EU will höhere Mindeststandards für Eltern-, Vaterschafts- und Pflegeurlaub
Brüssel gefährdet die deutschen Sozialstandards" liest man oft, ausgehend von der Annahme, dass die deutschen Standards im sozialen Bereich zu den besten in der EU gehören. Dass dem nicht unbedingt so ist, beweist die EU-Kommission mit ihrem Richtlinienvorschlag zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Eltern und pflegende Angehörige.1 Ende April 2017 hat die EU-Kommission gleichzeitig mit ihrem Vorschlag für die europäische Säule sozialer Rechte das sogenannte EU-Vereinbarkeitspaket vorgelegt. Vorausgegangen waren die Auswertung verschiedener Studien sowie ein öffentlicher Konsultationsprozess, an dem sich auch die Mitgliedsverbände der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) beteiligt hatten.
Das EU-Vereinbarkeitspaket ist ein konkreter erster Beitrag zur Umsetzung der europäischen Säule sozialer Rechte, insbesondere zur Verwirklichung der Chancengleichheit von Männern und Frauen auf dem Arbeitsmarkt und zur Gleichbehandlung am Arbeitsplatz. Dass sich die EU-Kommission hierbei auf den Arbeitsmarkt beschränkt, ist den EU-Verträgen und den derzeitigen Kompetenzen der EU geschuldet. Für die Caritas mit ihren umfassenden familienpolitischen Forderungen2 geht es selbstverständlich um mehr als nur darum, Eltern schnell wieder in den Arbeitsmarkt zu bringen.
Neue Mindestvorschriften
Die Vorschläge der EU-Kommission sind für die EU insgesamt, aber auch für Deutschland zum Teil weitreichend. Der Deutsche Caritasverband hat sich zusammen mit den anderen Verbänden der BAGFW Anfang September ausführlich in einer Stellungnahme zum Vorschlag geäußert. Die EU-Kommission schlägt neue EU-Mindestvorschriften zu folgenden vier Bereichen vor:
- Vaterschaftsurlaub: das Recht auf einen vergüteten, zehntägigen Vaterschaftsurlaub für alle erwerbstätigen Väter;
- Elternurlaub: ein Elternurlaub von jeweils vier Monaten pro Elternteil, die aber nicht mehr anteilig übertragbar sind;
- Pflegeurlaub: ein Anspruch für Arbeitnehmer(innen) auf fünf Tage vergüteten Pflegeurlaub im Jahr, um sich um schwer kranke oder abhängige Angehörige zu kümmern, sowie
- flexible Arbeitsregelungen.
Die Tatsache, dass die EU-Richtlinie lediglich neue EU-Mindestvorschriften festlegen würde, ist dabei zentral. Die Mitgliedstaaten und die Sozialpartner haben weiterhin die Möglichkeit, einschlägige besondere nationale Modalitäten festzulegen. Mitgliedstaaten wie Deutschland, in denen bereits teilweise Vorschriften bestehen, die günstiger als die in dieser Richtlinie festgehaltenen sind, brauchen ihre Rechtsvorschriften nicht zu ändern. Gleichzeitig können Mitgliedstaaten auch zukünftig beschließen, über die Mindestvorschriften der Richtlinie hinauszugehen.
Zwei Fragen sind zentral: Was bedeutet es für deutsche Familien, wenn die Richtlinie gemäß dem vorliegenden Entwurf verabschiedet würde? Und sind diese Vorschläge für Eltern und pflegende Angehörige in der EU auch praktikabel?
Vaterschaftsurlaub
In Deutschland existiert derzeit, von marginalen Ausnahmen für Beamte abgesehen, kein gesetzlicher Anspruch auf einen Vaterschaftsurlaub, auch wenn der Begriff "Urlaub" in diesem Kontext zu vermeiden ist. In Schweden und Belgien dagegen gibt es bereits zehn und in Finnland sogar 18 bezahlte freie Tage für Väter rund um die Geburt. Daher wäre die Schaffung eines Anspruchs für Väter eine positive Neuerung in Deutschland. Damit sollen die Mutter nach der Geburt entlastet und die Bindung des Vaters zum Kind in einem frühen Stadium ermöglicht werden. Gleichgeschlechtliche Elternpaare wären möglichst auch zu berücksichtigen.
