Online geht's oft leichter
Es kann Mühe kosten, eine Erziehungsberatung aufzusuchen. Schließlich gesteht man sich damit ein, ein Problem zu haben, das man alleine nicht in den Griff bekommt. Und das einem anderen Menschen ins Gesicht zu sagen, fällt manchem schwer. Es ist gut, wenn man sich überwindet und zur Erziehungsberatung geht. Doch auch für Leute, die das partout nicht können oder wollen, gibt es ein niederschwelliges Angebot, bei dem man sich nicht "outen" muss und dennoch Hilfe erfährt: die Onlineberatung. Die von Caritas und Diakonie getragene Erziehungsberatung in Roth/Schwabach beteiligt sich seit rund zwei Jahren an der virtuellen Beratungsstelle der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung (bke). Sechs Stunden pro Woche hilft die Diplom-Psychologin und Familientherapeutin Marianna Wenzl-Popp im Internet Ratsuchenden: vor allem in Form der E-Mail-Beratung. Eine Stunde abends steht sie zudem in einem "Live-Chat", einer Online-Sprechstunde, zur Verfügung.
Vorteil, anonym zu bleiben
Seit zwei Jahren leistet Marianne Wenzl-Popp Online-Erziehungsberatung: vor allem per E-Mail, aber auch in einer virtuellen Sprechstunde.Peter Esser
Beide Online-Beratungsformen bieten im Gegensatz zur realen Beratung in ihrem Sprechzimmer der ökumenischen Erziehungsberatung in der Münchner Straße 33 in Roth den Vorteil, dass die hilfesuchenden Menschen anonym bleiben. Man geht über www.bke-beratung.de ins Netz - Jugendliche können dies auch direkt über www.bke-jugendberatung.de und Eltern über www.bke-elternberatung.de tun - registriert sich, meldet sich an und tauscht sich dann mit einem eigenen Nickname, einem Spitznahmen im Internet, mit einer Beraterin oder einem Berater aus. Marianne Wenzl-Popp ist eine von rund 100, die dies derzeit im Auftrag der bke tun. Der Live-Chat ähnelt der Telefonseelsorge und eignet sich, um schnelle erste Hilfen in Krisensituationen zu erhalten: zum Beispiel, so die Psychologin, um auf einen Hinweis "Ich weiß einfach nicht mehr, was ich machen soll, ich will mich gerade schon wieder verletzten" mit der Antwort "Ich höre deine Not. Lass’ uns mal genauer hingucken, was du sonst noch tun könntest" Beistand anzubieten. Die E-Mail-Beratung ermöglicht es, eine längere Beziehung online aufzubauen. Auf ein Erstkontaktgesuch reagiert Marianne Wenzl-Popp innerhalb von 48 Stunden, die anschließende Kommunikation gestaltet sich individuell. Da sie anders als in der realen Beratung keine Eindrücke aus dem Gesichtsausdruck oder Gesten der Betroffenen gewinnen kann, ist sie ganz darauf angewiesen, sich am Text des Ratsuchenden zu orientieren und sich behutsam ohne eventuelle falsche Spekulationen an dessen Not heranzutasten. "Wenn zum Beispiel der Satz kommt, jemand habe keine Lust mehr am Leben, schreibe ich erst einmal, dass ich lese, wie verzweifelt die Person sich fühlt, ich gerne verstehen würde, womit das zu tun hat und erkundige mich auch danach, wie sie denn ihren Tag so verbringt", schildert die bisher einzige Online-Erziehungsberaterin der Caritas im Bistum Eichstätt Strategien. Diese hat sie zu Beginn ihrer Tätigkeit in einer einwöchigen Schulung der bke gelernt und danach auch noch eine Zeit lang mit einer Mentorin besprochen.
Jugendliche suchen lange Kontakt
Die Intensität der Beratung ist sehr unterschiedlich: Eltern wünschen nach Erfahrung von Marianne Wenzl-Popp oft nur einen Tipp, an welche Stelle sie sich zum Beispiel bei einem Schulproblem ihres Kindes wenden können. Jugendliche suchen hingegen häufig über mehrere Monate hinweg immer wieder Kontakt und Rat. "Mit einem Mädchen, das gravierende Probleme hat, bin ich rund 150 Mal in Verbindung gewesen", nennt die Rother Erziehungsberaterin ihre bisher längste und intensivste Onlineberatung, die zu ihrer Freude mit dem Erfolg endete, "dass sich die Betroffene für eine Therapie an eine Klinik gewandt hat". Dass sich "Onlineklienten" im Zuge des virtuellen Austausches an eine reale Hilfestelle wenden, kommt nach ihrer bisherigen Erkenntnis immer wieder vor, "und es tun vor allem Leute, bei denen dies besonders wichtig ist". Nach Überzeugung der Psychologin und Familientherapeutin ist dies ein ganz bedeutsamer Schritt, "denn natürlich stößt die Onlineberatung irgendwann an ihrer Grenzen, zum Beispiel wenn eine Traumatherapie nach einer Vergewaltigung oder einem schweren Autounfall nötig ist". Doch um überhaupt Kontakt zu bestimmten Menschen mit Problemen zu bekommen und sie auf einen Lösungsweg zu bringen, hält Marianne Wenzl-Popp die Onlineberatung für ideal. "Vor allem viele Jugendliche würden sich nicht zu eigenen Problemen wie Liebeskummer, sexuellem Missbrauch, Mobbing, Ess-Störungen, depressiven Verstimmungen, Schwierigkeiten mit der Familie oder Suizidabsichten äußern, wenn sie diese einer anderen Person ins Gesicht sagen müssten. Hier tun sie es aber", erläutert sie die Chance dieser modernen Hilfe, die bei ihr sowie bundesweit in der bke-Beratung bisher vor allem Mädchen wahrnehmen.
Nach ihrer Statistik stand die Rother Beraterin im Jahr 2010 mit rund 130 Menschen auf diese Weise in Verbindung: zur Hälfte über die E-Mail-Beratung mit etwa zum gleichen Anteil Kontakt zu Jugendlichen und Eltern und zur anderen Hälfte über die Sprechstunde im Live-Chat für Jugendliche. "Aus den unterschiedlichen Schreibstilen - mal holprig mit Rechtsschreibfehlern und mal in perfektem Deutsch - kann man übrigens schließen, dass es Ratsuchende aus allen Bevölkerungsschichten sein müssen", schildert Marianne Wenzl-Popp eine weitere Erkenntnis, die sie gewonnen hat. Sie ist zudem davon überzeugt, dass ihre Tätigkeit als Onlineberaterin auch für ihre reale Beratung von Vorteil ist: "Ich habe durch diese neue Arbeit die Geisteswelt von Jugendlichen, ihre seelischen Nöte, aber auch die Anliegen von Eltern noch wesentlich besser kennengelernt." Onlineberatung und reale Beratung werden für Marianne Wenzl-Popp so zunehmend zu zwei Seiten der einen Medaille Erziehungsberatung.