Geförderte Beschäftigung ist mehr als nur Arbeit
Viele SGB-II-Leistungsberechtigte bewerten Beschäftigungsmaßnahmen positiv - insbesondere diejenigen, die sich selbst darum bemüht haben. Dem gesellschaftlichen "Normalfall" von Erwerbsarbeit kommen solche Maßnahmen am nächsten und vermitteln Leistungsberechtigten das Gefühl, gebraucht zu werden und selbst etwas leisten zu können. Zugleich wird öffentlich geförderte Beschäftigung vielfach und grundsätzlich kritisiert. Wie können Zukunftsperspektiven öffentlich geförderter Beschäftigung aussehen und was muss geschehen, damit mehr Menschen über Beschäftigung die Chance erhalten, am Erwerbsleben teilzuhaben?
Ausgangspunkt für die Kritik an öffentlich geförderter Beschäftigung ist die ordnungspolitische Überlegung, dass die öffentliche Hand nicht durch Beschäftigungsmaßnahmen Wettbewerbsverzerrungen auslösen soll. In den politischen Diskussionen der vergangenen Jahre wurde häufig bei Gesetzgeber und Bundesregierung der Eindruck erweckt, dass Beschäftigungsmaßnahmen für Arbeitsmarktferne ein ernsthaftes gesamtwirtschaftliches Problem für das Kleinhandwerk bis hin zum Industriebetrieb darstellen. Dem ist der Gesetzgeber gefolgt, indem er Beschäftigungsförderung eng eingegrenzt und die Mittel dafür reduziert hat. Arbeitsgelegenheiten - die günstigste und in der Vergangenheit am weitesten verbreitete Beschäftigungsmaßnahme - müssen seit 2012 im öffentlichen Interesse liegen, zusätzlich sein, also keine andere Beschäftigung ersetzen, und dürfen keine Wettbewerbsverzerrungen auslösen. Dies hat zur Folge, dass die Tätigkeiten so weit von "normaler" Beschäftigung entfernt sind, dass Sinn und Nutzen der Maßnahmen ebenso wie eine Vorbereitung auf eine Beschäftigung am Arbeitsmarkt schwer zu erreichen sind. Bevor die Arbeitsgelegenheiten eingeengt wurden, konnten arbeitsmarktferne Personen beispielsweise Materialien für örtliche Museen erstellen und gemeinnützige Vereine unterstützen. So haben sie gleichermaßen Nutzen gestiftet und Nutzen gezogen. Nun sind alle Tätigkeiten verboten, die auch eingekauft werden können.
Gefährdet geförderte Beschäftigung die Wirtschaft?
Die Kritik an Beschäftigungsmaßnahmen muss versachlicht werden. Es entsteht ein Zerrbild, wenn circa 300.000 Arbeitsgelegenheiten, wie es sie vor einigen Jahren gab, bei knapp 30 Millionen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen und circa 40 Millionen Erwerbstätigen als schwerwiegendes Problem und volkswirtschaftliches Risiko dramatisiert werden. Die Arbeitsgelegenheiten machten lediglich ein Prozent im Verhältnis zur "normalen" Beschäftigung aus. Auch die Ausgaben für Beschäftigungsmaßnahmen haben seit 2005 nie den niedrigen einstelligen Milliardenbereich pro Jahr verlassen. Im Verhältnis zu anderen Fördermaßnahmen von EU, Bund und Ländern spielte Arbeitsmarktpolitik in Deutschland in den vergangenen Jahren finanziell eine sehr untergeordnete Rolle. Vor diesem Hintergrund könnte die Thematik von Wettbewerbsbeeinflussung sowie die Sorge vor nachteiligen Wirkungen von geförderter Beschäftigung auf die Gesamtwirtschaft gelassen erörtert werden. Im Gegensatz zu dem öffentlichen Eindruck stellt sich die Frage, ob die öffentlich geförderte Beschäftigung vor ihrem rigorosen Zurückfahren überhaupt die Gesamtwirtschaft beeinflusst haben kann. Nachdem Beschäftigungsmaßnahmen stark reduziert wurden, lässt sich über etwaige gesamtwirtschaftliche Folgen kaum mehr ernsthaft sprechen.
