Mit dem Tierarztmobil durch Hannover
Mittwochnachmittags in Hannover: Das Tierarztmobil der Uli-Stein-Stiftung rollt auf den Platz vor der Basilika St. Clemens. Kaum öffnet sich die Schiebetür des Kastenwagens, strömen Menschen mit ihren Hunden herbei. Einen Tierarztbesuch können sie sich meist nicht leisten, denn sie haben eine kleine Rente, keine Arbeit und oft auch kein Zuhause.
Hund Herbert muss dringend abnehmen
Vier ehrenamtlich tätige Frauen sind im Team: die Tierärztinnen Astrid Galka und Carola Urhausen, die angehende Tierärztin Sarah Paschke und die Hundetrainerin Manuela El Garne. Sie begrüßen Halterinnen und Halter sowie die Hunde. Zum Beispiel Herbert, einen kleinen, achtjährigen Straßenmischling. Sarah hebt den Vierbeiner hoch und platziert ihn auf dem Untersuchungstisch im Inneren des Transporters.
Als ihre vorsichtig tastenden Finger am Hinterteil Druck ausüben, zuckt Herbert zusammen und setzt sich abrupt hin. Für Sarah ein eindeutiges Zeichen, dass der Hund heftige Rückenschmerzen hat. Astrid Galka zieht eine der vielen kleinen Schubladen auf und reicht dem Besitzer eine Packung Schmerztabletten. Für Herbert gibt es ein Leckerli und für sein Herrchen einen Rat: Herbert sollte dringend abnehmen!
Die Behandlung ist drin - Prophylaxe leider nicht
Vor dem Bus hat sich inzwischen eine Schlange gebildet. Der Zulauf ist merklich gestiegen - durch ukrainische Flüchtlinge, die ihre Tiere mitgenommen haben, vor allem aber aufgrund der neuen Gebührenordnung für Tierärzte Ende 2022, die deutlich höhere Behandlungskosten vorschreibt. Eine Frau wedelt mit einem Blatt Papier: "160 Euro soll ich zahlen für Scheren, Bürsten und Entfilzen", sagt sie empört, "viermal so viel wie noch vor einem Jahr!"
Katja Seifert, Stiftungsvorständin, die meistens bei den Sprechstunden zugegen ist, zuckt bedauernd mit den Schultern und erklärt: "Unsere Spenden reichen leider nur dafür aus, Krankheiten zu behandeln, nicht für Prophylaxe." Doch die Hundehalterin will sich nicht beruhigen: "Müssen denn jetzt alle Tiere sterben, weil die Leute kein Geld haben, um mit ihnen zum Tierarzt zu gehen?" schreit sie. Da greift Eddie Sahin ein, zieht die wütende Frau vorsichtig zur Seite. Er ist als Ordner dabei, um Konfliktsituationen zu deeskalieren.
Im nächsten Moment fordert eine alte Bekannte des Teams lautstark Medikamente für ihren schwarz-weißen Cockerspaniel-Mischling, den sie an einer Wäscheleine führt. Die Hundetrainerin beobachtet das Tier, das sich immer wieder auf dem Boden wälzt, und geht mit einem Nissenkamm kurz durchs Fell. "Ihr Hund hat immer noch Flöhe", stellt Tierärztin Galka fest. "Sie müssen Ihre Wohnung komplett säubern, sonst hört das nicht auf." Wieder steht Eddie Sahin zum Eingreifen bereit, doch die Frau stapft schimpfend davon. Der Tierärztin bleibt nichts anderes übrig, als das Veterinäramt einzuschalten.
Ohne Schmerzmittel könnte Hund Nico kaum laufen
Alle anderen großen und kleinen Patienten sind an diesem Nachmittag friedlich. Splitter und Fellwucherungen werden entfernt, Wunden versorgt, Rücken abgetastet, Zähne kontrolliert, es wird Blut abgenommen, gewogen und gespritzt. So wie bei Hund Nico. Seine Besitzerin kann nicht hinsehen, als Sarah die Depotspritze aufzieht. Aber ohne diese Schmerzmittel könnte der Zwölfjährige kaum mehr laufen. Wie viele andere Vierbeiner leidet auch er unter Arthrose. "Mein Hund hält mich am Leben, ohne ihn gäbe es mich wahrscheinlich nicht mehr", sagt die ältere Frau und bedankt sich beim Team.
Nach einer Stunde ist der erste Ansturm vorbei. Katja Seifert nutzt die Pause, um das Projekt vorzustellen: Seit zwei Jahren gibt es das Tierarztmobil der Uli-Stein-Stiftung in Hannover. Behandelt werden pro Person maximal zwei Tiere, vor allem Hunde. Beim ersten Besuch muss die Bedürftigkeit nachgewiesen werden. Welpen weisen sie ab, um dem Handel mit Jungtieren nicht Vorschub zu leisten. Impfungen, Wurmkuren oder andere Vorsorgemaßnahmen würde die Stiftung auch gern übernehmen, dafür fehlen aber die nötigen Mittel - auch weil das Team niemanden wegschicken möchte. Pro Monat fließen rund 4000 Euro in das Projekt. Die Spenden stammen vor allem von Privatleuten, aber auch von Firmen.
Auch die Caritas ist beim Tierarztmobil mit im Boot
Finanziell und ideell unterstützt auch die Caritas Hannover das Tierarztmobil, deren Sitz direkt an den Clemensplatz angrenzt. Caritas-Sozialarbeiterin Ramona Pold ist völlig begeistert von dem aufsuchenden Hilfsangebot. Denn sie weiß, warum ein Tier für bedürftige Menschen so wichtig ist: Ein Hund ist ein treuer Beschützer und Begleiter, dem gerade die Menschen, die durchs Raster gefallen sind, vertrauen.
Die Liebe geht sogar so weit, dass die Gesundheit des einzigen Sozialpartners wichtiger erscheint als die eigene. Um mit den bedürftigen Hundebesitzer:innen in Kontakt zu kommen, bietet die Caritas deshalb zeitgleich zur Sprechstunde einen Tagestreff für Obdachlose an. "Bei einer Tasse Kaffee ergibt sich die Gelegenheit, auch mal auf die Bedürfnisse der Hundebesitzenden zu sprechen zu kommen", erzählt Pold.
Lio braucht eine Tollwut-Auffrischung
Um sich Medikamente oder Hundefutter zu holen, kommen die meisten regelmäßig jede Woche oder in größeren Abständen, da sie von Stadt zu Stadt ziehen. Für die Futterausgabe ist Moné zuständig, eine Caritas-Mitarbeiterin mit Hund und gutem Draht zur Punkerszene. Zum Beispiel zu Roxie, einer jungen Frau mit vielen Piercings. Sie hat Lio, einen jungen Golden Retriever, aus einem türkischen Tierheim gerettet und ihn aufgepäppelt. Die Tierärztin wirft einen Blick in den Impfpass: "Tollwut musst du auffrischen lassen, aber leider selbst bezahlen", sagt sie. "Das geht schon", antwortet Roxie, sie habe ja jetzt einen Job.
Nach zwei Stunden packen die Tierexpertinnen zusammen. Zum Glück gab es heute keinen Notfall. Zwar gibt es ein Ultraschallgerät, Röntgenaufnahmen oder Operationen sind aber vor Ort nicht möglich. Dafür wird bei Bedarf ein Termin in der Tierarztpraxis vereinbart. "Da kommen schnell mal ein paar Hundert Euro zusammen", sagt Katja Seifert, die alle Hebel in Bewegung setzt, um solche Kosten künftig über mehr Spenden zu decken.