Mehr Differenzierung ist nötig
In Krisengebieten steigt die Zahl der Ehen von Minderjährigen. Junge Frauen, die zu uns geflohen sind, berichten, dass Eltern ihre Töchter verheiraten oder einer gewollten Heirat zustimmen, um eine sicherere Flucht, Schutz vor sexueller Gewalt und damit ein Leben in Sicherheit zu ermöglichen. Darunter sind Paare, die in einer engen, vertrauensvollen Beziehung stehen. Wir wissen auch um Verheiratungen, die Gewalt und Missbrauch bedeuten. Geflohene verheiratete Minderjährige kommen aus ganz unterschiedlichen Lebenswirklichkeiten. Und dann gibt es bei uns "Zwangsehen", die mit Flucht nichts zu tun haben. Auf diese weisen wir seit Jahren als großes Problem hin.
In der aktuellen Debatte werden äußerst komplexe und unterschiedliche Sachverhalte mit großer Emotionalität und in Verbindung mit Bedrohungsszenarien verhandelt. Möglichst schnell soll durch eine neue gesetzliche Regelung Abhilfe geschaffen werden. Doch schon der Name des Gesetzes "Bekämpfung von Kinderehen" trifft den Sachverhalt nicht. Es geht um Ehen Minderjähriger. Denn Kinderehen, also Ehen von unter 14-Jährigen, sind nach geltendem Gesetz verboten und werden strafrechtlich geahndet.
Es sollte nicht um Kampf gehen, sondern um den entschiedenen Einsatz für das Kindeswohl. Daher sollten auch oder vor allem begleitende soziale/psychologische Beratung und Jugendhilfemaßnahmen gesetzlich geregelt werden. Werden sie aber leider nicht.
Jeder Fall muss einzeln geprüft werden.
Bei Minderjährigen zwischen 14 und 18 Jahren sollte keinesfalls die Nichtigkeit von im Ausland geschlossenen Ehen erwogen werden. Dies würde eine Reihe von Rechtsfolgen nach sich ziehen, die dem Kindeswohl nicht dienen. Es muss individuelle Einzelfallprüfungen geben, die gegebenenfalls zur Aufhebung der Ehe führen. Dabei ist durch Familiengericht und Jugendamt zu klären, was dem Kindeswohl tatsächlich dient. Auch im Sinne der UN-Kinderrechtskonvention geht es dabei um die Abwägung von Schutzauftrag und Selbstbestimmungsrechten.
Eines muss erwähnt werden: Mit dem Verzicht auf Ausnahmen beim Ehemündigkeitsalter von 18 Jahren sollen Zwangsehen in Deutschland verhindert werden. Dieses Problem wird sich dadurch allein nicht lösen lassen. Es ist jedoch so wichtig, dass eine eigenständige Befassung damit notwendig ist.
So menschlich verständlich der Wunsch nach einfachen Regelungen ist - so sehr widerspricht das den Lebenswirklichkeiten. Sie verlangen anstrengende Differenzierungen. Das muss sich auch in der Gesetzgebung widerspiegeln. Unser Rechtsstaat sichert uns Freiheit und Demokratie.