Gutes Zeugnis für die Arbeit der Schwangerschaftsberatung
Jedes Jahr kommen über 100.000 Ratsuchende in die Katholische Schwangerschaftsberatung in Trägerschaft von Caritas und Sozialdienst katholischer Frauen (SkF). Sie befinden sich häufig in prekären Lebens- und Arbeitsverhältnissen, die durch eine (weitere) Schwangerschaft verschärft werden können. Die Verantwortlichen in der Katholischen Schwangerschaftsberatung haben sich in den letzten Jahren verstärkt mit schwangerschaftsbedingten Armutslagen beschäftigt. Dabei kristallisierte sich die Frage heraus, inwiefern die vermutete Unterschiedlichkeit der Lebenslagen von Berater(inne)n und Ratsuchenden einen Einfluss hat auf den Zugang der Ratsuchenden zur Beratung, auf die Kommunikation, die jeweiligen Erwartungen an den Beratungsprozess und schließlich auf dessen Nutzen und Erfolg. So entstand die Idee, diese Fragestellung in ein Forschungsprojekt für den Fachbereich Katholische Schwangerschaftsberatung einfließen zu lassen.
Der Deutsche Caritasverband (DCV) und der SkF Gesamtverein beauftragten das Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik (ISS) mit dem auf zweieinhalb Jahre angelegten Forschungsprojekt "Leben in verschiedenen Welten?! Evaluation der Katholischen Schwangerschaftsberatung im Hinblick auf Zugänge, Kommunikation und Beratungsinstrumente". Es handelt sich um eine quantitative und qualitative Befragung von Ratsuchenden und Berater(inne)n. Die Forschung ist in der Praxis auf ein hohes Interesse gestoßen: In beiden Befragungsgruppen konnten repräsentativ Stichproben gewonnen werden.
Seit September 2014 liegt der Abschlussbericht des ISS in einer Kurz- und der Langfassung vor. Am 1. Oktober 2014 hat in Köln die Abschlusstagung des Projekts stattgefunden. Knapp 90 Teilnehmende mit unterschiedlichen Funktionen innerhalb des Fachdienstes haben sich mit den Ergebnissen der Studie auseinandergesetzt und aufgeworfene Fragen diskutiert. Erste Eckpunkte für eine verbandliche Bewertung wurden vorgestellt.
Hohe Zufriedenheit der Ratsuchenden
Ratsuchende und Berater(innen) leben tatsächlich "in verschiedenen Welten". Die Studie belegt das durch Unterschiede hinsichtlich Alter, Bildung und Erwerbstätigkeit sowie in den Werten und Einstellungen zu Familie, Glaube und Kirche.
Sichere Beschäftigungsverhältnisse stehen prekären Arbeitssituationen gegenüber. Ein hohes Bildungsniveau und mehr Lebens- und Berufserfahrung der Berater(innen) aufgrund ihres Alters kontrastieren mit dem meist niedrigeren Bildungsstand und weniger Lebenserfahrung seitens der Ratsuchenden. Die Berater(innen) sind insgesamt mit ihrer Lebenssituation zufriedener als die Ratsuchenden. Allerdings gab es zwischen beiden befragten Gruppen eine große Nähe in der subjektiven Zufriedenheit mit der Lebenssituation allgemein und der Zufriedenheit mit Familie und den eigenen Kindern.
Berater(innen) stehen pluralistischen Familienbildern und -rollen aufgeschlossener gegenüber als Ratsuchende, die eher das traditionelle Familienbild mit konservativen Werten vertreten. Den Berater(inne)n ist die eigene Religionszugehörigkeit generell wichtiger als den Ratsuchenden.
Diese Unterschiede - und dies ist entscheidend - haben keinen Einfluss auf das Beratungsgeschehen, auf die Zufriedenheit der Ratsuchenden mit der Beratung und auf deren Nutzen. Die Berater(innen) erfüllen ihre professionelle Rolle.
Die in der Studie befragten Ratsuchenden stellen dem Fachdienst Katholische Schwangerschaftsberatung ein sehr gutes Zeugnis aus: Ihre Zufriedenheit mit den Berater(inne)n und mit der erfolgten Beratung sowie der von ihnen wahrgenommene Nutzen sind hoch. Die Studie kommt zum Ergebnis, dass der Fachdienst in seiner Angebotsstruktur gut aufgestellt und zukunftsfähig ist.
Bekanntheit der Angebote im sozialen Umfeld
Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass viele Ratsuchende über Empfehlungen aus ihrem sozialen Umfeld von der Schwangerschaftsberatung erfahren haben. Diese ist gut bekannt und ausgelastet; dabei erreicht sie vor allem Frauen und Paare in prekären Lebenssituationen und damit "typische Klientel der verbandlichen Caritas". Möchte die Katholische Schwangerschaftsberatung darüber hinaus neue Zielgruppen erschließen, so die Studie weiter, sollte sie sich Gedanken über zusätzliche Zugänge wie zum Beispiel über die Nutzung der Möglichkeiten des Web 2.0 (soziale Medien) machen.
