Eingliederung ins Arbeitsleben neu geregelt
Am 23. September 2011 wurde das Gesetz zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt in zweiter und dritter Lesung vom Deutschen Bundestag verabschiedet. Der Deutsche Caritasverband hat das Gesetzgebungsverfahren intensiv begleitet, da die vom Gesetzgeber angestrebten Veränderungen vor allem die Arbeits- und Förderbedingungen im Bereich der öffentlich geförderten Beschäftigung erheblich umgestalten. Auch die Fördermöglichkeiten für Jugendliche haben sich verändert.
Das gesamte Dritte Sozialgesetzbuch ist in seinem Aufbau umstrukturiert worden. Zukünftig gliedert sich das Gesetz in sieben Abschnitte. Durch diese neue Gliederung haben viele Maßnahmen neue "Nummern" bekommen, was in der Praxis zu Umgewöhnungsprozessen bei der Beantragung der Maßnahmen führen kann. Insgesamt wird das Gesetz jedoch durch diese Änderung deutlich übersichtlicher und transparenter.
Neue Förderbedingungen bei den Arbeitsgelegenheiten
Die größten Veränderungen zeigen sich im Bereich der Arbeitsgelegenheiten: Ihre Entgeltvariante (sozialversicherungspflichtige Arbeitsgelegenheit) ist abgeschafft worden. Arbeitsgelegenheiten in der Form der Mehraufwandsentschädigung ("Ein-Euro-Jobs", § 16d SGB II) müssen zukünftig nicht nur zusätzlich und im öffentlichen Interesse sein, sondern auch wettbewerbsneutral. Damit ist ein Kriterium, das bisher nur in der Arbeitshilfe stand, gesetzlich normiert worden.
Das Gesetz betont nun explizit die beratende Funktion der örtlichen Beiräte bei der Einrichtung von Arbeitsgelegenheiten (§ 16d Abs. 1 SGB II). Nicht durchsetzbar war aber, dass die restriktiven Kriterien für die Arbeitsgelegenheiten gänzlich gestrichen werden und die örtlichen Beiräte im Benehmen mit den Jobcentern die Tätigkeitsfelder von Arbeitsgelegenheiten bestimmen. Für die Praxis bedeutet das, dass arbeitsmarktnahe Beschäftigungsverhältnisse kaum mehr eingerichtet werden können.
Positiv ist, dass der Gesetzgeber von seinem Vorhaben abgerückt ist, eine gedeckelte Trägerpauschale einzuführen. Geplant waren hier pro Teilnehmer und Monat ein Betrag von 30 Euro für den allgemeinen Verwaltungsaufwand und ein weiterer Zuschuss von bis zu 120 Euro für Teilnehmer(innen) mit besonderem Anleitungsbedarf. Das verabschiedete Gesetz schreibt nun keine feste Trägerpauschale fest, sondern sieht vor, dass die Kosten der Träger bei der Durchführung von Arbeitsgelegenheiten in tatsächlicher Höhe erstattet werden.
Erstattungsfähig ist aber nur der Trägeraufwand für Sach- und Personalkosten, die für die fachliche Betreuung der Arbeit anfallen. Sowohl Qualifizierungs- als auch Stabilisierungsmaßnahmen (zum Beispiel die sozialpädagogische Begleitung), die bisher ebenfalls über die Trägerpauschale finanzierbar waren, müssen künftig auf Basis der hierfür vorgesehenen "Maßnahmen zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung" nach § 45 SGB III gefördert werden. Da für diese Maßnahmen eine Zertifizierung nötig ist und sie in der Regel ausgeschrieben werden (s. unten), wird künftig eine Leistung aus einer Hand bei einem Träger schwierig zu organisieren sein. Für die Teilnehmer(innen) kann es mühsam sein, die komplexen Hilfen, die dann von unterschiedlichen Trägern kommen, zu koordinieren und zu organisieren. Alternativ werden Maßnahmen nach § 45 SGB III unter der Bedingung ausgeschrieben, dass der Träger auch Arbeitsgelegenheiten anbietet. Noch ist unklar, ob die sozialpädagogische Begleitung bei Arbeitsgelegenheiten aus Mitteln der Freien Förderung (§ 16 f) im Wege des Zuwendungsrechts gefördert werden kann, um die Hilfe aus einer Hand zu gewährleisten.
Flexible Praktikumsphasen
Praktikumsphasen, die im Rahmen von Aktivierungsmaßnahmen bei einem Arbeitgeber stattfinden, werden flexibilisiert. Für Personen aus dem Rechtskreis des SGB III können nun bis zu sechs Wochen gewährt werden. Junge Menschen aus dem Rechtskreis des SGB II können ein bis zu zwölf Wochen langes Praktikum bei einem Arbeitgeber machen. Bisher galt ohne weitere Differenzierung eine Beschränkung auf bis zu vier Wochen.
