Springen von Pfütze zu Pfütze
Sie engagieren sich in der ambulanten Hospizarbeit und begleiten schwerkranke Menschen und deren Angehörige, darunter Kinder und Jugendliche. Was motiviert Sie?
FEDERHOFER-FANTE:
Meine Mutter ist 1988 an Krebs erkrankt und ein Jahr später verstorben. Da war ich 24 Jahre alt und von der Situation völlig überfahren. Im Krankenhaus gab es niemand, der sich um mich gekümmert hätte. Ich wurde alleine gelassen. Auf einmal waren da viele Fragen. Das war es jetzt? Wie gehe ich mit Tod und Sterben um? Was passiert da und was kommt danach? Ein halbes Jahr spä ter hatte mein Vater einen schweren Schlaganfall. Auch hier war alles sehr unkommunikativ. Da habe ich mir gedacht: Wenn ich Zeit habe im Leben, will ich mich da weiterbilden. Jahrzehnte später habe ich in der Zeitung über eine Hospi zausbildung gelesen und bin dann auch dazu gekommen.
SANDHÖFER:
Ich habe meine Großeltern im Teenager-Alter verloren. Mit meinen Eltern konnte ich wenig darüber sprechen. Über Generationen hinweg wurden meist stillschweigend bestimmte Rituale gelebt. Als Kind habe ich das natürlich nicht verstanden und fand es sehr beängstigend. Daher habe ich schon früh gespürt, dass mich die Thematik anspricht und ich Zusammenhänge verstehen will.
Das Thema hat sie über viele Jahrzehnte beschäftigt. Ist die Hospizarbeit Herzenssache?
FEDERHOFER-FANTE:
Auf jeden Fall. Ich will einfach nicht, dass andere Menschen alleine oder unvorbereitet solche Situationen durchstehen müssen. Der Tod eines Menschen kann einen umhauen - ein plötzlicher Unfall- oder Herztod genauso wie der Tod eines Schwerkranken, dessen Lebenshauch langsam schwindet.
SANDHÖFER:
Ich will mich für die Menschen bis zum Lebensende einsetzen und verstehe mich als eine Art Fürsprecherin. Mir geht es um das Recht auf ein menschenwürdiges Leben und Sterben. Deswegen mache ich diese Arbeit. Und ich habe in keinem Berufsfeld so viel Authentizität erlebt wie in diesem.
Die ehren- und hauptamtlich Engagierten habe sich intensiv mit der Trauerbegleitung von Kindern und Jugendlichen auseinandergesetzt!?
SANDHÖFER:
Wir wurden vor einigen Jahren von einer tragischen Situation einer Familie mit zwei minderjährigen Kindern überrollt. Die Mutter war schwer krank, ihre Lebenszeit begrenzt. In dieser Hospizbegleitung stellte sich dann heraus, dass auch der Vater bald sterben muss. Auf so etwas kann man nicht vorbereitet sein. Innerhalb kürzester Zeit gab es dann noch weitere Fälle mit Kindern und Jugendlichen. Für mich war dann klar, dass wir uns und unsere Ehrenamtlichen besser darauf vorbereiten müssen. Ich habe nach Möglichkeiten der Qualifizierung gesucht, aber dann gemerkt, dass Kinder und Jugendliche oft nicht im Blick sind.
Wieso ist das so? Trauern Kinder anders als Erwachsene?
FEDERHOFER-FANTE:
Ja. Da gibt es große Unterschiede. Kinder haben ihre eigenen Schutzmechanismen und fragen zunächst nur nach dem, was sie auch in diesem Moment begreifen und verarbeiten können. Sie erleben traurige Phasen und sind dann wieder fröhlich. Das macht die Trauerbegleitung anspruchsvoll. Wir arbeiten da mit dem Bild der "Pfützentrauer". Kinder springen in eine Pfütze und trauern. Die Pfütze kann unterschiedlich tief oder flach sein. Dann springen sie wieder heraus. Irgendwann springen sie in eine neue Pfütze und trauern erneut. Für Erwachsene ist Trauer wie ein großes Meer, und sie versuchen wieder an Land zu kommen. Die meisten Erwachsenen schalten auch nach einer gewissen Zeit um und verbergen ihre Trauer hinter einer Maske der Normalität. Weil sie aber in ihrer Trauer gefangen sind, sehen sie meistens nicht, was Kinder wirklich brauchen. Oft wollen sie die Trauer von den Kindern fernhalten. Das ist aber nicht richtig. Kinder haben nicht nur viele Fragen, sondern auch feine Antennen, wenn etwas nicht stimmt. Man darf ihnen nichts vormachen.
SANDHÖFER:
Für unsere Ehrenamtlichen ist es wichtig, sich über diese Unterschiede in der Kindertrauerarbeit und Erwachsenentrauerarbeit bewusst zu sein. Sie lernen durch die Qualifizierungen außerdem kreative Trauertechniken kennen.
Wie sieht die Arbeit mit den Kindern konkret aus?
FEDERHOFER-FANTE:
Bei Tina Sandhöfer laufen die Drähte zusammen. Sie koordiniert die Anfragen und Einsätze der Ehrenamtlichen und achtet zum Beispiel auf Fahrzeiten oder Wohnort. Wir gehen dann meisten zu zweit los, oder ich telefoniere mit der trauernden Familie im Vor feld und mache einen Termin aus. Dann fahre ich mit unserem Trauer-Köfferchen los. In der Familie ist die Stimmung natürlich gedrückt. Gemeinsam mit einem Elternteil oder Angehörigen versuche ich dann das Eis zu brechen, in dem ich den Koffer in die Mitte lege. Da kommt dann die kindliche Neugier. Wir sprechen dann über das, was die Kinder herausnehmen oder wissen wollen. Man muss hier gut beobachten und darf den Kindern nichts aufdrängen oder überstülpen. Wir machen ein Angebot, das nicht angenommen werden muss. Dabei gehen wir auch auf die Wünsche der Familie ein. Ich gehe zum Beispiel mit den Kindern vorher auf den Friedhof und erkläre vieles, was für Erwachsene selbstverständlich ist. Sinneserfahrungen sind für Kinder wichtig, da- mit sie begreifen können.
Sie schaffen Vertrauen durch Information und kindgerechte Ansprache?
FEDERHOFER-FANTE:
Ja. Und dann sind die Kinder auch offen für ganz viele kreative Beschäftigungen. Wir können beispielsweise einen Stein bemalen, den sie dann auf das Grab legen können. Oder sie schreiben einen Brief an den Opa, in dem sie das schönste Erlebnis mit ihm festhalten. Wir unterstützen dabei die Kinder. Sie sollen das alles selbst machen. Das spendet Trost. Und die Kinder sind dankbar dafür, etwas in dieser Situation tun zu dürfen. Das ist ein guter Grundstein für den begonnenen Trauerprozess.