Die zu Beginn des Forschungsprojekts formulierte These, das Aufsuchen einer Schwangerschaftsberatungsstelle sei mit Hemmungen belegt, konnte durch die Befragung der Ratsuchenden widerlegt werden. Der Zugang zur Beratungsstelle ist meist weder mit Gefühlen der Ausgrenzung noch der Scham verbunden, sie ist insgesamt niedrigschwellig. Die Ratsuchenden sind über ihre sozialen Netzwerke informiert über das Angebotsspektrum der Schwangerschaftsberatung und wissen, was sie dort erwarten können.
Angebote sind passgenau
Die Studie zeigt auf, dass oft drei verschiedene Anliegen zusammenkommen, um eine Schwangerschaftsberatungsstelle aufzusuchen: Meist besteht ein Bedarf an Information, oftmals liegt eine wirtschaftliche Notlage vor, verbunden mit einer "emotionalen Instabilität", die sich für die Ratsuchenden in Überforderung, Verzweiflung, Ängsten und einem Gefühl der Lähmung zeigen kann.
Sowohl die Berater(innen) als auch die Ratsuchenden kommen in der Studie zum Ergebnis, dass die Angebotspalette der Katholischen Schwangerschaftsberatung umfänglich und zugleich passend ist. Die Ratsuchenden nehmen punktuelle Entlastung und Verbesserungen in ihrer Informiertheit, ihrem psychischen Wohlbefinden und ihrer finanziellen Lage wahr.1
Eine weitere Bereicherung des Spektrums könnte im Aufbau zusätzlicher Gruppenangebote zum Beispiel für Frauen mit Migrationshintergrund liegen oder in stärker sozialräumlich ausgerichteten Angeboten. Öffnungszeiten und telefonische Erreichbarkeit der Beratungsstellen wurden in einigen Fällen von Ratsuchenden kritisch angemerkt.
Die Professionalität der Berater(innen) sorgt dafür, dass sie sich trotz der unterschiedlichen Lebenslagen und Lebenswelten individuell auf die komplexer werdenden Problemlagen der Ratsuchenden gut einlassen und passgenaue Unterstützung bieten können.
Beratungskräfte sind weniger zufrieden
Die Studie zeigt, dass sich die Ratsuchenden eine lösungsorientierte Beratung wünschen, die geprägt ist von Dialog und Rat. Wenn sie Ratschläge bekommen, sind sie interessiert, was im Sinne eines nächsten Schrittes konkret zu tun ist. Die Berater(innen) hingegen halten die Vorgabe von Lösungen für wenig hilfreich - sie verfolgen den Anspruch, zur "Hilfe zur Selbsthilfe" zu befähigen.
Insgesamt sind die Ratsuchenden mit der erfolgten Beratung zufriedener als die Berater(innen) selbst: Diese wünschen sich beispielsweise, mehr von ihrem Wissen und Können einbringen zu können. Auch mit Blick auf die Rahmenbedingungen zeigen sich die Berater(innen) in der Studie mit einigen Aspekten ihrer Arbeitssituation nicht zufrieden. Dies betrifft etwa den Arbeitsumfang - in den letzten Jahren sind durch eine Erweiterung des gesetzlichen Auftrags ihre Aufgabengebiete ausgeweitet worden, nicht aber die personelle und finanzielle Ausstattung der Beratungsstellen. Auch teilweise fehlende Supervisionsangebote und der "Einfluss der katholischen Kirche" auf die Beratungstätigkeit werden kritisch benannt.
Gleichwohl haben die Berater(innen) einen Weg gefunden, wie sie mit den weniger zufriedenstellenden Aspekten ihrer Arbeitssituation kompensierend umgehen, so dass der Erfolg der Beratung aus Sicht der Ratsuchenden davon unberührt bleibt. Deutlich wird, dass es noch einer fachbereichsinternen Auseinandersetzung mit dem Thema Anspruch und Wirklichkeit bedarf, mit Überforderungstendenzen der Berater(innen) und der Frage, was geschehen muss, damit sie zufriedener mit ihrer geleisteten Arbeit sind.
