Nach dem Gesetz ist vor dem Gesetz
Im Leistungserbringungsrecht haben sich einige Neuerungen gegenüber dem bestehenden Recht ergeben. Die Änderungen im Vertragsrecht, die sich in Kapitel 8 des SGB IX befinden, treten zum 1. Januar 2018 in Kraft. Die allgemeinen Grundsätze des Vertragsrechts in § 123 SGB IX läuten einen Paradigmenwechsel ein, indem das sozialrechtliche Dreiecksverhältnis der Eingliederungshilfe zu einem echten Sachleistungsprinzip weiterentwickelt wird. Nach § 123 Abs. 4 ist der Leistungserbringer bei Bestehen einer schriftlichen Leistungs- und Vergütungsvereinbarung im Rahmen des dort vereinbarten Leistungsangebots zur Leistungserbringung an den Leistungsberechtigten verpflichtet. Nach § 123 Abs. 6 hat der Leistungserbringer dementsprechend nun einen unmittelbaren Zahlungsanspruch gegenüber dem Leistungsträger. Bislang war der Zahlungsanspruch gegenüber dem Leistungsträger dem Leistungsberechtigten vorbehalten. Der Leistungserbringer konnte den Leistungsberechtigten bei eventuellen Streitigkeiten um die Durchsetzung des Zahlungsanspruchs lediglich unterstützen. Die neue Leistungsvorschrift wertet der Deutsche Caritasverband als einen Meilenstein. Der Übergang von diesem "Sachleistungsverschaffungsprinzip" in ein echtes Sachleistungsprinzip markiert damit auch im Leistungserbringungsrecht die mit dem Bundesteilhabegesetz (BTHG) beabsichtigte Herauslösung der Eingliederungshilfe aus dem Fürsorgesystem und ihren Übergang in ein Teilhaberecht (s. dazu auch neue caritas Heft 3/2017, S. 23ff. und neue caritas Heft 4/2017, S. 22ff.).
Tariflöhne werden als wirtschaftlich anerkannt
Die § 123 nachfolgenden Vorschriften des Vertragsrechts des BTHG orientieren sich in großen Zügen an den vertrags- und vergütungsrechtlichen Vorschriften des SGB XI. § 124 definiert die Eignung der Leistungserbringer. Sofern geeignete Leistungserbringer vorhanden sind, soll der Eingliederungshilfeträger die Leistung nicht selbst erbringen. Geeignet ist ein Leistungserbringer, wenn er die Leistungen wirtschaftlich und sparsam erbringen kann. In diesem Zusammenhang wird in § 124 Abs. 1 erstmals der externe Vergleich in der Finanzierung der Eingliederungshilfeleistungen rechtlich kodifiziert. Danach ist eine Leistung wirtschaftlich stets angemessen, wenn sie im Vergleich mit der Vergütung vergleichbarer Leistungserbringer im unteren Drittel liegt. Liegt sie oberhalb des unteren Drittels, kann sie wirtschaftlich angemessen sein, sofern sie nachvollziehbar auf einem höheren Aufwand des Leistungserbringers beruht und wirtschaftlicher Betriebsführung entspricht. Dabei sind in den externen Vergleich alle im Einzugsbereich tätigen Leistungserbringer einzubeziehen. Das Gesetz bestimmt nicht näher, wie der Einzugsbereich zu bestimmen ist. Von zentraler Bedeutung ist, dass die tarifliche Vergütung beziehungsweise entsprechende Vergütungen nach kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen stets als wirtschaftlich anerkannt werden. Dafür hatte sich die Caritas im Vorfeld des Gesetzgebungsverfahrens vehement eingesetzt. Dieses Kriterium ist nun im Gesetz verankert. Die Regelung zur Tarifanerkennung kollidiert aus Sicht der Caritas jedoch mit der in § 124 Abs. 3 verankerten Norm, wonach der Träger der Eingliederungshilfe Vereinbarungen vorrangig mit Leistungserbringern abzuschließen hat, deren Vergütung bei vergleichbarem Inhalt, Umfang und Qualität der Leistung nicht höher ist als die anderer Leistungserbringer. Es bleibt abzuwarten, ob und wie dieses Relikt aus dem alten Recht in der Praxis mit den getroffenen Neuregelungen zur Tarifanerkennung und zum Anspruch geeigneter Leistungserbringer auf den Abschluss einer Leistungsvereinbarung wirkt.
