Popanz Proporz
Ausgewogen", murrte sie. Man hatte die Vorsitzende des Aufsichtsrats kritisch befragt, ob sie denn für all die anstehenden Problemlösungen die richtigen Leute in ihrem Kollegium habe. Das Unternehmen, ein Werk der Wohlfahrtspflege, war rapide gewachsen - und mit ihm die Anforderungen an jedes Mitglied des Aufsichtsrates. Die knappe Antwort der Vorsitzenden konnte sich nicht auf die fachliche Qualifikation aller Mitglieder beziehen. Mit "ausgewogen" war nur gemeint, dass die personelle Besetzung des Gremiums die Kräfteverhältnisse im Umfeld des Sozialwerks widerspiegelte. Stets war darauf geachtet worden, dass die Handlungsfelder des Unternehmens möglichst gut im Aufsichtsrat erkennbar wurden: Der Einzugsbereich des Werks war durch zwei Kommunalbeamte, durch Freiberufler und drei Hauptamtliche der christlichen Gemeinden vertreten. Die Proportionen waren im Lot.
All dies war jedoch nicht geeignet, ein Minus auszugleichen: den Mangel an Fachwissen bei einigen Personen im Aufsichtsrat. Ein Gremium kann aber nur so leistungsfähig sein wie seine Mitglieder zusammen.
Fachliche Eignung ist Pflicht
Für Aufsichtsgremien qualifiziert sind Personen, die, so der Bundesgerichtshof1, die Fähigkeiten haben, die sie zum Beurteilen normaler Geschäftsvorgänge brauchen, und zwar ohne fremde Hilfe. Das bedeutet zum Beispiel für Unternehmen der Wohlfahrtspflege: Weil die staatlichen und ökonomischen Rahmenbedingungen immer komplizierter werden und überdies rasch wechseln, sollte jedes Mitglied des Kollegiums auch ein Gespür haben für die Risikolagen des Werkes und der Branche. Ohne diesen Instinkt und ohne Fachwissen lässt sich kaum noch ein Mandat für Aufsicht und Beratung ordentlich wahrnehmen.
Daher sollte gelten: Qualifikation vor Proporz! Nur eine Ausnahme ist zwingend: In Aufsichtsräten börsennotierter und paritätisch mitbestimmter Firmen müssen mindestens 30 Prozent Frauen und mindestens 30 Prozent Männer sitzen. Diese seit 2016 geltende Norm ist hochumstritten. Der Gesetzgeber hatte nämlich die Einschränkung unterlassen, wonach die weiblichen und die männlichen Interessenten, in die Quote passend, gleichermaßen qualifiziert sein müssen.
Über die Qualifikation in kommunalen Aufsichtsgremien, und zwar in Verwaltungsräten der Sparkassen, gibt es derzeit einen nützlichen Disput. Weil das Bankgewerbe komplizierter geworden ist, fragt man offiziell: Wenn ein noch so tüchtiger Bürgermeister kein ausgeprägtes Bankwissen hat - warum muss er es sein, der proporzgerecht einen Sitz oder gar den Vorsitz im Verwaltungsrat der örtlichen Sparkasse einnimmt?
Eine Obergrenze für die Mitgliederzahl in ihren Gremien - zum Beispiel im Aufsichtsrat - haben viele Unternehmen nicht vorgezeichnet. Für soziale Einrichtungen in katholischer Trägerschaft empfiehlt die Deutsche Bischofskonferenz in ihrer "Arbeitshilfe 182" (Bonn, 2014) eine Eingrenzung auf neun Personen. Demgegenüber nutzen Kollegien ohne fixierte Obergrenze ihren Spielraum nach oben durchaus; denn bei vergrößerter Anzahl der Sitze lässt sich der Proporz rein rechnerisch besser realisieren. So ist auch keine Tendenz zur Verkleinerung, also zur Straffung von Gremien zu erkennen; ein Mehrjahresvergleich von Geschäftsberichten zeigt es.
Personelle Erneuerung nötig
Die Neigung, Aufsichtsgremien möglichst schön proportional zu besetzen - also Quote vor Qualifikation - bedeutet im Grenzfall, dass wenig geeignete "Proporz-Leute" Plätze blockieren; tatsächlich Qualifizierte kommen vorerst nicht zum Zuge. Eine solche Blockade muss aber nicht endlos währen. Vor "Erbhof"-Denken der Etablierten wird mehr und mehr gewarnt. Die zitierte "Arbeitshilfe 182" spricht klar von zeitlicher Befristung der Mandate, von Altersgrenzen und unmissverständlich von personeller Erneuerung der Gremien.
Proporz - das ist nicht mehr als eine Idee für gleichgewichtiges Verteilen. Und ein Popanz ist nicht mehr als ein kurioses Gebilde, allerdings ein warnendes. Dessen Warnung an jedes pflichtbewusste Kollegium lautet: Proporz möglichst nur insoweit, als bei allen auch gleichwertige Fähigkeiten erkennbar sind - zumindest annähernd "proportional".
Anmerkungen
1. Bundesgerichtshof: Urteil vom 15. November 1982, in: BGHZ Bd. 85, S. 293 ff. - Az. II ZR 27/82.
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