Gesetz stärkt Prävention und Kinderschutz
Mit dem neuen Bundeskinderschutzgesetz ist ein jahrelanges Ringen um ein Gesetz zu Ende gegangen, dessen Entwürfe noch sehr viel ausgeprägter vom Gedanken der Kontrolle und Intervention gekennzeichnet waren. In der Fachöffentlichkeit und der Politik wird das Verhältnis von Prävention und Intervention im neuen Gesetz als wesentlich ausgewogener beurteilt. Die Länder leisteten im Schlussspurt der Verabschiedung des Bundeskinderschutzgesetzes wegen der zu geringen finanziellen Beteiligung des Bundes zunächst noch Widerstand. Dennoch fand das Gesetz durch die gefundenen Kompromisslösungen schließlich die erforderliche Zustimmung. Es ist nach dem Vermittlungsausschuss am 14. Dezember 2011 und der Zustimmung im Bundestag und Bundesrat am 15. und 16. Dezember 2011 - wie vorgesehen - zum 1. Januar 2012 in Kraft getreten. Zentrales Ziel des Gesetzes ist es, den präventiven und intervenierenden Kinderschutz zu verbessern, indem Hilfsangebote und Kontrollmöglichkeiten weiterentwickelt werden.
Prävention und Frühe Hilfen
Frühe Hilfen werden erstmals zu einem "gesetzlichen Tatbestand" (siehe § 1 und § 3 KKG). Im Mittelpunkt stehen ein möglichst frühzeitiges, koordiniertes und multiprofessionelles Angebot sowie der flächendeckende und verbindliche Ausbau von Netzwerken Früher Hilfen. Diese sollen durch den Einsatz von Familienhebammen gestärkt werden. Das Finanzvolumen des Bundesfamilienministeriums (BMFSFJ) wurde erweitert (30 Millionen Euro im Jahr 2012, 45 Millionen Euro im Jahr 2013 und 51 Millionen in den Jahren 2014 und 2015). Ab 2016 zahlt der Bund auf Dauer jährlich 51 Millionen Euro in einen Fonds "zur Sicherstellung der Netzwerke Frühe Hilfen und der psychosozialen Unterstützung von Familien" ein. Allerdings bleibt der Gesundheitsbereich weiter außen vor und die Kinder- und Jugendhilfe ist für die Leistungsangebote der Frühen Hilfen zuständig.
Neu ist der Hinweis, dass beim Ausbau der Netzwerke Früher Hilfen auch "ehrenamtliche Strukturen" einbezogen werden sollen.
Die Rahmenbedingungen der Gestaltung von flächendeckenden Netzwerkstrukturen, zum Beispiel Details über die Verwendung der Mittelzuweisung an die Bundesländer für die Arbeit in lokalen/regionalen Netzwerken, regelt die im Mai 2012 verabschiedete Bund-Länder-Vereinbarung. Deren Veröffentlichung wird mit einiger Spannung erwartet.
Eine besondere Herausforderung liegt im Kontext der Prävention und Frühen Hilfen sicherlich darin, Systemgrenzen unterschiedlicher Leistungsbereiche zu überwinden und zum Wohl von jungen Familien zu kooperieren. Die Praxis wird zeigen, ob die Ergebnisse dieser Bemühungen dazu dienen, Schwangere und Eltern in geeigneter Weise zu unterstützen und zu entlasten, um so zu guten beziehungsweise besseren Entwicklungsmöglichkeiten ihrer Kinder beizutragen.
Der Schutzauftrag ist neu geregelt
Im Zusammenhang von Beratung und Übermittlung von Informationen durch kinder- und jugendnahe Berufsgeheimnisträger werden auch die Lehrer(innen) an öffentlichen und an staatlich anerkannten privaten Schulen aufgeführt.