Bedeutung des katholischen Profils
Die Katholische Schwangerschaftsberatung ist dem doppelten Lebensschutzauftrag von Kirche und Staat verpflichtet. Das Lebensschutzkonzept als Fundament der Beratungsarbeit umfasst alle Phasen des Lebens von der Zeugung bis zum Tod des Menschen. Ein besonderes Kennzeichen des Konzepts der Katholischen Schwangerschaftsberatung ist die enge Verknüpfung von psychosozialer Beratung und der Vermittlung konkreter Hilfen, um den Ratsuchenden eine umfassende, passgenaue und individuelle Unterstützung während der Schwangerschaft und über die Geburt hinaus anzubieten und damit Perspektiven für ein Leben mit dem Kind zu entwickeln. Wie bereits erwähnt, gelingt es den Berater(inne)n, die Bedürfnisse aus Sicht der Ratsuchenden in passgenaue Unterstützungsangebote zu übersetzen.
Mit dem Begriff "Schutz des ungeborenen Lebens" verbinden die befragten Berater(innen), "bei den Menschen" zu sein. Gleichwohl definieren sie ihre Beratungstätigkeit nicht nur über den "Schutz des ungeborenen Lebens".
Seit dem Ausstieg aus dem staatlichen System der Schwangerschaftskonfliktberatung sind die Zahlen der Beratungen im existenziellen Schwangerschaftskonflikt deutlich zurückgegangen. Frauen in dieser Notsituation erreicht die Katholische Schwangerschaftsberatung nicht mehr in dem Maße, wie es ihren Ansprüchen und ihrem Auftrag entspricht. Auch wenn der Begriff "Lebensschutz" oft enggeführt wird auf die Beratung im existenziellen Schwangerschaftskonflikt bis zur zwölften Schwangerschaftswoche, ist das Lebensschutzkonzept der Katholischen Schwangerschaftsberatung weiter gefasst. Vielleicht bedarf es innerhalb und außerhalb des Fachbereichs einer erneuten Sensibilisierung dafür, dass die Katholische Schwangerschaftsberatung auch über die zwölfte Schwangerschaftswoche hinaus vielfältig dem Lebensschutz von Mutter und Kind dient. Als konkrete Beispiele können Beratungen im Kontext von vorgeburtlichen Untersuchungen, bei zu erwartender Behinderung des Kindes sowie im Zusammenhang mit vertraulicher Geburt benannt werden. Der Lebensschutzgedanke spielt in allen Beratungen, in denen es um Haltungsfragen und Entscheidungsprozesse geht, eine Rolle.
Die Ratsuchenden messen dem Glauben und der Religionszugehörigkeit eine niedrigere Bedeutung zu als die Berater(innen). Für drei Viertel der Berater(innen) spielt der individuelle Glaube eine wichtige Rolle im Leben. Sie betrachten ihn als identitätsstiftend, trostspendend und als Heimat. Dabei differenzieren sie zwischen eigenem Glauben und der Institution katholische Kirche. Sie sehen ihren Glauben wertschätzender, menschlich und individuell unterstützender als beispielsweise den Wertekanon der katholischen Kirche. Diesen sehen mehr als die Hälfte der Berater(innen) als "eher unpassend" zu den aktuellen Lebenssituationen der Ratsuchenden an. So ist ein Drittel der Beraterinnen der Auffassung, die Wertvorstellungen der katholischen Kirche - zum Beispiel zur Sexualmoral - passten "nicht in unsere Gesellschaft".
Ansätze für die fachliche Weiterentwicklung
Die Studie "Leben in verschiedenen Welten?!" generiert neben all dem Positiven und Bestätigenden auch Ergebnisse, die zur fachdienstinternen Reflexion einladen. Ihre Impulse für die fachliche Weiterentwicklung beziehen sich unter anderem auf:
- den vorzubereitenden Generationenwechsel bei den Berater(inne)n;
- strukturelle Rahmenbedingungen der Beratungsstellen;
- das spezifische katholische Profil mit Fragen zum Lebensschutzkonzept und Selbstverständnis der Schwangerschaftsberatung;
- Öffentlichkeitsarbeit zur Erschließung neuer Zielgruppen, dabei Nutzung des Web 2.0 (soziale Medien);
- die Beratungspraxis im Spannungsfeld zwischen Anspruch und Wirklichkeit;
- die Nutzung der Ergebnisse zur Perspektiverweiterung auf die Sichtweisen der Ratsuchenden.
Diese Punkte werden in einer verbandlichen Bewertung von DCV und SkF aufgegriffen und sind Grundlage für die weitere fachdienstinterne Beschäftigung.
Mit der Evaluation konnten vielfältige Ergebnisse generiert werden, die nun von allen Akteuren des Fachbereichs auf der Orts-, Diözesan-, und Bundesebene für eine interne Auseinandersetzung, aber auch für die Außendarstellung im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit nutzbar sind.
Anmerkungen
1. Aus den Studienergebnissen lässt sich aber nicht ableiten, wie weit die Beratung zu nachhaltigen, mittel- und langfristigen Veränderungen ihrer Lebenssituation beiträgt.
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