Die Eignung eines Leistungserbringers hängt nach § 124 Abs. 2 des Weiteren von der Beschäftigung von entsprechendem Fach- und Betreuungspersonal ab. Das Fachpersonal muss zusätzlich zu einer entsprechenden professionellen Qualifikation ausdrücklich über die Fähigkeit zur Kommunikation in einer für den jeweiligen Leistungsberechtigten wahrnehmbaren Form verfügen.
Die Caritas forderte das erweiterte Führungszeugnis
Des Weiteren schafft das BTHG die Rechtsgrundlage für die Einholung eines erweiterten Führungszeugnisses, das den Schutz von Menschen mit Behinderung vor Personen gewährleisten soll, die wegen Straftaten gegen die sexuelle und persönliche Selbstbestimmung vorbestraft sind. Dafür hatte sich der Deutsche Caritasverband im Gesetzgebungsverfahren nachdrücklich eingesetzt und gefordert, dass sich das erweiterte Führungszeugnis neben den Hauptamtlichen auch auf ehrenamtlich tätige Personen erstreckt, die in Ausübung ihrer Aufgaben Kontakt zu Menschen mit Behinderung haben. Ferner hatte die Caritas gefordert, dass das Testat mit einem Beschäftigungsverbot einschlägig vorbestrafter Personen verbunden wird. Beiden Forderungen hat der Gesetzgeber in den parlamentarischen Beratungen zum Kabinettsentwurf Rechnung getragen. Das erweiterte Führungszeugnis soll nun sowohl in Bezug auf das Fachpersonal als auch in Bezug auf ehrenamtlich Tätige eingeholt und in regelmäßigen Abständen vorgelegt werden. Rechtsgrundlage hierfür stellt § 75 Abs. 2 SGB XII dar, der bereits zum 1. Januar 2017 in Kraft getreten ist. Nötig ist aus Sicht der Caritas nun noch eine aus juristischen Gründen erforderliche Ergänzung im Bundeszentralregistergesetz.
Die Frage nach den Investitionskosten bleibt offen
In § 125 SGB IX wird die Leistungs- und Vergütungsvereinbarung geregelt. Neu gegenüber dem bestehenden Recht ist, dass die Leistungsvereinbarung neben Inhalt, Umfang und Qualität auch die Wirksamkeit der Leistungen der Eingliederungshilfe umfasst (§ 125 Abs. 1 Satz 1 Nummer 1 SGB IX). Dies ist problematisch, solange es keine validen (gültigen) und reliablen (zuverlässigen) Kriterien zur Messung der Wirksamkeit gibt. Im SGB-XI-Bereich hat die Entwicklung von ergebnisqualitätsorientierten Kriterien zur Messung der Wirksamkeit einer Leistung viele Jahre gedauert. Kritisch zu bewerten ist, dass die betriebsnotwendigen Investitionskosten nur noch als Bestandteil der Leistungsvereinbarung angesehen werden, soweit dies erforderlich ist. Nach bisherigem Recht waren sie noch wesentliches Merkmal der Leistungsvereinbarung, was auch sachgerecht ist.
Von großer Bedeutung ist, dass nicht mehr nur die Vergütungsvereinbarung, sondern nach § 126 Abs. 2 mit dem BTHG nun auch die Leistungsvereinbarung schiedsfähig wird. Das entspricht einer langjährigen Forderung der Caritas. Die Schiedsfähigkeit der Leistungsvereinbarung war bereits im Referentenentwurf zum BTHG enthalten und ist als echte Errungenschaft und großer Meilenstein des Gesetzes zu betrachten. Die Regelung war bis zum Schluss umstritten. So hatte sich der Bundesrat vehement für ihre Streichung eingesetzt. Das Schiedsverfahren kann nach § 126 Abs. 2 eingeleitet werden, wenn es nicht innerhalb von drei Monaten, nachdem eine Partei zu Verhandlungen aufgefordert hat, zu einer schriftlichen Vereinbarung gekommen ist. Bisher galt eine Frist von nur sechs Wochen für die Anrufung der Schiedsstelle. Der Deutsche Caritasverband hatte sich vehement für die Beibehaltung dieser Sechswochenfrist eingesetzt, jedoch ohne Erfolg. Festsetzungen der Schiedsstelle werden, soweit keine andere Festlegung getroffen wurde, rückwirkend mit dem Tag wirksam, an dem der Antrag bei der Schiedsstelle in seiner letzten Fassung eingegangen ist, also auch nach der letzten Änderung. Anträge müssen angesichts der oft langen Dauer von Schiedsstellenverfahren jedoch oftmals während des laufenden Verfahrens geändert werden, zum Beispiel aufgrund von nicht vorhersehbaren Veränderungen durch Tarifabschlüsse. Solche Änderungen müssen, wie bisher auch, berücksichtigungsfähig sein. Daher sieht die Caritas die Begrenzung auf den Tag des Antrags als nicht sachgerecht. Dies wird in der Praxis dazu führen, dass die Schiedsstelle vermutlich sehr zeitig angerufen wird, um die Fristen zu wahren. Der Deutsche Caritasverband wird die Auswirkungen der Neuregelung in der Praxis daher beobachten.