Der neue Bildungsgutschein
Maßnahmen zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung (§ 45 SGB III) unterliegen im Unterschied zu Arbeitsgelegenheiten (§ 16d SGB II) dem Vergaberecht. Durch die neue Gesetzgebung ist es zudem möglich, Gutscheine zu vergeben: Das Jobcenter vor Ort kann entscheiden, welchen Personen ein solcher Gutschein zur Verfügung gestellt wird (§ 45 Abs. 4 SGB III). Die Einführung dieses Gutscheinmodells ist grundsätzlich geeignet, das Wunsch- und Wahlrecht der Personen zu stärken, die von ihrem Jobcenter einen solchen Gutschein bekommen. Für Langzeitarbeitslose mit mehrfachen Vermittlungshemmnissen setzt dies allerdings eine gute Beratung und Begleitung durch das Jobcenter voraus, die in der Praxis vielfach nicht gegeben ist.
Zertifizierung aller Träger von SGB-III-Maßnahmen
Neu ist, dass Träger, die für ihre Teilnehmer aus dem Rechtskreis des SGB II oder SGB III Leistungen nach SGB III anbieten, sich künftig verpflichtend zertifizieren lassen müssen (§ 176 ff. SGB III). Dies gilt somit auch für Träger, die neben Arbeitsgelegenheiten Leistungen der Stabilisierung und Qualifizierung nach § 45 SGB III anbieten wollen.
Die Zertifizierung der Träger soll nach dem Willen des Gesetzgebers dazu dienen, ein verbindliches Qualitätsmanagement einzuführen, welches der Effizienz- und Effektivitätssteigerung dient. Deshalb müssen künftig alle Träger von SGB-III-Maßnahmen unter anderem über ein Qualitätsmanagementsystem verfügen, um von einer externen Zulassungsstelle, einer sogenannten fachkundigen Stelle, zugelassen werden zu können. Damit werden einige der bereits für den Bereich der beruflichen Weiterbildung geltenden Bestimmungen der "Anerkennungs- und Zulassungsverordnung" (AZWV) nun für alle Träger von SGB-III-Maßnahmen eingeführt. Zusätzlich müssen Träger, welche die neuen Aktivierungs- und Vermittlungsgutscheine einlösen wollen, die von ihnen angebotenen Maßnahmen einzeln zertifizieren lassen. Auch diese Zertifizierung erfolgt durch die fachkundigen Stellen.
Veränderungen beim Beschäftigungszuschuss
Der in der letzten Legislaturperiode eingeführte Beschäftigungszuschuss wurde weiterentwickelt und heißt nun "Förderung von Arbeitsverhältnissen" (§ 16e SGB II). Die Regierung hat hier zwar das ursprüngliche Vorhaben, auch für diese Maßnahmen die Kriterien Zusätzlichkeit, öffentliches Interesse und Wettbewerbsneutralität einzuführen, nicht realisiert. Auch findet sich die Obergrenze von fünf Prozent des Eingliederungstitels im verabschiedeten Gesetzestext nicht mehr. Dennoch wurde das Instrument dahingehend verändert, dass zukünftig kein Zuschuss zu den Kosten einer begleitenden Qualifizierung mehr existiert.
Damit wird es also nicht mehr möglich sein, Personen mit mehrfachen Vermittlungshemmnissen, für die dieses Instrument weiterhin gedacht ist, begleitend im Rahmen der Förderung von § 16e SGB II zu qualifizieren. Entsprechend der Gesetzeslogik müssen qualifizierende Anteile künftig über die Maßnahmen zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung (§ 45 SGB III) gefördert werden. Alternativ kommt auch die Freie Förderung (§ 16f SGB II) in Betracht.
Ausweitung der Freien Förderung
Der Gesetzestext sieht vor, dass zukünftig nicht nur für Langzeitarbeitslose das Aufstockungs- und Umgehungsverbot im Rahmen der Freien Förderung aufgehoben wird, sondern auch für junge Menschen (unter 25 Jahren) mit schwerwiegenden Vermittlungshemmnissen. Wie dieser unbestimmte Rechtsbegriff "Jugendliche mit schwerwiegenden Vermittlungshemmnissen" durch die Bundesagentur ausgelegt wird, bleibt abzuwarten. Die Bundesregierung hat in einer Antwort auf eine Anfrage der Grünen hierzu ausgeführt, dass auch die Förderung von Jugendwerkstätten denkbar ist, wenn ein solches Projekt vom Jobcenter als förderfähig beurteilt wird. Abzuwarten bleibt, wie die Bundesagentur für Arbeit in ihrer Arbeitshilfe zur Freien Förderung künftig die konkreten Förderbedingungen ausgestalten beziehungsweise interpretieren wird.
