Teilhabe am Arbeitsleben dank vielerlei Gewerbe
Montagmorgen, kurz nach neun. Wie die meisten Besucher(innen) der Goslarschen Höfe beginne ich meinen Rundgang im Café, das hier Hof-Café heißt. Tatiana Brander serviert einen leckeren Cappuccino. „Wir rösten unseren Kaffee selbst“, sagt sie und zeigt mir eine hellbraune 250-Gramm-Packung: „Wir haben sechs Kaffeesorten, der Geschmack von mild bis nussig. Oder mögen Sie eine leichte Schokonote?“
Café, Hof-Rösterei, Galerie, ein Klavier: Der Raum kann für Veranstaltungen und Feiern gemietet werden. Der Kuchen ist selbst gebacken. „Dafür sorgen unsere Kuchenfeen.“ Brander stutzt, dann sagt sie: „Wir haben auch zwei Männer im Team der ehrenamtlichen Bäcker.“ Wertschätzung in kleinster Einheit.
Und über allem gelebte Inklusion und Integration: „Hier wird nicht darauf geachtet, wie ein Mensch aussieht oder sich bewegt“, sagt Brander (29). Sie hatte als alleinerziehende Mutter Mühe, eine passende Arbeit zu finden. Der Job der stellvertretenden Caféleitung war ein Volltreffer. Sie stellt mir das Team hinter der Theke vor und zeigt dann nach draußen: „Andreas war schon vor uns da. Er gießt die Beete und Blumenkübel, sammelt Müll ein rund um die Außenterrasse.“
Beim Thema Schaffensfreude gibt es keine Beeinträchtigung
Andreas Wassmann ist beeinträchtigt. „Gehen Sie mal auf die Höfe“, schlug die Agentur für Arbeit ihm vor. Wassmann kam zum Probearbeiten und blieb: „Ich mache hier alles, bin jeden Tag hier.“ Hausmeisterdienste, Transporthelfer für Umzüge und Entrümpelungen. „Ob Keller oder Dachboden, es ist manchmal viel, aber wir bekommen alles besenrein“, sagt Andreas Wassmann.
Wand an Wand mit dem Hof-Café liegt die Jugendwerkstatt. Hier wachst Jette Wittneben ihren Beistelltisch aus Kiefernholz. Die 23-Jährige arbeitet behutsam und gründlich. Die konstruktiven Details zu beschreiben liegt ihr nicht. Anleiter Frank Spaich springt ein: „Die Ecküberblattung des Rahmens ist anspruchsvoll, das hat Jette gut hinbekommen.“ Neil-Duncan Albrecht hat schon mehr Selbstbewusstsein und präsentiert stolz seine Sitzkiste mit Klappdeckel. Irgendwann werden Jette und die anderen eine große Vogelvilla bauen. „Mit Wänden aus Miniatur-Fachwerk, Kambala oder Eiche“, sagt Spaich. Oder sie restaurieren die alten Kommoden, Schätzchen aus dem Hof-Kaufhaus.
Milena Paul hat ihre Ausbildung zur Kosmetikerin abgebrochen. Schwer vorstellbar, wie die junge Frau, die inzwischen sicher mit Holzhobel, Metallsäge und Flex arbeitet, auf saubere Fingernägel achten soll. Ihre Stärke ist das Malen. „Die Tiere auf dem großen Wandgemälde in der Werkstatt sind von mir: Fuchs, Eule, Einhorn“, sagt sie.
Die 20-Jährige weiß noch nicht genau, in welche Richtung es weitergehen soll. Knapp 50 Bewerbungen hat sie verschickt, ohne Erfolg. „Ich habe hier schon viel dazugelernt. Vor allem, nicht immer die Flinte ins Korn zu werfen. Ich komme morgens gerne hierhin.“
Nur um das Schweißgerät macht sie noch einen Bogen. Diese Angst kennt Philip Karges nicht. Mit Lederschürze und Schutzmaske gewappnet, steht er an der Werkbank. Funken sprühen, während er die nächste Schweißnaht setzt. Der 20-Jährige arbeitet eine Autofelge zu einem Holzkohlegrill um. Das Teil sieht cool aus.
