Integration ist keine Einbahnstraße
In den letzten Wochen und Monaten haben wir eine nie dagewesene Dynamik im Bereich Flucht und Asyl erlebt. Das Asylrecht wurde mehrfach verschärft, und trotzdem sind wir jeden Tag mit neuen Vorschlägen konfrontiert. Bedenken vonseiten der Zivilgesellschaft finden kaum noch Gehör. Auch wenn man anerkennt, unter welchem öffentlichen und medialen Druck Politiker(innen) derzeit agieren, darf Handlungsfähigkeit nicht durch Aktionismus oder ein Eingehen auf die Stammtische der Nation unter Beweis gestellt werden. Gefragt ist auch in dieser Ausnahmesituation ein weitsichtiges und sachorientiertes Handeln, das nicht auf tagesaktuelle Umfragewerte abzielt. Wichtig ist dies gerade mit Blick auf das Thema Integration, dem sich die Bundesregierung nun mit dem Integrationsgesetz zuwenden wird.
Nicht nur die Einwandernden müssen sich verändern
"Integrationspflicht" und eine Wohnsitzauflage für Flüchtlinge sind Vorhaben, die (sofern eine rechtskonforme Ausgestaltung gelingt!) in erster Linie auf Zwang und einseitige Verpflichtung abzielen. Allerdings lehrt uns die Vergangenheit, dass Integration dann am besten funktioniert, wenn wir sie als beiderseitigen Prozess begreifen. Nicht nur jene, die aktuell gegen die Aufnahme von Schutzbedürftigen polemisieren, mögen dies als Provokation auffassen. Ihre Maxime lautet: "Alles bleibt, wie es ist, und Menschen, die hierherkommen, müssen sich an unsere Regeln und Gepflogenheiten anpassen!" Selbstverständlich wird Menschen, die hier ankommen, einiges abverlangt. Viele werden sich umstellen müssen. Manche werden damit Schwierigkeiten haben. Schutzsuchende sind keine besseren oder schlechteren Menschen als diejenigen, die bereits hier leben. Aber die Erfahrungen der vergangenen gut 60 Jahre zeigen, dass es zu kurz greift, Integration als Anpassung der Einwandernden zu verstehen.
Integration ist für die Caritas kein Neuland!
Unbequem, aber auch notwendig ist der Blick auf bestehende Strukturen: Wie bauen wir etwa unser Bildungssystem so um, dass wir Teilhabechancen für alle eröffnen? Sind wir bei der interkulturellen Öffnung unserer Dienste und Einrichtungen in den letzten Jahren entscheidend weitergekommen? Wie gehen wir mit Menschen um, die Ängste vor Veränderung haben und ein Zusammenleben in einer vielfältigen Gesellschaft ablehnen? Brauchen wir Integrationskurse für diese Menschen, welche die eigentlichen Integrationsverweigerer sind?
Nicht auf alle Fragen haben wir Antworten – aber vieles haben wir bereits in der Vergangenheit diskutiert, erörtert und konzipiert: Integration ist für die Caritas kein Neuland! Die aktuelle Konstellation wird daher aus unserer Sicht zu Unrecht als Krise bezeichnet. Für uns als Gesellschaft, für die Kirche und die Caritas ist die momentane Situation vielmehr eine große Chance. Wenn wir uns alle ein nachhaltiges Interesse an den genannten Themen erhalten und die damit einhergehenden Probleme und Konflikte positiv angehen, können wir Integration in Deutschland gemeinsam erfolgreich gestalten.
Der Autor
Roberto Alborino leitete bis Mai 2016 das Referat Migration und Integration in der Bundeszentrale des Deutschen Caritasverbandes in Freiburg.