Persönliche Stabilisierung als Ziel
Ein weiterer Kritikpunkt an öffentlich geförderter Beschäftigung besteht darin, fehlende Erfolge wie Übergänge in ungeförderte Beschäftigung zu bemängeln. Somit werde das Hauptziel arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen verfehlt. Da Beschäftigungsmaßnahmen die Annahme eines Stellenangebots am ersten Arbeitsmarkt unwahrscheinlich machen (sogenannter Einsperr- oder Log-in-Effekt), wurden sie insgesamt eher als schädlich denn als nützlich bewertet.
Unberücksichtigt blieben bei den Analysen und Schlussfolgerungen, dass Beschäftigungsmaßnahmen weder unmittelbar auf die Aufnahme einer ungeförderten Beschäftigung zielen noch ein kurzfristiger Übergang auf den ersten Arbeitsmarkt wahrscheinlich ist. Vielmehr waren und sind sie zunächst und vorrangig darauf ausgerichtet, arbeitsmarktferne Personen wieder näher an den Arbeitsmarkt heranzuführen. Verbunden ist dies häufig mit einer persönlichen Stabilisierung, die regelmäßige Beschäftigung mit sich bringt. Zugleich sind bisher die mittelfristigen Wirkungen von geförderter Beschäftigung wenig beleuchtet worden, etwa positive Einflüsse auf Wohlbefinden und Gesundheit sowie die Vorbereitung auf eine spätere Rückkehr auf den Arbeitsmarkt.
Immerhin wird zunehmend argumentiert, dass gerade in Haushalten mit Kindern eine regelmäßige Beschäftigung der Eltern eine wichtige Vorbildfunktion für die Kinder habe. Grundlegender ist jedoch die positive Teilhabewirkung durch Beschäftigung. Sie schafft soziale Kontakte, gewährt ein gewisses Maß an sozialer Stabilisierung und ist, was aus Sicht der Betroffenen am wichtigsten ist, Ausgangspunkt für ein gestärktes Selbstbewusstsein und das Vertrauen in eigene Fähigkeiten und Leistungen. Insofern könnte aus ordnungspolitischen Gesichtspunkten die wichtige Funktion von Beschäftigung und daraus abgeleitet auch ein hohes Maß an Förderwürdigkeit, wenn nicht sogar an Förderbedarf, herausgestellt werden.
Es gibt immer weniger einfache Tätigkeiten
Wieso gibt es überhaupt so viele Menschen, die keine reguläre Beschäftigung finden? Das ist die Ausgangsfrage, um sich aus einem anderen Blickwinkel dem Thema der geförderten Beschäftigung zu nähern. Trotz der guten Arbeitsmarktsituation üben die meisten der circa drei Millionen Langzeitleistungsbezieher im SGB II keine oder nur eine geringfügige Beschäftigung aus. Zur Begründung wird in arbeitsmarktpolitischen Analysen dargelegt, dass einfache Tätigkeiten immer seltener würden.
Warum nimmt der Arbeitsmarkt diese Arbeitsuchenden nicht auf? Möglicherweise liegt es daran, dass er sich gerne auf leistungsfähige und qualifizierte Kräfte, die eine hohe Produktivität versprechen, konzentriert. Insofern liegt bei der Beschäftigungslosigkeit vielleicht nicht nur millionenfach ein individuelles Problem der Betroffenen vor, sondern ein gesellschaftliches. Obwohl einfache, alltägliche Aufgaben in Unternehmen und in Privathaushalten allgegenwärtig sind, werden sie in der Regel von (qualifizierten) Mitarbeiter(inne)n miterledigt oder als Dienstleistung mit hohem Wettbewerbsdruck erbracht, etwa im Reinigungsgewerbe. Aus einem solchen Blickwinkel stellt die mangelnde Nachfrage einfacher Tätigkeiten ein Marktversagen dar, das durch staatliche Intervention ausgeglichen werden könnte.
