Schöne Worte sind zu wenig
Das Sondierungspapier ist die Basis für die Koalitionsverhandlungen. Auch wenn viele Forderungen der freien Wohlfahrtspflege auftauchen, ist es doch beruhigend, dass alle Politikfelder jetzt nochmals unter die Lupe genommen werden sollen. In den Koalitionsverhandlungen erst wird präzisiert oder ausbuchstabiert, wie die Kanzlerin es nennt. So muss es nicht weiter beunruhigen, wenn vieles im Sondierungspapier noch wolkig formuliert und offen für gegensätzliche Interpretationen ist, wie es uns am Begriff der Obergrenze anschaulich vorgeführt wird. Vieles kommt unverbindlich und allgemein daher, von Kritikern zu Recht als sozialstaatliche Lyrik bezeichnet. In zentralen Bereichen wie Klima, Pflege und Migration/Asyl ist das Papier schwach bis rückschrittlich. Die Belange von Jugendlichen mit komplexem Förderbedarf sind unterbelichtet; Menschen mit Behinderung kommen nur im Zusammenhang mit der Gesundheitspolitik vor. Der dringend erforderliche Ausbau einer inklusiven Kinder- und Jugendhilfe, des inklusiven Bildungssystems und des inklusiven Arbeitsmarkts finden keine Erwähnung.
Deutschland als Chancenland und Innovationsland – so lautet die Vision der Sondierer. Es ist zu wünschen, dass die vielen im Papier angekündigten Kommissionen, runden Tische, konzertierten Aktionen, Aktionsprogramme, Pakte und Maßnahmenpakete diese erfolgreich umsetzen können. Es sollte gelingen, den erfreulichen Schwung für einen „neuen Aufbruch für Europa” auch auf die Politikvorhaben auf nationaler Ebene zu übertragen.
Vieles kommt unverbindlich und allgemein daher
Der freien Wohlfahrtspflege muss es Sorgen bereiten, dass sie selbst keinen Eingang ins Sondierungspapier gefunden hat. Mit ihren Diensten und Einrichtungen als Teil der sozialen Infrastruktur und als Garantin für den gesellschaftlichen Zusammenhalt scheint sie bei den Sondierern nicht präsent zu sein. Auch wenn diese die gemeinnützige Dienstleistungserbringung und das Ehrenamt stärken wollen. So ist auch die – in anderen Handlungsfeldern häufig erwähnte – Digitalisierung im Zusammenhang der sozialen Dienstleistungserbringung kein Thema. Bei der Gestaltung von gleichwertigen Lebensverhältnissen in Deutschland spielt sie (noch) keine Rolle, wenn es nach den Sondierern geht. Bei vielen Themen gilt es also für die Verbände der freien Wohlfahrtspflege, den Erkenntnisstand der Politiker zu verbessern.