Es fehlen valide Kriterien zur Wirksamkeit der Leistung
Mit § 128 SGB IX wird ein gesetzliches Prüfungsrecht der Einrichtungen und Dienste eingeführt. Dieses ist gemäß § 79 SGB XI den Wirtschaftlichkeitsprüfungen im Bereich der Pflegeversicherung nachgebildet und greift ein Anliegen der Länder auf. Bisher gab es in § 75 SGB XII nur eine Kann-Vorschrift zur Prüfung der Wirtschaftlichkeit und Qualität der Leistungen in Form einer Prüfungsvereinbarung. Wirtschaftlichkeits- und Qualitätsprüfungen können nach neuem Recht jedoch nur durchgeführt werden, soweit tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass ein Leistungserbringer seine vertraglichen oder gesetzlichen Pflichten nicht erfüllt. Dies ist aus Sicht des Deutschen Caritasverbandes auch sachgerecht. Von dieser einschränkenden Voraussetzung kann jedoch nach Landesrecht abgewichen werden, was die Caritas leider ohne Erfolg abgelehnt hat. Die Prüfungen können nach § 128 Abs. 2 unangemeldet erfolgen und erstrecken sich auf Inhalt, Umfang, Wirtschaftlichkeit und Qualität der Leistungen einschließlich der Wirksamkeit der erbrachten Leistungen. Auch hier gilt, was oben schon ausgeführt wurde: Für die Wirksamkeit der Leistungen gibt es im Bereich der Eingliederungshilfe bisher keine validen und reliablen Kriterien. Diese sind nach Auffassung des Deutschen Caritasverbands zu entwickeln, bevor eine Prüfung der Wirksamkeit durchgeführt werden kann, die dann auch gerechtfertigt ist. Wenn ein Leistungserbringer seine gesetzlichen oder vertraglichen Pflichten nicht einhält, kann nach dem neuen Recht die Vergütung für die Dauer der Pflichtverletzung gekürzt werden (§ 129 Abs. 1). Auch diese Regelung ist dem Vertrags- und Vergütungsrecht des SGB XI nachgebildet. Über die Höhe des Kürzungsbetrags ist zwischen den Vertragsparteien Einigung herzustellen. Bei grober Pflichtverletzung kann der Träger der Eingliederungshilfe die Vereinbarungen mit dem Leistungserbringer gemäß § 130 kündigen. Der Bundesrat hatte im parlamentarischen Verfahren statt dieses außerordentlichen Kündigungsrechts sogar ein ordentliches Kündigungsrecht gefordert, was im parlamentarischen Verfahren jedoch abgewendet werden konnte.
Es gibt Widersprüche
Die Landesrahmenverträge werden in § 131 SGB IX geregelt. Neu gegenüber dem bestehenden Recht ist, dass die Vertragspartner nach § 131 Abs. 1 Nummer 3 nunmehr nicht nur die Inhalte, sondern auch die Höhe der Leistungspauschalen bestimmen sollen. Dies kollidiert mit der Regelung, dass die Höhe der Vergütungen nach § 123 SGB IX zwischen Leistungserbringer und Leistungsträger zu vereinbaren ist. Die Festlegung der Höhe der Leistungspauschalen in den Rahmenverträgen ist umso problematischer, als die Rahmenverträge weiterhin nicht schiedsfähig sind, wofür sich die Caritas eingesetzt hatte. Dies war jedoch angesichts der Tatsache, dass schon die Schiedsfähigkeit der Leistungsvereinbarung von den Ländern angegriffen wurde, im parlamentarischen Verfahren nicht durchsetzbar. Des Weiteren wurde in § 131 Abs. 2 festgelegt, dass die Leistungsberechtigten am Zustandekommen der Rahmenverträge durch ihre maßgeblichen Interessenvertretungen zu beteiligen sind, was die Caritas begrüßt.
Fazit: Insgesamt werfen die Regelungen zum Leistungserbringungsrecht Licht und Schatten. Die Caritas wird die Ausgestaltung des Leistungserbringungsrechts in der Praxis eng begleiten. Und: Nach dem Gesetz ist vor dem Gesetz.
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