Eine Abgabe für Arbeitsmarktferne
Alternativ zur öffentlich geförderten Beschäftigung ließe sich - ähnlich wie für Menschen mit?Behinderung - auch eine Abgabe vorstellen. Diese wäre nur dann zu entrichten, wenn nicht ein gewisser, geringer Anteil von Tätigkeiten für Arbeitsmarktferne im jeweiligen Unternehmen bereitgestellt würde. Aus den Abgaben könnten Arbeitsplätze für die Zielgruppe gefördert werden. In einem solchen Gedankenmodell fiele es vielleicht manchem Arbeitgeber oder Arbeitsmarktexperten leichter, sich mit wenigen öffentlich geförderten Beschäftigungsstellen anzufreunden. Sobald deutlicher wird, dass das Fehlen von Arbeitsstellen für Menschen, die bereit sind zu arbeiten, nicht ihnen selbst angelastet werden kann, sondern dass hier der Arbeitsmarkt versagt, sollte der Staat für geförderte Beschäftigung sorgen.
Das Fordern und Fördern hat vielen nichts gebracht
Bei der deutschen Wiedervereinigung wurde auch über das Recht auf Arbeit als Verfassungsgrundsatz diskutiert. Die Debatte war sehr ideologisch, sehr grundsätzlich und recht leidenschaftlich. Im Ergebnis wurde kein solches Grundrecht in die Verfassung aufgenommen. Hilfreich mag es jedoch sein, über die Arbeitslosigkeit - gerade von arbeitsmarktfernen Menschen - als gesellschaftliche Herausforderung mit neuen Akzenten zu diskutieren.
Im Rahmen der Hartz-Reformen wurde die Arbeitslosigkeit als individuelles Problem des Betroffenen erörtert. Er sollte deshalb gefordert und gefördert werden. Die Reform war mit Blick auf den Arbeitsmarkt belebend und kann als insgesamt erfolgreich betrachtet werden. Die Arbeitslosenzahlen sind gesunken, die Beschäftigtenzahlen gestiegen. Für die arbeitsmarktfernen Menschen, bei denen das Fordern und Fördern in den vergangenen zehn Jahren nicht gewirkt hat, stellt sich allerdings die Frage des richtigen weiteren Umgangs - insbesondere, weil ein beachtlicher Teil von ihnen seit 2005 nicht aus der Hilfebedürftigkeit herausfinden konnte.
Wenn wir als Gesellschaft nicht weiterhin davon ausgehen, dass die Betroffenen es sich selbst zuzuschreiben haben, dass sie nicht auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassen, müssen wir darüber nachdenken, wie wir künftig handeln wollen. Eine Antwort könnte das Werben für mehr sozialpolitische Verantwortung sein. Überall, wo es möglich ist, sollten auch Arbeitsmarktferne eine Chance bekommen. Eine wahrscheinlich einfachere Alternative wäre, zumindest im kleinen Umfang öffentlich geförderter Beschäftigung Raum zu geben.
Vor dem Hintergrund der überbewerteten Argumente gegen öffentlich geförderte Beschäftigung und der unterschätzten positiven Wirkungen sollte die Debatte über erforderliche staatliche Maßnahmen gegen das Marktversagen neu geführt werden. Eine weniger restriktive Regelung öffentlich geförderter Beschäftigung und ein höherer Mitteleinsatz sollten erprobt und die Wirkungen umfassend untersucht werden.
Anmerkung
Der Beitrag gibt die Meinung des Verfassers, nicht die Verbandsposition wieder.
Links zu Positionspapieren des Deutschen Landkreistages:
- Positionspapier zum Sozialen Arbeitsmarkt:
http://landkreistag.de, Rubrik "Publikationen", "Positionspapiere", "2012" - Positionspapier Soziale Teilhabe sicherstellen - Langzeitleistungsbezug wirkungsvoll abbauen:
http://landkreistag.de, Rubrik "Themen", "Hartz IV
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