Ein inklusiv gebrautes Bier
Es war Europas erste inklusive Brauerei, in der Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam arbeiteten: Im Jahr 2000 wurde die "Josefs-Brauerei" in Olsberg-Bigge eröffnet. Doch 2020 drohte das Aus. Eine gesunde Mischung aus Zufall und Herzblut rettete die Josefs-Brauerei vor der Schließung. "Eigentlich gibt es uns schon seit 22 Jahren, aber im Endeffekt sind wir wie ein Startup", erklärt Victoria Schulte-Broer, die Inklusionsbeauftragte des Unternehmens, das nach der Rettung von Olsberg nach Bad Lippspringe umzog.
In der Josefs-Brauerei ist nach der Neueröffnung ein gesundes Maß an Hektik Teil der Normalität. Die Dynamik zieht sich durch die ganze Brauerei, in der sieben der 13 Beschäftigten mit einer Schwerbehinderung arbeiten. Den Transporter fährt heute zum Beispiel Guido Hentze, einer der sechs Gesellschafter des Unternehmens, einer eigens dafür gegründeten Besitzgesellschaft, das die Brauerei von der Josefsheim gGmbH übernahm. Den ganzen Vormittag huscht der Paderborner Unternehmer von einer Ecke des neuen Fabrikgeländes in die andere. Noch ist alles ein Lernprozess: "Wir sind einfach ins kalte Wasser gesprungen und sagten ‚Yeah, jetzt fangen wir an zu schwimmen.‘"
Das Fest zur Neueröffnung war ein gutbesuchter Erfolg, die ersten lokal gebrauten Biere sind in der Flasche, seit zwei Wochen läuft die Dosenabfüllung und am nächsten Tag steht die erste Führung an. Das Rezept für den Erfolg? Zum einen die motivierten Kollegen, die sich an einem Arbeitsplatz engagieren, "an dem sie mit Respekt und gleichbehandelt werden", sagt Victoria Schulte-Broer. Dafür arbeiten sie gerne und vor allem auch gut. Zum anderen die neuen Gesellschafter, die auch mal mit in die Bresche springen, wenn es brennt. Das helfe beim Neustart ungemein.
Puzzles und Zufälle
Die Brauerei war bei ihrer Eröffnung 2000 in Olsberg die einzige Inklusionsbrauerei Europas. Nachdem das Unternehmen im Frühjahr 2020 coronabedingt finanzielle Schwierigkeiten anmeldete, stand die Zukunft des Betriebs auf der Kippe. Ralf Eckel, einer der sechs Gesellschafter und selbst Vater eines behinderten Sohnes, hörte durch Zufall von der möglichen Schließung - und sah Handlungsbedarf. "Ralf kam zu uns und sagte ‚Komm, wir machen mal eine Brauereibesichtigung‘", erinnert sich Hentze. Auf der Hinfahrt eröffnete Eckel der Gruppe das eigentliche Anliegen: Diese inklusiven Arbeitsplätze dürfen nicht wegfallen - und man selbst könne dafür was tun. Schon am nächsten Morgen waren alle sechs bei dem Projekt an Bord.
In Bad Lippspringe hatten die Paderborner Gesellschafter, die schon verschiedene Unternehmen gemeinsam geführt haben, erst kürzlich ein großes Gelände erworben. Für die in Schieflage geratene Brauerei ideal: Um das Unternehmen wirtschaftlich neu aufzustellen, bot sich hier der perfekte Platz für neue und vor allem größere Anlagen. Den Zuschlag seitens der Olsberger Einrichtung für Menschen mit Behinderung, die zur Caritas gehört, erhielten die sechs Gesellschafter, weil sie den Inklusionsgedanken weiterführen wollen.
Aber wie zieht eine Brauerei um? Die Reise der Produktionsstrecke von Olsberg nach Bad Lippspringe führte laut Victoria Schulte-Broer zum "größten Puzzle Deutschlands", das vor Ort gelöst werden wollte. Dabei waren die unterschiedlichen Kompetenzen der Gesellschafter von Vorteil. "Jeder kannte seinen Part und man konnte sich gut ergänzen", erinnert sich Hentze.
Rückkehrer und Reisende
Mit von der Partie war die alte Belegschaft. Ein Großteil der Mitarbeiter in Olsberg, Menschen mit Behinderung, die teilweise Jahre in dem Betrieb gearbeitet hatten und schon andere Zukunftspläne schmiedeten, kamen noch einmal zurück, um den Betrieb am Laufen zu halten. Allen wurde ein Übernahmeangebot gemacht. Zwar kam schließlich nur einer mit nach Bad Lippspringe, für alle Mitarbeiter wurde aber eine Anschlussbeschäftigung gefunden.
