Mit kaltem Wasser Hände waschen ist keine Lösung
„Waschen Sie sich die Hände doch einfach mit kaltem Wasser, das mache ich auch.” Mit dieser Bemerkung endet das Gespräch von Tanja Schmidt1 mit dem Mitarbeiter des Energieunternehmens, dem sie 230 Euro schuldet. Eigentlich wollte sie ihre Situation erklären, nach Lösungsmöglichkeiten fragen, sich um eine Ratenvereinbarung bemühen. Genau das hat das Jobcenter von ihr verlangt. Tanja Schmidt wohnt mit ihrer zweijährigen Tochter in einer Zweizimmerwohnung und lebt von SGB-II-Leistungen. Wie die Stromschulden auflaufen konnten, kann sich Tanja Schmidt durchaus erklären: Das Haus, in dem die Wohnung liegt, ist in einem maroden Zustand. Geheizt wird mit Gasöfen. In der Küche gibt es gar keine Heizung, aber dort essen Mutter und Tochter. Deswegen hat die Mutter einen Heizlüfter aufgestellt. Wasser wird in einem Boiler erhitzt. Zu diesen ungünstigen Bedingungen kommt die Tatsache, dass ein Kleinkind im Haushalt lebt. Das bedeutet, dass die Zimmertemperatur nicht zu niedrig sein darf, dass die Waschmaschine oft läuft und dass das Badewasser ein bisschen wärmer ist als bei einem Erwachsenen. Die monatlichen Abschlagszahlungen an den Stromversorger von 65 Euro reichen dafür offensichtlich nicht.
Die Schwierigkeiten von Tanja Schmidt haben viele Menschen, die Leistungen nach dem SGB II oder SGB XII beziehen. Das erleben die Stromsparhelfer(innen) des Caritas-Projektes Stromspar-Check Plus (SSC) täglich, wenn sie diese Haushalte in Energiefragen beraten. In der wissenschaftlichen Diskussion werden steigende Stromkosten für Menschen mit geringem Einkommen zwar erörtert, die tatsächlichen Kosten dieser Haushalte wurden bisher jedoch kaum untersucht.
Tatsächliche Stromkosten bislang kaum untersucht
Deswegen hat der Deutsche Caritasverband (DCV) gemeinsam mit dem Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim (ZEW) und dem SSC eine Studie zum Stromkonsum von Grundsicherungsempfänger(inne)n gemacht.2 Grundlage sind Daten von über 22.000 Haushalten, die vom SSC über ihren Energieverbrauch beraten wurden. Die tatsächlichen Stromkosten der Haushalte wurden mit den Beträgen verglichen, die in den Regelbedarfen der Grundsicherung für Strom vorgesehen sind. Weil die Stromsparhelfer(innen) auch die Haushaltszusammensetzung und das Alter der Haushaltsmitglieder dokumentieren, können die Stromkosten den einzelnen Haushaltstypen (Alleinstehenden, Familien, Paaren, Alleinerziehenden) zugeordnet werden. So ist es möglich, die Stromkosten der einzelnen Haushalte den Stromanteilen im Regelbedarf gegenüberzustellen.
Mit Hilfe einer Regressionsanalyse, einer statistischen Methode, Einflussfaktoren zu identifizieren, konnte das ZEW auch herausfiltern, welcher Anteil der Stromkosten auf welches Haushaltsmitglied entfällt - zum Beispiel auf eine (weitere) Person im Haushalt zwischen 18 und 64 Jahren oder zwischen sechs und 13 Jahren. So ist es möglich, die Stromkosten sogar den einzelnen Regelbedarfsstufen gegenüberzustellen.3 Die Ergebnisse der Analyse sehen Sie in Tabelle 1.
