Südsudan: Dem Klimawandel ausgeliefert
"Kommt mit", sagt Sister Gracy, als wir uns im September 2022 auf einer Dienstreise in die Region Wau im Norden des Südsudan zum ersten Mal begegnen. "Ich zeige euch, was der Klimawandel für die Menschen hier bedeutet." Während der Autofahrt erzählt sie von den schwierigen Bedingungen ihrer Arbeit.
Ursprünglich kommt Sister Gracy aus Indien. Seit über drei Jahrzehnten lebt sie im Sudan, seit 25 Jahren in Wau, der zweitgrößten Stadt des heutigen Südsudan. In dieser Zeit herrschte fast durchgehend Krieg - zunächst um die Unabhängigkeit - und nachdem diese erreicht wurde, um Macht, Einfluss und Ressourcen im neu gegründeten Südsudan. Als sie 1998 nach Wau kam, verging kein Tag ohne den Lärm der Maschinengewehre. Oft drangen die Kugeln sogar durch die Wände ihres Hauses, berichtet sie.
Die Mütter versuchten verzweifelt, ihre Kinder zu retten
Diese Zeit hat sich bei Sister Gracy eingeprägt. Tausende Flüchtlinge kamen an, ohne Kleidung, oft hatten sie seit Tagen oder Wochen nichts gegessen. Verzweifelt suchten Mütter nach Rettung für ihre Kinder. Es sind diese Erlebnisse, die eine Entscheidung in ihr reifen ließen: Bis zu ihrem Lebensende wird sie an der Seite der Frauen und Kinder im Südsudan bleiben, komme, was wolle.
Heute ist Sister Gracy Leiterin der von ihr gegründeten "Mary Help Association". Gemeinsam mit 220 Mitarbeitenden und finanzieller Unterstützung von Caritas international aus Deutschland steht sie den Menschen im Südsudan zur Seite. Neben den Nachwehen des Bürgerkriegs und dem gewaltvollen Umfeld sind es nun auch die Folgen des Klimawandels, die den Menschen zu schaffen machen.
Wir haben das Ende der Straße erreicht. Von hier aus geht es zu Fuß weiter. "Passt auf das Auto auf", bittet sie ein paar Jungs, die uns die letzten Meter neugierig gefolgt waren. Wir laufen los. Nach wenigen Minuten müssen wir Schuhe und Socken ausziehen und die Hosenbeine bis zu den Knien hochkrempeln. Knapp eine Stunde laufen wir so durch knietiefes Wasser. Immer wieder kommen wir an Siedlungen und Hütten vorbei. Viele stehen unter Wasser. Das Land ist flach, das über die Ufer des Flusses getretene Wasser breitet sich schnell aus. "Auf den überfluteten Feldern wächst nichts mehr - die Ernte der hungernden Menschen ist hinüber", sagt Sister Gracy.
Der Regen kommt spät - und dann fällt viel zu viel
Seit etwa zehn Jahren folgt das Klima im Südsudan einem gefährlichen Trend: Die Regenzeit beginnt immer später - und wenn der Regen endlich fällt, dann in solchem Ausmaß, dass ganze Landstriche in den Fluten versinken. Hinzu kommt die Ausbreitung von Krankheiten wie Malaria, denn Stechmücken finden gute Brutbedingungen in den stehenden Gewässern. Während die Folgen des Klimawandels in Deutschland für viele nur eine diffuse Bedrohung in der Zukunft zu sein scheinen, sind sie hier bittere Realität. Klimawandel bedeutet im Südsudan nichts weniger als Hungersnot.
Ochsen-Leihservice gegen Hunger
Im Umgang mit den Folgen des Klimawandels leisten Sister Gracy und ihr Team kreative Hilfe: "Wir verteilen neues, dürreresistenteres Saatgut. In den Überschwemmungsgebieten wollen wir demnächst versuchen, Reis anzubauen." Eine weitere Art, mit den Auswirkungen fertig zu werden, ist das Vergrößern der Anbauflächen durch den Einsatz von Ochsenpflügen.
Weil im Südsudan Ochsen bislang nie zur Arbeit eingesetzt wurden, konnten die Mitarbeitenden von Sister Gracy nicht einfach Ochsen verteilen. Stattdessen gründete die Schwester einen Ochsen-Leihservice: Für etwa 9000 US-Dollar kaufte sie 18 junge Tiere und ließ sie trainieren, parallel dazu wurden 75 Männer im Umgang mit ihnen geschult. Wenn es an der Zeit ist, die Äcker zu bestellen, ziehen die ausgebildeten Männer in Dreierteams mit Ochse, Pflug und Saatgut von Familie zu Familie und bieten gegen eine moderate Bezahlung ihre Dienste an. "Das ist eine Win-win-Situation", erklärt die Schwester. "Meine 75 Angestellten können von dem Lohn sich und ihre Familien ernähren. Und diejenigen, die das Angebot mit den Pflugochsen annehmen, haben eine fünffach so große Ernte, können Überschüsse auf dem Markt verkaufen und ihre Kinder zur Schule schicken."
Energiesparöfen schonen das Klima - und retten Frauenleben
Ein weiterer Schritt ist der von Sister Gracy vorangetriebene Bau von Energiesparöfen. Diese Öfen kommen mit etwa einem Drittel der vorher benötigten Menge an Feuerholz aus. Das bedeutet weniger Ausstoß von CO2 und weniger Bedarf an gefällten Bäumen. Doch noch wichtiger ist der Schwester ein anderer Aspekt: "Feuerholz sammeln ist traditionell Frauensache", sagt sie. Doch in der weiten Savannenlandschaft müssen die Frauen oft stundenlange Wege zurücklegen, um Holz zu sammeln. Immer wieder kommt es dabei zu Vergewaltigungen.
"Ich fürchte mich, wenn mir im Wald ein Mann entgegenkommt", berichtet wenig später auch Martha Anywat. Sie ist Mutter dreier Kinder und bereitet auf einem Energiesparofen einen Brei zu. Sister Gracy pflichtet ihr bei: "Die meisten Männer haben Waffen. In der aktuellen Situation im Land müssen sie nicht befürchten, für ihre Taten belangt zu werden." Für Martha Anywat ist das Leben deutlich leichter geworden, seit sie einen neuen Ofen hat.
Nach gut zwei Stunden kehren wir zum Auto zurück. Die fünf Jungs, die darauf aufpassen sollten, sitzen noch immer davor. "Kommt am Montag zu mir, dann bekommt ihr Süßigkeiten zur Belohnung", ruft Sister Gracy. Die Kinder strahlen, einer der Jungen schreibt sicherheitshalber die fünf Namen auf einen Zettel und reicht ihn ins Auto. "Die fünf werden am Montag noch vor allen anderen bei mir sein", sagt Sister Gracy lachend, während wir mit dem Auto zurück in die Stadt Wau fahren.