizutragen. Alle Mitarbeitenden der Caritas spenden regelmäßig monatliche Beiträge (von 50 bis 500 BDT, rund 60 Cent bis sechs Euro) in den Caritas-Solidaritätsfonds sowie einen Teil ihres Lohns für die Fasten-Aktion und für den Bildungsfonds. Außerdem spenden die Mitarbeitenden für Nothilfeprogramme nach Katastrophen wie Zyklone und Überschwemmungen. Nach dem Erdbeben in Nepal spendeten die Mitarbeitenden 50.000 US-Dollar, einen ganzen Tageslohn der gesamten Mitarbeiterschaft.
Gemäß ihrer Strategie, Ressourcen zu mobilisieren, hat Caritas Bangladesch das Ziel, bis zum Jahr 2025 50 Prozent des Gesamtbudgets lokal zu finanzieren.
Mitarbeiterschulung ist der Caritas Bangladesch ein wichtiges Anliegen. Diese beginnt damit, sich einen Überblick über die Identität der Caritas - deren Philosophie, Mandat, Prinzipien und Werte - zu verschaffen, um die richtige Einstellung zu formen. Darauf folgen Schulungen, um die professionellen Kompetenzen weiterzuentwickeln. Als ein Ergebnis dieser Bildungsbemühungen erwarten wir, dass ein muslimischer Mitarbeiter ein besserer Muslim, ein hinduistischer Mitarbeiter ein besserer Hindu, ein christlicher Mitarbeiter ein besserer Christ wird. Ein tägliches Morgengebet ist Teil der laufenden spirituellen Bildung, gefestigt durch ein jährliches Reflexionstreffen.
Herausforderungen
Im Laufe der Jahre hat Caritas Bangladesch eine Reihe von Herausforderungen bewältigt, einige bleiben jedoch weiterhin bestehen. Diese umfassen:
- Argwohn bezüglich der Zielsetzung ihrer Aktivitäten/Dienstleistungen;
- ungünstige Landessituation, unter anderem politische Instabilität und Naturkatastrophen, die sich ständig ereignen;
- Zunahme von Fundamentalismus und Intoleranz in der Folge globaler Ereignisse;
- Erosion von Werten und Moral aufgrund von Gier und Individualismus;
- Abwanderung von gebildeten und kompetenten Minoritäten, inklusive Christen;
- Personalfluktuation, insbesondere von Frauen und Mitarbeitern der mittleren Ebene, die sich bessere Verdienste und Zusatzleistungen erhoffen;
- Vorschreiben von Ideen und Ansätzen durch die externen Donatoren, die wiederum den Förderrichtlinien und Prioritäten ihrer Spender folgen;
- weniger Freiheit und Flexibilität, Zuwendungen im Rahmen des freien Wettbewerbs zu akquirieren;
- Infragestellen der gegenwärtigen Strategie und der Arbeitsansätze der Caritas durch einige der Kirchenoberen.
Schlussbemerkung
Caritas Bangladesch arbeitet mit den Armen (und nicht für sie!). Die Armen bemühen sich selbst um die eigene Entwicklung, und deshalb erkennen sie die Caritas Bangladesch als andersgeartete Organisation und akzeptieren sie als ihre eigene. Gleichzeitig nehmen sie die Caritas Bangladesch als eine katholische Organisation wahr, welche die katholischen Traditionen am Leben hält.
Caritas Bangladesch glaubt: "Niemand ist so arm, dass er/sie nicht anderen etwas geben kann, und niemand ist so reich, dass er/sie nicht von anderen etwas annehmen kann." Dieses Teilen der Gaben, die wir von Gott erhalten haben, macht uns alle menschlicher, würdiger und spiritueller, und führt uns zusammen, um diese Welt zu einem besseren Ort für uns alle zu machen!
Anmerkung
1. Christian Organisation for Relief and Rehabilitation (CORR).
Auf die gelebten Werte kommt es an
Intelligent designte Märkte belohnen menschliche Tugenden
Ein Verband macht sich zukunftsfest
Damit aus einer Krise kein Skandal wird
Ein ungeliebter Kompromiss
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