Bundesarbeitsministerin breitet neue Pläne aus
Die Arbeitsmarktzahlen sind derzeit sehr positiv. Das kann man täglich in vielen Zeitungen und politischen Magazinen lesen. Völlig aus dem Blick gerät dabei, dass wir in Deutschland über 600.000 Menschen haben, die seit Einführung des SGB II dauerhaft ohne Arbeit sind.1 Viele dieser Menschen haben mehrfache Vermittlungshemmnisse wie zum Beispiel gesundheitliche Einschränkungen, keinen Bildungsabschluss, einen fehlenden oder veralteten Berufsabschluss oder mangelnde Sprachkenntnisse. Die Zahlen, wie viele dieser Menschen realistischerweise keine Chance auf Integration in den ersten Arbeitsmarkt haben, schwanken je nach Datenquelle und Abschätzungsmethode: So geht das Institut für Arbeit und Berufsforschung in Nürnberg davon aus, dass zwischen 100.000 und 200.000 Personen betroffen sind.2 Andere Forscher schätzen, dass über 400.000 Personen ohne Arbeitsmarktchance sind.3
In den vergangenen Jahren sind die Fördermaßnahmen trotz der hohen Zahl dauerhaft arbeitsloser Personen zurückgegangen (siehe Tabelle S. 10). Besonders stark fällt der Rückgang bei den Arbeitsgelegenheiten aus: Im Vergleich zu 2010 erhalten heute nur noch circa ein Drittel der Personen ein solches Angebot.
Langzeitarbeitslose brauchen eine passgenaue und individuelle Förderung. Diese Erkenntnis hat auch Bundesarbeitsministerin Nahles zum Anlass genommen, im November 2014 ein Konzept zum Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit vorzustellen. Diesen Vorschlag diskutiert das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) gegenwärtig mit dem zuständigen Bundestagsausschuss und den Ländern, aber auch mit den kommunalen Spitzenverbänden, den Sozialpartnern und den Wohlfahrtsverbänden. Am 3. März 2015 hat eine weitere Dialogveranstaltung im BMAS stattgefunden, bei der auch der Deutsche Caritasverband (DCV) Gelegenheit hatte, seine Anregungen einzubringen.
"Chancen eröffnen - soziale Teilhabe sichern", so ist das Konzept des BMAS überschrieben. Vorgestellt werden fünf Bausteine, die zu einer besseren Arbeitsmarktintegration von Langzeitarbeitslosen beitragen sollen. Ausgangsüberlegung dabei ist, dass die jeweilige Situation langzeitarbeitsloser Personen sehr heterogen ist und infolgedessen verschiedene Förderansätze zum Einsatz kommen müssen.
Bessere Betreuung und Aktivierung
Die Praxiserfahrungen zeigen, dass eine gute Betreuung zentral für eine erfolgreiche Vermittlung in Arbeit ist. Langzeitarbeitslose müssen zur Überwindung ihrer spezifischen Vermittlungshemmnisse gebündelte Unterstützungsleistungen erhalten. Um dies zu erreichen, möchte das BMAS ab Mitte 2015 zusätzliche Netzwerke Aktivierung, Beratung und Chancen (im Ursprungskonzept noch Aktivierungszentren genannt) einrichten, die Anfang 2016 arbeitsfähig sein sollen. Der DCV hat angemahnt, dass auch die Freie Wohlfahrtspflege in diese Netzwerke eingebunden werden muss. Unsere Einrichtungen und Dienste haben hier eine spezifische Kompetenz, insbesondere in der Arbeit mit Langzeitarbeitslosen mit Vermittlungshemmnissen.
Gefördert werden sollen im Rahmen einer besseren Aktivierung auch Alleinerziehende, indem mehr Kinderbetreuungsangebote in Randzeiten zur Verfügung gestellt werden. Die Erfahrungen, die im Bundesprojekt 50plus über Jahre bei der Integration älterer Langzeitarbeitsloser gesammelt wurden, sollen in die Regelförderung überführt werden. Deshalb sollen 1000 Jobcenter-Stellen des auslaufenden Bundesprogramms erhalten bleiben.
Für das neue ESF-Bundesprogramm, das im Konzept des Ministeriums erwähnt ist, liegen seit dem 19. November 2014 bereits die Förderrichtlinien vor. Gefördert werden sollen 33.000 Teilnehmer(innen) unter folgenden Bedingungen: Sie müssen mindestens zwei Jahre ohne Unterbrechung arbeitslos sein, das 35. Lebensjahr vollendet haben, über keinen oder keinen verwertbaren Berufsabschluss verfügen und voraussichtlich nicht in den ersten Arbeitsmarkt integrierbar sein.
Neues ESF-Programm zur Eingliederung
Neben einem Lohnkostenzuschuss für die Arbeitgeber stehen auch Mittel für die Betriebsakquise der Jobcenter und das individuelle Coaching der geförderten Personen zur Verfügung. Der Lohnkostenzuschuss ist degressiv ausgestaltet: In der sechsmonatigen "Einstiegsphase" beträgt er 75 Prozent, in der neunmonatigen "Stabilisierungsphase" 50 Prozent und in der dreimonatigen "Leistungsphase" 25 Prozent. Es besteht eine sechsmonatige Nachbeschäftigungspflicht ohne Lohnkostenzuschuss.
Für Personen mit besonders schweren Vermittlungshemmnissen, die fünf Jahre arbeitslos waren und mindestens ein weiteres in ihrer Person liegendes Hemmnis haben, gibt es eine Förderung von drei Jahren. Im zweiten Jahr sinkt der Lohnkostenzuschuss von 75 auf 65 Prozent, im dritten auf 50 Prozent. Auch das begleitende Coaching wird im Umfang reduziert. Eine Nachbeschäftigungspflicht ist für diese Gruppe nicht vorgesehen.
