Onlinezugang: Gestärkter Sozialstaat
Mehr Schlagkraft des Sozialstaats
Als Tiger gestartet, als Bettvorleger geendet? Fast sechshundert Verwaltungsleistungen sollen zum 1. Januar 2023 digital verfügbar sein. Viele davon betreffen uns in der Caritas direkt, fast alle indirekt. Und doch herrscht in vielen Abteilungskonferenzen betretenes Schweigen, wenn man den sperrigen Begriff Onlinezugangsgesetz in den Raum und die Folgen zur Diskussion stellt. Ein Tiger ist dort keinesfalls gestartet. Mit Widerwillen begann der größte Anlauf zur Digitalisierung von Verwaltungsleistungen im Bund, den 16 Bundesländern und den 11.000 Kommunen im August 2017. Getrieben von der Überzeugung, dass die Bürger(innen) doch weiter ins Rathaus gingen. Als sich dann im ersten Lockdown die analogen Pforten der öffentlichen Verwaltungen schlossen, kam Panik auf. Der Tiger wurde geweckt und mit zusätzlichen drei Milliarden Euro Bundesmitteln aus der Corona-Konjunkturhilfe gefüttert. Anstatt weiter auf kräftezehrende zentrale Lösungen zu setzen, bei denen viele Köche den Brei verderben, werden nun nach dem Motto "Einer für Alle" (EfA) digitale Leistungen vom Modell zur Nachnutzung entwickelt und die Ansprüche der Nutzer(innen) in den Vordergrund gestellt. Anträge und Formulare sollen einfach, klar und verständlich sein. Eine Reihe von Leistungen wird diesem Anspruch (zumindest zu Beginn) nicht gerecht werden. Was im Emsland klappt, läuft noch lange nicht in Freiburg.
Es werden aber auch viele Leistungen entwickelt, die wirkliche Verbesserungen mitbringen. Der Vorstand des Deutschen Caritasverbandes hat ein Themennetzwerk zum Onlinezugangsgesetz über alle Ebenen des Verbandes initiiert. Die verbandseigene Schwarmintelligenz wurde aktiviert. Viele aus unseren Reihen wirken mit in Digitalisierungslaboren und Projekten, damit die Nutzer(innen)reise zu Informationen oder zum Formular möglichst logisch, verständlich und hilfreich verläuft. Der Mensch soll im Mittelpunkt stehen, nicht nur der Verwaltungsakt. Dazu müssen die Schnittstellen zur Wohlfahrt technisch wie konzeptionell funktionieren. Wenn proaktive Systeme den Bürger(inne)n mitteilen, worauf sie Anspruch haben und sie diesen nicht erst im Spießrutenlauf über verschiedene Verwaltungen geltend machen müssen, wird das die Effizienz unseres Sozialstaates wesentlich erhöhen. Wie viel soziale Beratung ist dann für wen noch nötig? Wie Einzelhandel und Finanzdienstleistungen wird nun die öffentliche Verwaltung digitalisiert. Sobald Elterngeld, Kinderzuschlag oder Wohngeld digital intuitiver als analog beantragt werden können, werden viele Leistungen im Rathaus vor Ort nicht mehr nachgefragt. Was passiert mit den Bürger(inne)n, für die dies zu schnell ist? Sind unsere Beratungsstellen dann noch da, um sie aufzufangen?