Budget für Freie Förderung und Maßnahmen nach §16e
Bisher war das Fördervolumen der Freien Förderung auf zehn Prozent begrenzt. Zukünftig können für das Instrument "Förderung von Arbeitsverhältnissen" (§ 16e SGB II) und die Freie Förderung (§ 16 f SGB II) insgesamt bis zu 20 Prozent des Eingliederungstitels ausgegeben werden (§ 46 Abs. 2 Satz 3 SGB II). Gegenüber den ursprünglichen Planungen, die Förderung des § 16e SGB II mit einer Obergrenze von fünf Prozent zu versehen, stellt die jetzige Gesetzeslage eine Verbesserung dar, da nun das Budget von 20 Prozent flexibel für Förderungen sowohl nach § 16e als auch § 16f SGB II eingesetzt werden kann. Angesichts der bereits bekannten Kürzungen des Eingliederungstitels werden aber künftig mit diesen Maßnahmen deutlich weniger Personen gefördert werden können als bisher.
Vorrang der Ausbildung bei Jugendlichen
Das Gesetz will klarstellen, dass junge Menschen unter 25 Jahren primär in Ausbildung zu vermitteln sind. Allerdings steht in der Neufassung des § 3 Abs. 2 SGB II die Vermittlung in Ausbildung dem Wortlaut nach weiterhin als gleichwertige Alternative zur Vermittlung in Arbeit. Damit fehlt nach wie vor das gesetzlich normierte Ziel, dass junge Menschen unter 25 Jahren vorrangig eine (Berufs-)Qualifikation erhalten sollen.
Jetzt flexibler: Praktika und außerbetriebliche Ausbildung
Bei den berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen ist es zukünftig möglich, betriebliche Praktika in dem Umfang zu absolvieren, der dem individuellen Förderbedarf entspricht (§ 51 Abs. 4 SGB III). Dies trägt der Tatsache Rechnung, dass Praktika eine wichtige Brückenfunktion haben, um in ein betriebliches Ausbildungsverhältnis zu gelangen. Eine außerbetriebliche Berufsausbildung ist künftig auch ohne vorherige Absolvierung einer berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme möglich (§ 76 SGB III). Auch bei diesen Maßnahmen sind betriebliche Ausbildungsphasen künftig "in angemessenem Umfang" möglich, das heißt, ohne zeitliche Beschränkung auf maximal sechs Monate pro Ausbildungsjahr.
Berufseinstiegsbegleitung und Berufswahlvorbereitung
Die Angebote der Berufseinstiegsbegleitung und Berufswahlvorbereitung werden verstetigt. Zukünftig sollen auch junge Menschen mit sonderpädagogischen Förderbedarfen und schwerbehinderte junge Menschen an allgemeinbildenden Schulen intensiver bei ihrer beruflichen Entwicklung unterstützt werden (§ 48 Abs. 3 SGB III). Dies entspricht dem Ansatz der Inklusion und trägt zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention bei. Das Instrument der "erweiterten Berufsorientierung" (§ 131 SGB III) wird bis zum 31. Dezember 2013 verlängert. Eine komplette Entfristung dieses bewährten zentralen Instruments der Berufsorientierung ist somit leider nicht vorgenommen worden.
Wegfall sinnvoller Instrumente
Bei der betrieblichen Berufsausbildung und Berufsvorbereitung nach § 243 SGB III wird die sozialpädagogische Begleitung zukünftig nicht mehr finanziert. Damit fällt eine sinnvolle Förderung weg, die in der Vergangenheit lediglich aufgrund der sehr bürokratischen Handhabung durch die Arbeitsagenturen beziehungsweise Jobcenter wenig genutzt wurde. Ebenso wurden der Qualifizierungszuschuss (§ 421o SGB III) und der Eingliederungszuschuss für junge Menschen (§ 421p SGB III) gestrichen. Beide Instrumente waren erst in der letzten Legislaturperiode eingeführt worden und stellten sinnvolle Zugänge zu individueller Förderung dar.
Förderung des Jugendwohnheimbaus wieder möglich
Zukünftig kann die Bundesagentur Träger von Jugendwohnheimen wieder mit Darlehen und Zuschüssen fördern, die auch für den Aufbau, die Erweiterung, den Umbau und die Ausstattung von Jugendwohnheimen eingesetzt werden. Damit hat der Gesetzgeber eine Regelung wieder ins Gesetz aufgenommen, die 2009 gestrichen worden war. Im Unterschied zum ursprünglichen Gesetzentwurf werden bei Auszubildenden unter 18 Jahren nun als Bedarf für den Lebensunterhalt auch die Entgelte für sozialpädagogische Begleitung zugrunde gelegt, wenn diese nicht von Dritten, zum Beispiel dem Träger der Jugendhilfe, zu tragen sind. Problematisch bleibt die Refinanzierung dieser Kosten für Jugendliche über 18 Jahre. Damit stehen Jugendwohnheime weiterhin vor der Problematik, als Voraussetzung für die Betriebserlaubnis sozialpädagogische Betreuung bereitstellen zu müssen, die nicht refinanziert wird.