Erste Anrufstelle aufgebaut
Es drängt: Angemessene Unterstützungsangebote für von Gewalt betroffene Männer müssen geschaffen werden. Dunkelfeldstudien zeigen, dass Männern in ihrem Leben viel Gewalt widerfährt. Formen, Schwere, Kontexte und Häufigkeit dieser Gewalt sind im Schnitt andere als bei Frauen. So erfahren Männer weniger häusliche und deutlich weniger sexualisierte Gewalt als Frauen, dafür jedoch mehr physische Gewalt im öffentlichen Raum (meist durch andere Männer). Gewalt gegen Männer durch andere Männer wurde lange - und wird oftmals heute noch - als normal und unproblematisch wahrgenommen. Hinzu kommt eine Tabuisierung sexualisierter und häuslicher Gewalt an Männern, die lange Zeit allenfalls in Form von Karikaturen oder Witzen thematisiert wurde.
Bislang gab es nur einige wenige lokale oder regionale Angebote, die sich spezifisch an gewaltbetroffene Männer richteten. Geschlechtsunspezifische Hilfsangebote werden von Männern nur selten genutzt. Die seit dem Start im April 2020 große und kontinuierlich steigende Anzahl an Nutzer:innen des Hilfetelefons Gewalt an Männern spiegelt den beträchtlichen, bislang wenig beachteten Beratungsbedarf gewaltbetroffener Männer. Das Hilfetelefon wird überwiegend von Betroffenen genutzt. Hinzu kommen Anrufe aus dem sozialen Umfeld von Betroffenen sowie von Fachleuten. Das zeigt eine ausführliche Evaluation mit Daten zur Arbeit des Hilfetelefons (online unter: https://tinyurl.com/nc15-24-hilfetelefon).
Unter den Anrufenden sind Männer aller Altersgruppen. Unterrepräsentiert sind allerdings - im Verhältnis zu ihrer größeren Gewaltbelastung - ältere und junge Männer. Ein Großteil der Anrufe bezieht sich auf Fälle häuslicher Gewalt. Vorherrschende Themen sind physische und psychische Gewalt innerhalb der Partnerschaft beziehungsweise der Familie. Doch auch Männer, die von Stalking, Zwangsverheiratung oder Gewalt im öffentlichen (auch digitalen) Raum betroffen sind, suchen nach Hilfe. Bemerkenswert ist außerdem, dass der prozentuale Anteil der Anrufe, die (zum Teil neben anderen Gewaltformen) sexualisierte Gewalt in der Kindheit betreffen, im zweistelligen Bereich liegt.
Das Hilfetelefon Gewalt an Männern
400 Telefongespräche im Monat
08 00/1 23 99 00: Unter dieser kostenlosen Telefonnummer ist das Hilfetelefon werktags von 8 bis 20 Uhr (freitags bis 15 Uhr) zu erreichen. Auch über eine datensichere Mailberatung oder per Chat kann die Beratung kontaktiert werden.
Jedes Gespräch ist ergebnisoffen und stets auf die individuelle Situation und die Bedürfnisse der Anrufenden ausgerichtet. Die Berater:innen hören zu und versuchen, das persönliche Anliegen zu verstehen. Aber: Oft geht es für die Anrufenden im ersten Schritt darum zu erzählen, was ihnen schwer auf der Seele liegt. Denn viele Gewalterfahrungen hinterlassen die Betroffenen zunächst so erschüttert, dass es schwierig ist, überhaupt ein konkretes Anliegen zu formulieren. Im weiteren Verlauf werden die nächsten Schritte besprochen, etwa um sich aus der akuten Gewaltsituation zu befreien oder mit den Folgen zurückliegender Gewalterfahrungen hilfreich umzugehen. Wie, wo und von wem kann der Betroffene dabei bestmöglich unterstützt werden? Welche Ressourcen bietet das persönliche Umfeld? Sind professionelle Hilfsangebote denkbar und verfügbar?
Das Telefon existiert seit 2020 und wird durch die Bundesländer Nordrhein-Westfalen, Bayern und Baden-Württemberg gefördert. Auch nach vier Jahren ist das Angebot weiterhin im Aufbau. Die Zahlen der Anrufenden sind seit 2020 sukzessive gestiegen. Mittlerweile sind es allein am Telefon knapp 400 Beratungsgespräche monatlich. Ein Anfang ist gemacht, eine niedrigschwellige erste Anlaufstelle zur Verfügung gestellt. Jedoch gibt es noch viel zu tun, um das Angebot für gewaltbetroffene Männer inhaltlich und im zeitlichen Umfang zu erweitern.
Björn Süfke, Co-Leiter "Hilfetelefon Gewalt an Männern, E-Mail: bjoern.suefke@man-o-mann.de