Das Transport-Team des Hof-Kaufhauses ist zurück und parkt den Crafter vor dem Möbellager. Die drei Männer tragen ein Doppelbett, einen zerlegten Schlafzimmerschrank und Vitrinen ins Lager. Den Schrank bauen sie im Handumdrehen wieder zusammen. Das Innere des Depots ist ein bisschen chaotisch. Nicht so das große Hof-Kaufhaus. Der riesige Verkaufsraum ist klar strukturiert, die Regale sind ordentlich gefüllt und professionell dekoriert. „Ich bin gelernte Einzelhandelskauffrau“, sagt Anne Winterberg. Zusammen mit Edeltraud Neubauer managt sie das Sortiment. „Wir sind fest ehrenamtlich“, sagt Anne Winterberg und lacht. „Hier kommt irgendwann alles an. Es ist eine Lebensaufgabe, wir können nicht aufhören.“
Kreativ – sozial – ökologisch: das Hof-Kaufhaus vermittelt Dingen neue Besitzer
Die freundlichen Jung-Ruheständlerinnen sind die personifizierte Nachhaltigkeit. „Wir wollen nicht, dass alles weggeworfen wird.“ Dann kommt die Verkäuferin in Edeltraud Neubauer durch: „Und, was halten Sie von dieser Puppenstube?“, fragt sie.
Dennis Lyra (43) im Bart-Simpson-Poloshirt arbeitet im Hof-Kaufhaus und als Springer. Er mag besonders den Kontakt mit Menschen. „Zu Hause rumsitzen war schrecklich; Werktag, Sonntag, Feiertag, alles gleich. Durch den Inklusions-Job bei den Goslarschen Höfen entkam Dennis Lyra Langzeitarbeitslosigkeit und Sinnlosigkeit.
Inzwischen hat er über fünf Jahre Erfahrung im Hof-Kaufhaus: „Helle Holzmöbel gehen gut. Bei dunklen Sachen, Eiche brutal, 70er-, 80er-Jahre, musst du echt mal Nein sagen. Bitte selbst entsorgen.“ Und Dennis Lyra freut sich schon auf das große Open-Air-Konzert. „Hier ist in den letzten fünf Jahren viel gewachsen“, sagt er.
Marmor in der Caritas-Werkstatt? Rafael Jähnel muss schmunzeln: „Das ist Ytong“, sagt er. „Aber aus dem Fachhandel – der im Baumarkt taugt nichts.“ Und weil es zu einem Engel passt, hat er seine Skulptur glatt geschmirgelt, mit grauem Marmormuster bemalt und lackiert. „Ich kann auf alles trimmen“, sagt Rafael Jähnel und signiert das fertige Stück.
Nach 30 Jahren auf dem Bau waren Rücken und Knie kaputt. Es folgte lange Arbeitslosigkeit. In der Kreativwerkstatt, dem Assessment-Center für Langzeitarbeitslose, kann Jähnel im Sitzen arbeiten. Teilnehmende, die lange arbeitslos waren, starten hier mit 15 bis 20 Stunden wöchentlich, gefördert vom Jobcenter.
Und was da so entsteht: Häkelbarbies und Kinderkleidung, Socken und Schals, Holzspielzeug oder Deko-Artikel.
Sägen, schweißen, malen, stricken, basteln – führt das in den Arbeitsmarkt?