In den Regelbedarfsstufen 1, 2 und 6, also den Regelbedarfen für Alleinstehende, Paare und Kinder zwischen null und fünf Jahren ist zu wenig Geld für Strom vorgesehen. In den Regelbedarfsstufen 4 und 5, also den Regelbedarfen für Kinder zwischen sechs und 13 sowie zwischen 14 und 17 Jahren übersteigt der Stromanteil die Stromkosten (leicht). Betrachtet man den Gesamthaushalt, ist der Stromanteil im Regelbedarf zu niedrig.
Ein zweites wichtiges Ergebnis der Studie ist, dass die Mehrbedarfe für eine dezentrale Warmwasserbereitung deutlich zu niedrig ausfallen. Sie werden als prozentuale Aufschläge auf den Regelbedarf gewährt, wenn das Warmwasser zum Beispiel über einen elektrischen Boiler in der Wohnung bereitet wird. Diese Aufschläge decken den Mehrverbrauch laut den Erhebungen des SSC bei weitem nicht (s. Tab. 2).
Zwar werden höhere Beträge gezahlt, wenn ein höherer Verbrauch nachgewiesen wird. Um diesen Nachweis zu erbringen, braucht man aber einen separaten Stromzähler, der häufig nicht installiert ist.
Die Stromschulden von Tanja Schmidt lassen sich folglich unter anderem auch damit erklären, dass der Stromanteil im Regelbedarf und der Mehrbedarf für die dezentrale Warmwasserbereitung zu knapp bemessen sind. Die Ergebnisse des empirischen Vergleichs und die Erfahrungen aus den Beratungen des SSC hat der DCV in einer Position4 aufgegriffen und deutlich gemacht, welche Maßnahmen zur Bekämpfung von Energiearmut notwendig sind:
- Die Anteile für Strom im Regelbedarf reichen nicht aus, um die Stromkosten von Haushalten im Grundsicherungsbezug zu decken. Der Stromanteil im Regelbedarf muss deswegen nach Ansicht der Caritas auf Basis der tatsächlichen durchschnittlichen Stromkosten der Grundsicherungsempfänger berechnet werden. Dies gilt auch für den Stromanteil in den Regelbedarfen für Kinder und Jugendliche.
- Der Mehrbedarf für die dezentrale Aufbereitung von Warmwasser mit Strom ist als prozentualer Zuschlag zum Regelbedarf ausgestaltet. Um zumindest im Durchschnitt bedarfsdeckend zu sein, müssen die Prozentwerte erhöht werden.
- Für Haushalte mit geringem Einkommen müssen kostenfreie Angebote für eine umfassende Energieberatung zur Verfügung stehen.
- Stromsperren machen ein geregeltes Alltagsleben so gut wie unmöglich. Sie müssen deswegen vermieden werden. Bei Stromschulden ist mit Einverständnis der Grundsicherungsempfänger ein Verfahren zu vereinbaren, um die Energieversorgung sicherzustellen. Prepaid-Zähler können außerdem helfen, eine Stromsperre zu vermeiden. Beratung sollte angeboten und die Abschlagszahlungen regelmäßig mit den tatsächlichen Kosten verglichen werden.
Werden diese Maßnahmen umgesetzt, ist zwar immer noch nicht sicher, dass die Probleme von Tanja Schmidt, die auch unter baulich ungünstigen Bedingungen lebt, behoben werden. Ein Schritt in die richtige Richtung wäre aber gemacht.
Anmerkungen
1. Name von der Redaktion geändert.
2. Die Studie "Zum Stromkonsum von Haushalten in Grundsicherung: Eine empirische Analyse für Deutschland" ist als Diskussionspapier abrufbar unter www.zew.de, Stichwort "Stromkonsum".
3. Die Regelbedarfsstufe 3 konnte den Daten des SSC nicht zugeordnet werden, da man die erwachsenen Haushaltsmitglieder zwischen 18 und 64 Jahren nicht in weitere Gruppen unterteilen konnte.
4. Die Position des Deutschen Caritasverbandes zur Bekämpfung von Energiearmut steht zum Download unter: www.caritas.de/fuerprofis/presse/stellungnahmen/11-25-2015-so-bekaempfen-wir-die-energiearmut
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