Für die Praxis stellt sich die Frage, wie der Beratungsanspruch von Geheimnisträgern und anderen (§ 8b SGB VIII) gegenüber dem öffentlichen Träger umgesetzt wird. Darüber hinaus ist zu klären, wie die Beratungsleistungen erfahrener Fachkräfte mit den freien Trägern vereinbart werden. Die logische Struktur des § 4 KKG legt nahe, dass der Beratungsanspruch nach Abs. 2 durch erfahrene Fachkräfte freier Träger zu erfüllen ist. Denn erst im nächsten Schritt (Abs. 3) ergibt sich die Befugnis, das Jugendamt zu informieren. Hier besteht Diskussions- und Regelungsbedarf.
An dieser Stelle ist es wichtig, noch einmal auf die Rechtsfolge im § 4 KKG hinzuweisen. Danach sind die Geheimnisträger befugt (nicht verpflichtet), das Jugendamt zu informieren und ihm die erforderlichen Daten mitzuteilen.
Die Neustrukturierung des Schutzauftrages nach § 8a SGB VIII erfordert es, vorhandene Arbeitshilfen anzupassen und Vereinbarungen zu treffen zum Beispiel, was die Qualifikation der erfahrenen Fachkräfte betrifft.
Die Pflichten des freien Trägers sind aufgrund einer Vereinbarung:
- gewichtige Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung festzustellen;
- eine Gefährdungseinschätzung durch eine erfahrene Fachkraft vorzunehmen;
- das Kind und/oder den Jugendlichen und die Erziehungsberechtigten miteinzubeziehen (kein Hausbesuch);
- auf Hilfen hinzuwirken;
- das Jugendamt zu informieren, wenn eine Gefährdung nicht anders abwendbar ist;
- Qualifikation der erfahrenen Fachkraft festlegen.
Weitere Punkte in diesem Zusammenhang sind:
- den Beratungsanspruch von Einrichtungen, die der Betriebserlaubnis bedürfen, gegenüber dem überörtlichen Träger (§ 8b) umzusetzen, wenn es um die Entwicklung und Anwendung fachlicher Handlungsleitlinien geht;
- Beratung und Unterstützung von Pflegepersonen (§ 37 Abs. 2) ortsnah zu gewährleisten;
- Pflegeeltern im Hinblick auf die Hilfeplanerfordernisse in § 37 Abs. 2a zu unterstützen.
Die Rechte von Kindern werden im SGB VIII gestärkt
Im § 8 Abs. 3 wird die Beratung von Kindern und Jugendlichen ohne Kenntnis der Eltern in Not- und Konfliktlagen jetzt als Rechtsanspruch formuliert. Zum Schutz von Kindern und Jugendlichen in Einrichtungen sind deren Rechte im Hinblick auf Beschwerdemöglichkeiten gestärkt worden (§§ 8b, 45 SGB VIII). Hier sind die Einrichtungen aufgefordert, Verfahren zu entwickeln, die Kinder und Jugendliche an strukturellen Entscheidungen beteiligen. Außerdem sollen die Einrichtungen persönliche Beschwerdeverfahren für Kinder und Jugendliche weiterentwickeln.
Die Regelungen zur Betriebserlaubnis nach § 45 sind grundlegend geändert worden. War bisher das Landesjugendamt in der Beweispflicht für eine bestehende Kindeswohlgefährdung, wenn eine Betriebserlaubnis verweigert werden sollte, so ist nunmehr der Träger beweispflichtig, dass das Wohl der Kinder und Jugendlichen in seiner Einrichtung gewährleistet ist. Der Träger hat dazu eine Konzeption vorzulegen. Darüber hinaus muss er die Vorlage von Führungszeugnissen (§ 72a) sicherstellen. Erweiterte polizeiliche Führungszeugnisse werden jetzt auch für Tagespflegepersonen (§ 43 Abs. 2) und Vollzeitpflegepersonen (§ 44 Abs. 2) verbindlich vorgeschrieben.
