Gerade erwachsen – aber ohne Zuhause
Der Anteil junger Menschen unter den Wohnungslosen hat in den letzten Jahren zugenommen. Das hat zur Initiierung verschiedener Praxis- und Forschungsprojekte geführt.1 Im Folgenden stehen zentrale Ergebnisse der Studie "Junge Wohnungslose U25 - zur Situation junger wohnungsloser Erwachsener in Düsseldorf" im Fokus. Die Studie hat die Lebenslagen und Erfahrungen dieser Gruppe - mit besonderem Blick auf ihre Kontakte zu den Hilfesystemen - vor und während der Wohnungslosigkeit untersucht.2 Grundlage für die Studie war eine Beauftragung durch die Düsseldorfer Arbeitsgemeinschaft § 67 ff. Wohnungslosenhilfe. Diese hatte registriert, dass immer mehr junge Menschen unter 25 Jahren die Angebote der Wohnungslosenhilfe in Anspruch nahmen. So lag in Düsseldorf im Jahr 2012 der Anteil dieser Personengruppe in den Notschlafstellen bei 14?Prozent, in der ambulanten Fachberatung sowie Streetwork bei 24?Prozent und in den Angeboten des betreuten Wohnens und der stationären Hilfen gemäß § 67 SGB XII sogar bei 27?Prozent.3
Multiperspektivischer Forschungszugang
Um der Themenstellung der Studie gerecht werden zu können, galt es, den Forschungsgegenstand mehrperspektivisch zu betrachten: Mittels eines teilstandardisierten Fragebogens - der auch zahlreiche offene Fragen enthielt - haben wir 91 junge wohnungslose Erwachsene im Alter zwischen 18 und 25 Jahren im persönlichen Gespräch befragt. Als ergänzende Zugänge wurden elf Expert(inn)en-Interviews mit Fach- und Führungskräften der Jugend- und Wohnungslosenhilfe sowie ein Gruppeninterview mit den vier Interviewer(inne)n einbezogen.
Die Zusammensetzung der Gruppe der Befragten stimmte hinsichtlich Geschlecht (21 Prozent weiblich, 79 Prozent männlich) und Herkunft (34 Prozent der Befragten hatten einen eigenen und/oder familiären Migrationshintergrund) weitestgehend mit den Sozialberichterstattungen für Düsseldorf (2010) und Nordrhein-Westfalen (2013) überein. Auffallend war jedoch, dass die Angaben zu den Bildungsabschlüssen nicht auf eine Dominanz sogenannter Bildungsferne hindeuteten: Denn nur 23 Prozent der Befragten hatten die Schule ohne einen Abschluss verlassen. Mehr als die Hälfte hingegen besaß den Hauptschulabschluss (53 Prozent), 18 Prozent verfügten über den Realschulabschluss und immerhin sechs Prozent über die (Fach-)Hochschulreife.
Zudem betonten die Interviewer(innen), dass die befragten jungen Erwachsenen stets "normale Perspektiven" für ihre Zukunft beschrieben wie beispielsweise Ausbildung, Arbeit, Familie/Partnerschaft und Wohnung. In ihren Beschreibungen und Vorstellungen grenzten sie sich von anderen (insbesondere "älteren, drogengebrauchenden und/oder gewaltbereiten") wohnungslosen Menschen ab: Sie möchten nicht "so werden" wie diese.
Mit der Befragung wurden zum einen junge Menschen erreicht, die schon seit einem längeren Zeitraum (knapp 30 Prozent drei Jahre und länger) wohnungslos sind. Zum anderen wurden Personen befragt, die erst vor kurzem wohnungslos geworden waren (47 Prozent bis zu einem Jahr). Mehr als 80 Prozent waren dabei zwischen 18 und 21 Jahre alt, als sie wohnungslos wurden, 13 Prozent waren jünger als 18 Jahre.
Vier von fünf der mit der Befragung erreichten jungen Erwachsenen (79?Prozent) lebten bereits seit drei Jahren oder länger in Düsseldorf. Auf die Frage nach den Gründen, die zur Wohnungslosigkeit geführt hatten, gab eine deutliche Mehrheit (70 Prozent) der Befragten an, dass familiäre Probleme und/oder Probleme mit den Eltern für die Entstehung der Wohnungslosigkeit ausschlaggebend gewesen waren. Weitere häufigere Nennungen bezogen sich etwa auf "eigene Alkohol-/Drogenprobleme" (19Prozent), "eigene Geldprobleme" (14 Prozent) und "Probleme mit Vermietern/Nachbarn" (zehn Prozent).
