Familiennachzug: ein Privileg
Nach Art. 6 Grundgesetz stehen Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Einen Ausschluss bestimmter Gruppen, wie zum Beispiel Ausländer(innen) oder Geflüchtete, gibt es nicht. Doch die Realität sieht anders aus. Anerkannte Flüchtlinge haben Anspruch auf privilegierten Familiennachzug, wenn sie diesen spätestens drei Monate nach ihrer Anerkennung beantragen - auch ohne Prüfung, ob Wohnraum und Lebensunterhalt gesichert sind. Für diejenigen, die nur subsidiären Schutz erhalten, wurde der Familiennachzug 2018 kontingentiert. "Familiennachzugsneuregelungsgesetz" heißt das Werk, mit dem das Recht auf Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte abgeschafft und durch eine eingeschränkte Regelung ersetzt wurde.
Dies sind nicht die einzigen Hürden für eine Familienzusammenführung. Hinzu kommen horrende Kosten, die für Geflüchtete oft unerschwinglich sind. Reisekosten und Passgebühren sind zu bezahlen, oftmals teure genetische Nachweise zu erbringen. Zudem haben sich die deutschen Botschaften aus Krisengebieten zurückgezogen. Die Antragsteller(innen) müssen in ein anderes Land reisen und dort mitunter Jahre verbringen, um ein Visumverfahren mit ungewissem Ausgang zu betreiben. Eine Eheschließung mittels amtlicher Dokumente nachzuweisen ist schwierig. Menschen, die aus einem Kriegsgebiet kommen oder schon lange auf der Flucht sind, gelingt dies oft nicht. Seit Ausbruch der Corona-Pandemie hat sich die Situation nochmals dramatisch verschlechtert. Behörden, inklusive Botschaften, sind kaum mehr für persönliche Termine erreichbar. Schriftliche Gesuche geraten in Endlosschleifen. Bereits erteilte Visa verfallen wegen der Reisebeschränkungen.
Auf kommunaler Ebene sträuben sich viele Amtsträger gegen den Familiennachzug, mit dem Argument, dass es keinen Wohnraum gebe. Aber darf man Familien für eine verfehlte Wohnungspolitik zerstören?
Familie gilt als Kern der Gesellschaft. Menschen verzweifeln, wenn der Staat ihre Familie zerreißt. Kraft für Integration geht verloren durch die Sorge um Ehegatten und Kinder. Jahrelanges Warten auf enge Familienangehörige zermürbt. Das ist nicht nur integrationspolitisch unsinnig, sondern auch verfassungswidrig. Die Erfahrungen unserer Beratungsstellen zeigen: Es ist wirklichkeitsfern, zu glauben, dass ein Mensch eine fremde Sprache und Kultur erlernen kann, wenn er nicht weiß, ob die eigene Familie gesund und am Leben ist. Und es ist unmenschlich, Mütter, Väter und Kinder wissentlich voneinander getrennt zu halten.