Investitionskosten sind nicht mehr pauschal abzurechnen
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 8. September 2011 verstößt die derzeitige Finanzierungspraxis bezüglich der Investitionskosten geförderter Pflegeeinrichtungen gegen die bundesgesetzlichen Vorgaben. Derzeit legen Pflegeeinrichtungen und Dienste ihre betriebsnotwendigen Investitionskosten pauschaliert auf die jeweils versorgten Pflegebedürftigen um.
Nach der neuen Rechtsprechung des BSG ist es nur zulässig, die bereits tatsächlich angefallenen Investitionskosten rückwirkend umzulegen. Eine Rücklagenbildung ist nicht mehr möglich. Bei geförderten Pflegeeinrichtungen muss die zuständige Landesbehörde nun jährlich der Berechnung des Umlagebetrages zustimmen. Alle entgegenstehenden landesrechtlichen und vertraglichen Grundlagen müssen bis Ende 2012 angepasst werden.
Die neue Rechtsprechung des BSG führt zu einer für die Pflegebedürftigen, Einrichtungen und Landesbehörden kaum tragbaren Änderung der Finanzierungspraxis. Sie gefährdet den Erhalt der Pflegeinfrastruktur und verursacht zahlreiche Wertungswidersprüche in der Entgeltsystematik des Sozialgesetzbuches, was Handhabung und Transparenz für alle Betroffenen beeinträchtigt.
Zur Verdeutlichung folgendes Beispiel: Muss in einer Pflegeeinrichtung mit 80 Plätzen nach einer längeren Betriebszeit die Heizungsanlage mit einem Instandhaltungsaufwand von 250.000 Euro saniert werden, würde dies selbst bei 100-prozentiger Auslastung in diesem Jahr die zu genehmigenden gesondert berechenbaren Investitionskosten um 8,56 Euro je Tag im kommenden Jahr ansteigen lassen. Die stark steigenden Entgelte für Investitionskosten würden zu einer massiven Wettbewerbsverzerrung führen. Sozialhilfeempfänger(inne)n könnte mit dem Argument des Mehrkostenvorbehalts der Einzug in diese Einrichtung verweigert werden, im schlechtesten Fall müssten sie in eine günstigere Einrichtung umziehen. Folge der entstehenden Wettbewerbsverzerrung wäre ein drastischer Belegungseinbruch, der zu noch höheren Entgelten führen würde.
Heizungsanlagen, Dächer und Fenster nutzen sich aber nicht nur im Jahr der Erneuerung ab, sondern kontinuierlich. Im Jahr nach der Sanierung werden die Bewohner(innen) fälschlicherweise einseitig belastet; die Kosten über mehrere Jahre gleichmäßig zu verteilen, ist nicht mehr möglich. Das Verbot der Rücklagenbildung verteuert und erschwert die notwendigen Investitionen zudem. Einrichtungen werden nun gezwungen, das volle Risiko der Vorfinanzierung für Instandhaltungen und Instandsetzungen zu tragen. Anfallende Fremdkapitalkosten erhöhen die Umlage für die Pflegebedürftigen. Überdies müssen die Einrichtungen jährlich nach § 9 WBVG (Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz) gegenüber den Bewohner(inne)n das Entgelt erhöhen. Dies führt zu einem zusätzlichen Verwaltungsaufwand.
Durch die BSG-Rechtsprechung besteht die Gefahr, dass Träger nicht mehr in Sanierungen investieren. Die notwendige Pflegeinfrastruktur ist gefährdet. Langfristig könnten finanzschwächere Einrichtungen vom Markt gedrängt werden. Insbesondere die Versorgung im ländlichen Bereich wird weiter erschwert.
Es ist anzunehmen, dass die Rechtsprechung des BSG auch Auswirkung auf die Berechnung von Investitionskosten nicht geförderter SGB-XI-Einrichtungen haben wird.
Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) hat sich zu den BSG-Urteilen positioniert und fordert eine Änderung des § 82 Abs. 3 und 4 SGB XI. Die Stellungnahme wurde unter Mitwirkung des Deutschen Caritasverbandes (DCV) zeitnah zur Veröffentlichung der Urteile erstellt. Außerdem wurde eine Umsetzungshilfe für die Landesebene in Zusammenarbeit mit dem Diakonischen Werk erstellt. Der DCV wird zusammen mit Rechtsanwalt Markus Plantholz von der Kanzlei Dornheim am 2. August 2012 zu diesem Thema einen Fachtag in Frankfurt am Main abhalten. Die Anmeldeunterlagen erhalten Sie bei unternehmen@caritas.de, weitere Informationen unter Tel. 0761/200-324.