Mängel im Vorfeld der Wohnungslosigkeit
Auf die offene, retrospektive Fragestellung, welche Unterstützung die Wohnungslosigkeit hätte verhindern können, äußerten die jungen Erwachsenen vielfach den Wunsch nach einer "kontinuierlichen Unterstützung und Bezugsperson" und wiesen zugleich auf "fehlende Zugänge zu geeigneten Ansprechpartner(inne)n" hin (entsprechende Angebote waren zum Beispiel nicht bekannt oder wurden "aus Scham" nicht in Anspruch genommen).
Gleichzeitig gaben aber viele der Befragten an, im Vorfeld der Wohnungslosigkeit Kontakte zu Hilfesystemen gehabt zu haben (zum Beispiel 75 Prozent zur Jugendhilfe, 68 Prozent zum Jobcenter - Mehrfachnennungen waren hier möglich). Beachtenswerte Aspekte in Bezug auf die Hilfesysteme "im Vorfeld der Wohnungslosigkeit" junger Menschen thematisierten auch die interviewten Expert(inn)en: Sie wiesen auf "fehlende Schnittstellen" hin und auf das damit einhergehende "Hin- und Herschieben" der jungen Erwachsenen, insbesondere zwischen den Leistungssystemen der Sozialgesetzbücher VIII und XII. Denn - so machen die Schilderungen der Expert(inn)en wie auch die der jungen wohnungslosen Befragten deutlich: Einerseits werden Anträge auf Hilfen nach dem SGB VIII von den Jugendämtern häufig abgelehnt oder bereits bestehende Hilfen mit der Begründung beendet, dass von den jungen Erwachsenen keinerlei Mitwirkungsbereitschaft gegeben sei. Andererseits werden auch Leistungen nach dem SGB?II häufig nicht bewilligt, primär mit der Begründung, die jungen Erwachsenen könnten doch wieder "nach Hause" ziehen, denn besondere Gründe für eine eigenständige Haushaltsführung seien nicht erkennbar.4
Für die Ermittlung, ob tatsächlich Gründe für eine eigene Haushaltsführung vorliegen, kann das Jobcenter Auskünfte von anderen Sozialleistungsträgern einholen, die ihrem gesetzlichen Auftrag nach sachnäher sind: In der Praxis ist dies häufig wegen der sozialpädagogisch geprägten Beurteilung das Jugendamt (vgl. §?22 Abs.?5 Satz?1 bis 3 SGB II).5 Die jungen Erwachsenen tragen dabei die Darlegungs- und Beweispflicht. Das heißt, sie müssen schwerwiegende soziale Gründe nachweisen, die sie daran hindern, in die Wohnung der Eltern oder eines Elternteils zurückzuziehen. Bezieht man hier die Aussage der jungen Erwachsenen zu den Ursachen der Wohnungslosigkeit mit ein - explizit: familiäre Probleme - wird deutlich, dass ein "Rückzug" für die befragten jungen Erwachsenen keine Alternative darstellt.
Erfahrungen mit Hilfen
Auf die Frage, welche Hilfestellungen und Leistungen die befragten jungen Erwachsenen im Kontext der Wohnungslosenhilfe erfahren haben, bezogen sich die häufigsten Nennungen auf
- Hilfestellungen und Unterstützung bei der Beantragung von Leistungen (Leistungen nach dem SGB II, Kindergeld, Sozialticket etc.),
- Bereitstellung einer Unterkunft (Zimmer, Wohnung oder Schlafplatz) sowie
- Unterstützung bei der Selbstständigkeit, der Zielfindung und der Verantwortungsübernahme für die eigene berufliche und persönliche Entwicklung.
Auf die Nachfrage, ob den Befragten eine bestimmte Unterstützung im Kontext der Wohnungslosenhilfe fehlen würde, antworteten 73 Prozent mit "Nein". Jene, die angaben, dass ihnen eine bestimmte Hilfestellung fehle, konkretisieren diese als
- Unterstützung auf der Beziehungsebene (beispielsweise gezielte, kontinuierliche Betreuung),
- integrative Hilfestellungen (Unterstützung bei der Wohnungssuche, bei der Einmündung in Ausbildung/Arbeit und bei der Schuldenregulierung) sowie
- Wohnungsangebote.