Thomas Deicke, beim Jobcenter zuständig für das Management von Maßnahmen – und damit Geldgeber des Kreativhofs –, beantwortet die Frage so: „Die Teilnehmer entdecken hier Stärken und Fähigkeiten, von denen sie dachten, sie hätten sie gar nicht. Die Kombination dessen, was hier angeboten wird, setzt neue Kräfte frei.“
Fertige Produkte werden wertgeschätzt und etwa dem Frauenhaus oder Unterkünften für obdachlose Menschen geschenkt. Hans Georg Ruhe, Vorsitzender beim Caritasverband Goslar und einer der Gründerväter der Goslarschen Höfe, sagt: „Wie geht eigentlich Arbeit? Die Höfe bieten ein Kaleidoskop an Möglichkeiten, da ist für jeden etwas dabei.“
Das Wichtigste ist: „Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter trainieren, vereinbarte Arbeiten fertigzustellen. Ob Holzkohlegrill oder Strickarbeit, Ytong-Skulptur oder Gemälde, spielt keine Rolle“, sagt Anleiterin Birgit Kastern. Die ehemalige Tanzlehrerin war nach einem Unfall selbst lange Jahre arbeitslos. „Ein Beispiel“, sagt Kastern: „Neulich kam eine Mitarbeiterin zu mir und nahm mich in den Arm. Früher sei sie immer so müde und lustlos gewesen. Die Arbeitslosigkeit habe sie krank gemacht. Jetzt geht es ihr gut.“
„Die Höfe sind ein Kaleidoskop: für jeden was dabei"
Den Besucher erinnern die Höfe an eine bunte Passage, in der man unerwartet auf unterschiedliche Läden stößt: Café und Kaffeeverkauf, Kaufhaus und Bühne, Flohmarkt und Repair-Werkstatt. Hier arbeiten alle öffentlich sichtbar miteinander, alle Teile sind miteinander verzahnt. „Wir sperren niemanden weg“, sagt Andreas Pleyer, Geschäftsführer beim Caritasverband Goslar.
Die Goslarschen Höfe sind ein gemeinsames Projekt von Caritas und Diakonie. „Auch das ist etwas Besonderes, die Zusammenarbeit auf Augenhöhe funktioniert sehr gut. Unser Markenkern ist: Menschen in Arbeit bringen“, sagt Andreas Pleyer. Vielseitigkeit ist ein gutes Training. Wenn es im Kreativhof gut läuft, klappt in ein paar Monaten dann der Sprung in eine Werkstatt. Produzieren für den Verkauf. Zum Beispiel die Kakteen aus mintgrünem Glitzerstoff, die so aussehen, als müsse man sich vor ihren Nadeln in Acht nehmen. Oder endlich eine Lehrstelle für Milena Paul.
Nora Wetter steht mit ihrer Tochter im Tragerucksack an der Kasse des Hofkaufhauses, einen Stapel Kinderbücher in der Hand. „Dies hier habe ich damals im Kindergarten heiß und innig geliebt“, strahlt sie. „Toller Laden, unglaublich. Ich stöbere gerne hier. Ein Einkauf reißt keine Riesenlöcher in die Haushaltskasse.“
Auch Dorothee Rheden und Tochter Edith sind im Hofkaufhaus fündig geworden. Die Dreijährige hat sich ein Steckenpferd und ein Puppen-Etagenbett ausgesucht. Das, was Dorothee Rheden eigentlich sucht, gibt es nicht zu kaufen: Arbeit. „Hier wäre ich gern“, sagt sie. Einmal hat sie schon nachgefragt.
Dienstags und donnerstags gibt es nachmittags Beratung, Hof-Hilfe genannt. Hier, wo es keine Rolle spielt, wie ein Mensch aussieht oder sich bewegt, was er in seinem früheren Leben gemacht hat oder wobei er im ersten Anlauf gescheitert ist – hier ist vieles möglich. Flexible Teilzeit für Alleinerziehende, männliche Kuchenfeen, vor allem aber: jeden Morgen gerne zur Arbeit gehen.
Kontaktmöglichkeit: Goslarsche Höfe Integrationsbetrieb gGmbH, Okerstraße 32, 38640 Goslar. E-Mail: info@goslarsche-hoefe.de,