Ende März sollen die Förderbescheide an die Jobcenter verschickt werden, die am Programm teilnehmen. Dann wird auch erst wirklich Klarheit herrschen, ob und in welchem Umfang Caritaseinrichtungen teilnehmen können. Aus Sicht der Caritas wird es schwierig werden, die richtige Personengruppe zu finden, die in der Lage ist, unter den Bedingungen einer so stark abschmelzenden Lohnkostenförderung zu arbeiten. Es besteht die Gefahr, dass eine Besten-Auswahl (Creaming) stattfindet.
Vorgesehen ist eine wissenschaftliche Evaluierung, inwieweit das ESF-Bundesprogramm einen Beitrag zum Abbau von Langzeitarbeitslosigkeit leistet.
Soziale Teilhabe am Arbeitsplatz
Es entspricht einer langjährigen Forderung der Caritas, langzeitarbeitslosen Personen mit besonderen Problemlagen durch soziale Teilhabe in öffentlich geförderter Beschäftigung Integrationschancen zu er-
öffnen. Erfreulich ist, dass es nun für besonders arbeitsmarktferne Personen ein Bundesprogramm geben soll, dessen primäres Ziel genau dieser Leitgedanke ist.
Die Pläne des BMAS für dieses Programm sind im Moment noch wenig konkret. Förderrichtlinien sollen erst im Frühsommer vorliegen und den Jobcentern vorgestellt werden. Als Zielgruppe genannt werden Langzeitarbeitslose mit gesundheitlichen Einschränkungen sowie Menschen, die mit Kindern in Bedarfsgemeinschaften leben. Arbeitgeber, die Angehörige dieser Personenkreise einstellen, sollen Lohnkostenzuschüsse von bis zu 100 Prozent erhalten.
Geplant ist, dass das Programm den Kriterien "Zusätzlichkeit", "Wettbewerbsneutralität" und "im öffentlichen Interesse" unterliegen wird. Damit ist klar, dass hier wieder nur sehr arbeitsmarktferne Maßnahmen gemacht werden können, wie schon bei den Arbeitsgelegenheiten.
Das Programm soll nach der Sommerpause für 10.000 Teilnehmer(innen) starten. Einrichtungen und Dienste der Caritas können sich nach Auffassung des BMAS dann mit ihren Ideen indirekt einbringen, indem sie mit den zuständigen Jobcentern entsprechende Förderansätze entwickeln. Unklar ist gegenwärtig immer noch, ob das Programm auch für Beschäftigungs- und Qualifizierungsbetriebe offenstehen wird. Das BMAS hat eine Klärung dieser Frage zugesagt.
Gesundheitsförderung für SGB-II-Bezieher
Der Zusammenhang zwischen Langzeitarbeitslosigkeit und schlechtem Gesundheitszustand ist hinreichend erforscht. Dennoch wird gegenwärtig relativ wenig für Prävention und Gesundheitsförderung zugunsten der betroffenen Gruppe getan. Das BMAS möchte deshalb den Dialog zwischen den gesetzlichen Krankenkassen, der Deutschen Rentenversicherung und den Akteuren vor Ort intensivieren. Auch das Präventionsgesetz, vor Weihnachten im Kabinett behandelt, soll an dieser Stelle konkretisiert werden. Die Bundesagentur und Träger der Grundsicherung sollen explizit in die Gesundheitsförderung mit einbezogen werden. Darüber hinaus plant das BMAS, die Förderinstrumente aus dem SGB IX, die sich bei der Integration von Menschen mit Behinderung bewährt haben, für Langzeitarbeitslose zu öffnen.
Weiterentwicklung der Instrumente
Seit Jahren fordert der Deutsche Caritasverband (DCV) eine Weiterentwicklung der Arbeitsmarktinstrumente. Auch hierzu finden sich erste Vorschläge im Konzept des BMAS. Konkret benannt ist der erleichterte Einsatz von Arbeitsgelegenheiten: Vorgeschlagen wird, ein praktikableres Feststellungsverfahren für deren Zusätzlichkeit zu entwickeln. Allerdings ist immer noch unklar, was hier konkret geplant ist. Der Punkt war nicht Gegenstand der Veranstaltung am 3. März 2015.
Der DCV hatte gemeinsam mit der BAG IDA (Bundesarbeitsgemeinschaft Integration durch Arbeit im DCV) vor der letzten Bundestagswahl ein umfangreiches Konzept vorgelegt, das sowohl die Weiterentwicklung der Arbeitsmarktinstrumente als auch die Förderbedingungen umfasst.4 Zwischenzeitlich liegt auch ein Positionspapier des DCV zur Weiterentwicklung der Arbeitsgelegenheiten vor.5 Die Caritas hat sich intensiv in die Debatte eingebracht und wird dies auch in den kommenden Monaten tun.
Anmerkungen
1. Bundesagentur für Arbeit: Verweildauern von Leistungsberechtigten in der Grundsicherung für Arbeitsuchende. 2013, S.18.
2. Kupka, Peter; Wolf, Joachim: Sozialer Arbeitsmarkt. In: IAB Forum 2/2013, S. 71.
3. Obermeier, Tim; Sell, Stefan; Tiedemann, Birte: Messkonzept zur Bestimmung der Zielgruppe für eine öffentlich geförderte Beschäftigung, S. 3. Download: www.stefan-sell.com/Sozialpolitik2013-14.pdf
4. DCV/BAG IDA: Arbeiten und dazugehören. In: neue caritas Heft 13/2013, S. 31-35.
5. Dokumentiert in der kommenden neuen caritas Heft 7/2015.
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