Bei den Arbeitshilfen und Absprachen mit den Landesjugendämtern zum neuen Prozedere bedarf es der Erteilung von Betriebserlaubnissen und Meldeerfordernissen (§§ 45-47). Hinzu müssen Angaben zur Qualitätsentwicklung und -sicherung gemacht sowie der Umgang mit Ausbildungsnachweisen und Führungszeugnissen geklärt werden.
Qualität ist unerlässlich
Das Bundeskinderschutzgesetz hält an dem Prinzip einer kontinuierlichen Qualitätsentwicklung in der Kinder- und Jugendhilfe fest. Adressaten nach § 79a SGB VIII sind die Träger der öffentlichen Jugendhilfe. Jugendämter und Landesjugendämter haben also die Pflicht, Qualitätskriterien für ihre Arbeit zu beschreiben, zu entwickeln und in regelmäßigen Abständen zu überprüfen. Für die Träger von Einrichtungen und Diensten gilt über die Koppelung mit der Förderung eine entsprechende Pflicht. Denn nach § 74 SGB VIII ist Voraussetzung für die Förderung, dass die freien Träger der Jugendhilfe die Grundsätze und Maßstäbe der Qualitätsentwicklung und Qualitätssicherung nach § 79a SGB VIII gewährleisten.
Darüber hinaus liegt ein besonderer Fokus auf der Entwicklung von Qualitätsmerkmalen, die den Schutz vor Gewalt in Einrichtungen zum Gegenstand haben. Insbesondere die Forderungen des Runden Tisches "sexueller Kindesmissbrauch" werden hier aufgegriffen. So liefern zum Beispiel die Empfehlungen zur Prävention, Intervention und Information konkrete Qualitätsmerkmale beziehungsweise -kriterien, die in der Praxis der Kinder- und Jugendhilfe berücksichtigt werden sollen. Diese sind beispielsweise nachweisliche Informationen über interne Beschwerdeverfahren und einen gestuften Handlungsplan mit Orientierungshilfen als Notfallplan.
Last but not least ist auch die Qualität der Zusammenarbeit mit anderen Institutionen zu entwickeln. Dies hat der Gesetzgeber in einer Neufassung der allgemeinen Regelung zur Zusammenarbeit unterstrichen. Der § 81 SGB VIII wurde neu geordnet. In elf Ziffern wurden Kooperationspartner genannt, mit denen der öffentliche Träger der Jugendhilfe im Rahmen der entsprechenden Aufgaben und Befugnisse zusammenarbeiten soll. Neu oder nun ausdrücklich genannt sind die Sozialleistungsträger nach dem SGB II, III, IV, V, VI, XII und die Familien- und Jugendgerichte.
Statistik und Evaluation gefordert
Mit dem § 99 Abs. 6 ist eine Vorschrift ins Bundeskinderschutzgesetz aufgenommen worden, die es ermöglicht, zentrale Daten zum Prozess der Gefährdungseinschätzung nach § 8a im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfestatistik zu erfassen. Die Erhebung dieser wichtigen Daten bezieht sich auf die Art des Trägers, bei dem der Fall bekannt wurde, die anregende Institution oder Person, die Art der Kindeswohlgefährdung und das Ergebnis der Gefährdungseinschätzung.
In den Beratungen des Bundestagsausschusses neu aufgenommen wurde der Artikel 4: Evaluation. Bis zum 31. Dezember 2015 muss der Deutsche Bundestag über die Ergebnisse einer Evaluation der Bundesregierung und über die Wirkungen des Gesetzes informiert werden.
Es gibt viel umzusetzen. Man darf auf den weiteren Entwicklungs- beziehungsweise Umsetzungsprozess, auch mit Blick auf die konstruktive Zusammenarbeit zwischen freien und öffentlichen Trägern der Jugendhilfe, gespannt sein. Die in Artikel 4 des Bundeskinderschutzgesetzes vorgesehene Evaluation bis Ende 2015 wird darüber hinaus Auskunft geben, wie sich der Umsetzungsstand darstellt und welche weiteren Anstrengungen noch nötig sein werden.