Elternurlaub
Nach geltendem EU-Recht beträgt die Elternzeit mindestens vier Monate pro Elternteil, von denen ein Monat nicht vom einen auf den anderen Elternteil übertragbar ist. Dies hat in der Vergangenheit jedoch dazu geführt, dass Väter in der EU ihre Ansprüche vorwiegend den Müttern übertragen haben. Zur gerechteren Aufteilung von beruflichen und familiären Pflichten zwischen Männern und Frauen sollen die vier Monate pro Elternteil zukünftig nicht mehr übertragbar sein. Für Deutschland wäre statt der bislang zwölf plus zwei Partnermonate Elternzeit dann ein Modell zehn plus vier Partnermonate denkbar. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die überwiegende Mehrheit deutscher Väter in Elternzeit seit Einführung des deutschen Gesetzes in 2007 nur die zwei Bonusmonate beansprucht und einige Väter mangelndes Verständnis vonseiten der Arbeitgeber beklagen, könnte eine von supranationaler Ebene angeordnete Reform sinnvoll lenkend wirken.
Weiterhin stellt die EU-Kommission fest, dass sich viele Familien eine Elternzeit nicht leisten können. Sie sieht daher erstmals EU-Mindestvorschriften zur Vergütung vor. Damit würden prinzipiell allen Eltern in den EU-Mitgliedstaaten finanziell neue Spielräume ermöglicht. Neben Deutschland haben bisher vor allem die skandinavischen Staaten eine bezahlte Elternzeit. Schließlich sollen Eltern die Elternzeit flexibler gestalten können (Vollzeit, Teilzeit, mit Unterbrechungen). Hierzulande würde sich betreffend der Verteilung und Unterbrechung kaum etwas ändern, da das Elterngeld Plus schon eine gewisse Flexibilität bei der Ausübung von Teilzeitarbeit in der Elternzeit beinhaltet. Neu wäre allerdings, dass der Anspruch auf "Elternurlaub" zukünftig mindestens bis zum zwölften Lebensjahr des Kindes (bislang bis zum achten Lebensjahr) gewährt werden soll.
Fraglich ist aus Sicht der Verbände der BAGFW, inwieweit auch Eltern mit niedrigen oder mittleren Einkommen in EU-Staaten mit klassisch niedrigeren Sozialleistungen von den Vorschlägen profitieren. Grund ist, dass die Höhe, Bezugsdauer und Staffelung des Krankengeldes je nach Mitgliedstaat abweicht: Wer als Putzfrau oder einfacher Arbeiter nur einen geringen Anteil seines ohnehin geringen Verdienstes erhielte, käme dennoch kaum über die Runden. Daher sollten Bezieher solcher Einkommen proportional höhere Lohnersatzleistungen bekommen. Andererseits ist eine niedrige Leistung immer noch deutlich besser als die bisherigen EU-Mindestvorschriften, die gar keinen Lohnersatz vorsehen.
Schließlich lehnen die Verbände der BAGFW die starre Nichtübertragbarkeit der jeweils vier Monate vergüteter Elternzeit ab: Aus Sicht der Verbände der BAGFW müssen das Wunsch- und Wahlrecht der Familien und eine gewisse Flexibilität bei der Reaktion auf konkrete berufliche Herausforderungen gewährleistet sein. Mütter und Väter haben nach einer Geburt eine unterschiedliche Ausgangsbasis. Darüber hinaus ist nicht überall eine ausreichende Infrastruktur (Kinderbetreuung) gegeben, damit Eltern schnell in den Beruf zurückkehren.
Pflegeurlaub
Das neue Recht auf fünf Tage Freistellung für pflegende Angehörige bewerten die Verbände der BAGFW positiv, da pflegende Angehörige in den EU-Regelungen zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben bislang nicht erfasst waren. Fünf Tage pro Jahr und Arbeitnehmer(in) sind jedoch selbst als EU-Mindeststandard aus Sicht der Verbände zu wenig. Ideal wäre ein vergüteter Pflegeurlaub von mindestens zehn Tagen wie in Deutschland. Für Deutschland hätte der EU-Vorschlag zur Pflegezeit keine Auswirkungen, da mit dem 2015 eingeführten Pflegezeitgesetz bereits höhere Ansprüche bestehen.
Flexible Arbeitsregelungen
Ein Recht auf Antragstellung zu flexiblen Arbeitsregelungen würde für Deutschland insbesondere die Einführung eines Rechts auf Rückkehr zur Vollzeit beziehungsweise zum früheren Arbeitsvolumen (das heißt Recht auf befristete Teilzeit) bedeuten. Dies wäre aus Sicht der deutschen Wohlfahrtsverbände begrüßenswert.
Der Deutsche Caritasverband und insbesondere dessen EU-Vertretung begleiten das EU-Gesetzgebungsverfahren zwischen dem Europäischen Parlament und den Mitgliedstaaten im Rat konstruktiv.
Spätestens im Frühjahr 2019 soll die Richtlinie verabschiedet sein, da ab Mai 2019 die Europawahlen anstehen.
Anmerkungen
1. COM(2017) 253 final vom 26. April 2017.
2. www.caritas.de/magazin/kampagne/familie/familiefoerdern
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