Ebenfalls unerlässlich für den geglückten Umzug war die Expertise von Braumeister Wolfgang Mehringer (32). Der Bayer ist in Brauereien aufgewachsen, seit 2018 im Betrieb und war somit schon am alten Standort tätig. Nach seinem Wechsel vom Sauerland nach Ostwestfalen wurde zunächst das Weizen optimiert. Große Unterschiede zur Arbeit in anderen Brauereien sieht Mehringer nicht. Der Automatisierungsgrad sei etwas geringer, um die inklusiven Arbeitsplätze zu sichern. Von der Konkurrenz unterscheide man sich eher im Prozess und Geschmack. Die traditionelleren Brauweisen, wie liegende Tanks, eine richtige Nachgärung und die langen Lagerzeiten führen zu einem Sortiment, "das sich schon ein bisschen abhebt", erklärt er. Am neuen Arbeitsplatz schätzt er insbesondere die vergrößerten Produktionsmöglichkeiten, mit bis zu 20.000 Hektoliter pro Jahr sei schlicht deutlich mehr als in Olsberg möglich.
Dirk Witt hat den Umzug mitgemacht. Seit 2014 ist der 41-Jährige mit einer Lernbehinderung bereits im Unternehmen tätig. Die Arbeit macht ihm Spaß: "Sonst wäre ich ja schließlich nicht mit umgezogen." Er sei geradezu ein "Arbeitstier", bescheinigt ihm Victoria Schulte-Broer. Dirk Witt werden in der Brauerei auch die schwierigeren Handgriffe in der Mühle oder Spezialaufgaben anvertraut. Die Arbeit bedeutet ihm vor allem Selbstständigkeit: "Ich wollte unabhängig sein, das habe ich geschafft."
Andere wie Jörg Poppe kamen neu dazu. Ein schwerer Autounfall machte dem Senior des Betriebs ("Einer muss es ja sein") die gelernte Arbeit als Fleischer unmöglich. Als er von der Ausschreibung in der umgezogenen Brauerei hörte, bewarb sich der Mittfünfziger mit der Aussage: "Ich will das unbedingt." Mittlerweile ist er gut angekommen, die Arbeit macht Spaß und auf das Produkt ist er stolz. "Das Bier ist schon was Besonderes."
Der Enthusiasmus zieht sich durch die ganze Belegschaft. Für das große Volksfest Libori in Paderborn, bei dem die Brauerei auch schon vor dem Umzug immer vertreten war, sollte sich die Belegschaft um 3 Uhr treffen. Nico, mit 21 das Küken der Firma, fragte wie aus der Pistole geschossen und motiviert: "Morgens?" "Wenn ich meine Mitarbeiter nicht nach Hause schicken würde, dann würden die ewig arbeiten", sagt Guido Hentze.
Die Angestellten arbeiten in der Produktion, der Lagerhaltung und der Reinigung. Auch wenn jeder alles können muss und flexibel eingesetzt wird, gibt es einen klaren Favoriten unter den Arbeitsplätzen: die Kontrolle. Am Band zieht hier jede Flasche vorbei und wird inspiziert. "Hier sehen die Kollegen, was sie geschafft haben", erklärt Victoria Schulte-Broer.
Mehr als ein Trinkspruch
Die Kunden zeigen ihre Wertschätzung - wie etwa Helmut Böhmer, der mit dem Haxterpark selbst ein inklusives Unternehmen mit Golfplatz und Gasthof in Paderborn führt. Nachdem die Brauerei in die Nachbarstadt kam, bemühte er sich sofort, die Biere ins eigene Sortiment aufzunehmen. Sein Gasthof führt mittlerweile das Märzen und das Dunkle. "Das geht da wirklich einzigartig Hand in Hand", lobt er. "Produktqualität und die Einbettung in den gesellschaftlichen Rahmen."
Das Motto der Josefs-Brauerei - "Gutes trinken. Gutes tun!" - ziert nicht nur die Rückseite der Flaschen, sondern spiegelt sich auch in der Unternehmensphilosophie wider. "Viele Menschen haben Glück gehabt, andere nicht", sagt Hentze. Für ihn gehe es darum, über Inklusionsunternehmen wie die Brauerei wichtige Anlaufstellen und Chancen für Menschen mit Behinderung aufzubauen.