Mögliche Herausforderungen und Schlussfolgerungen
Die Ergebnisse der Studie weisen offenbar nicht nur auf konzeptionelle Herausforderungen, sondern auch auf strukturelle Veränderungsbedarfe hin: Erstens ist zu überlegen, wie von den vorrangigen Hilfesystemen, insbesondere der Jugendhilfe, im Vorfeld anders agiert werden kann, um das Zustandekommen von Wohnungslosigkeit bei jungen Erwachsenen in der Übergangsphase kurz vor und nach dem Erreichen der Volljährigkeit zu verhindern. Hierzu sind auch die Perspektiven der "Übergangsforschung" von Interesse, die etwa biografische ebenso wie institutionelle Übergänge oder Schnittstellen im Leben junger Menschen beleuchten.6 Zweitens bedarf es eines übergreifenden Diskurses zwischen den Rechtskreisen und den Leistungssystemen der Sozialgesetzbücher II, VIII und XII: Denn nur ein solcher kann dazu beitragen, dass den Situationen der jungen Erwachsenen mit individuell bestmöglichen Unterstützungsmöglichkeiten begegnet werden kann. So muss die Frage beantwortet werden, "wie" - und nicht "ob" - sich systemübergreifend Hilfeansätze entwickeln lassen. Die gegenwärtige Situation, gekennzeichnet als "praktizierte Verschiebung"7 und "Versäulung der Hilfesysteme", steht den Nachfragen der jungen Erwachsenen nach kontinuierlicher Hilfe und Begleitung auf Augenhöhe, um nachhaltige Lebensperspektiven zu entwickeln, entgegen. Insbesondere ist dabei die Frage von Relevanz, wie die ermittelten Ressourcen (wie Bildungsabschluss, normalisierende Perspektiven etc.) stärker berücksichtigt werden können. Abschließend kann drittens formuliert werden, dass es zudem auch Möglichkeiten - in Form von (finanzierbaren) Wohnungen! - braucht: Denn der gegenwärtige Konkurrenzdruck auf dem primär nach kapitalistischen Prinzipien ausgerichtetem Wohnungsmarkt macht die Wohnungssuche für die hier in den Blick genommene Zielgruppe (nahezu) chancenlos.
Literatur
Meuser, M.; Nagel, U.: ExpertInneninterviews - vielfach erprobt, wenig bedacht. Ein Beitrag zur qualitativen Methodendiskussion. In: Bogner, A.; Littig, B.; Menz, W. (Hrsg.):
Das Experteninterview. Theorie, Methode, Anwendung. Wiesbaden, 2002, S. 5-93.
Anmerkungen
1. Beispielsweise das vom Land NRW geförderte Modellprojekt "WohnPerspektiven".
2. Knopp, R.; Bleck, C.; van Rießen, A.: Abschlussbericht. Junge Wohnungslose - U25, 2014. Verfügbar unter: www.socialnet.de/materialien/208.php
3.?Vgl. Hinz, P.: Junge erwachsene Wohnungslose: Kann und will Jugendhilfe bedarfsgerechte Angebote machen? Ergebnisse einer Befragung junger Wohnungsloser in Düsseldorf. In: Jordan, R. (Hrsg.): Wohnungslosenhilfe mischt sich ein. Strategien gegen zunehmende Armut und sozialen Ausschluss. Berlin, 2015, S.?231-233, S. 231).
4. Vgl. auch Fröhlich, N.: Rechtsansprüche junger Erwachsener in Wohnungsnot und sozialen Schwierigkeiten verwirklichen und fortentwickeln. In: Jordan, R. (Hrsg.): Wohnungslosenhilfe mischt sich ein. Strategien gegen zunehmende Armut und sozialen Ausschluss. Berlin, 2015, S. 215-223.
5. Vgl. insbesondere Schruth, P. im Auftrag des Berliner Rechtshilfefonds Jugendhilfe e.V.: Zur Rechtsqualität des § 22 Abs. 2a SGB II für junge Volljährige mit Verselbständigungsbedarf, 2008, Download unter: www.harald-thome.de/media/files/Rechtsgutachten_22Abs_2a_SGB_II_pdf_.pdf
6. Vgl. insbesondere: Sievers, B.; Thomas, S.; Zeller, M.: Jugendhilfe - und dann? Zur Gestaltung der Übergänge junger Erwachsener aus stationären Erziehungshilfen. Frankfurt/Main, 2015; sowie: Schröer, W.; Stauber, B.; Walther, A.; Böhnisch, L.; Lenz, K. (Hrsg.): Handbuch Übergänge. Weinheim und Basel, 2013.
7. Hinz, P., a.a.O., S.?232.
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