Der Bedarf ist nach wie vor hoch
Viele traumatisierte Geflüchtete können nicht versorgt werden", so war Ende 2020 der sechste Versorgungsbericht der Bundesweiten Arbeitsgemeinschaft der psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (BAfF) überschrieben. Im Bericht wird auf einen hohen ungedeckten Bedarf an Psychotherapie und psychosozialer Unterstützung bei Geflüchteten hingewiesen. Auch Patient(inn)en in der Regelversorgung müssen lange warten, bis sie eine Psychotherapie beginnen können. Mit durchschnittlich sieben Monaten, wobei es auch bis zu 18 Monate dauern kann, sind die Wartezeiten für traumatisierte Geflüchtete jedoch deutlich höher als für andere Hilfesuchende. Schon Ende 2014, als die Caritas-Region Ludwigsburg-Waiblingen-Enz in die Arbeit mit Geflüchteten einstieg, war die völlig unzureichende Versorgung von traumatisierten Geflüchteten ein großes Problem. Die spezialisierten psychosozialen Zentren waren damals noch überlaufener als heute, die sogenannten Regel[1]dienste auf die Aufnahme von Geflüchteten nicht vorbereitet. Vor allem die Sprachbarriere stellte ein großes Problem dar.
2015 verantwortete die Caritas-Region Ludwigsburg-Waiblingen-Enz in zahlreichen Unterkünften die Sozialbetreuung von Geflüchteten, sowohl im Rems-Murr-Kreis als auch im Landkreis Ludwigsburg
Viele der Geflüchteten hatten massive Menschenrechtsverletzungen, Krieg und Verfolgung erlebt und waren nach ihrer Flucht Diskriminierung und großer Unsicherheit bezüglich ihrer Zukunft ausgesetzt. Erinnerungen an traumatische Situationen im Herkunftsland und auf der Flucht machten es vielen sehr schwer, im Hier und Jetzt anzukommen. Um diesen Menschen Hilfe anbieten zu können, entschloss sich die Caritas Ludwigsburg-Waiblingen-Enz, selbst traumatherapeutische und stabilisierende Angebote für Geflüchtete zu konzipieren. Das Angebot des Bischöflichen Ordinariats der Diözese Rottenburg-Stuttgart, über den "Zweckerfüllungsfonds Flüchtlingshilfen" ein Projekt drei Jahre lang finanziell zu unterstützen, wurde gerne angenommen.
Ziel war eine niederschwellige, wohnortnahe und leicht zugängliche Unterstützung für psychisch belastete Geflüchtete. Hierbei sollten das Ermöglichen und Sammeln von positiven (Beziehungs-)Erfahrungen im Vordergrund stehen, da Erleben von Selbstwirksamkeit und Selbstkontrolle den Ohnmachts- und Hilflosigkeitserlebnissen der traumatischen Erfahrungen entgegenwirken. Durch möglichst zeitnah angebotene Interventionen sollten vorhandene Ressourcen gestärkt und präventiv psychischen und psychosomatischen Erkrankungen vorgebeugt werden.
Die permanente Anspannung abmildern
Sowohl in der traumatherapeutischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen als auch in der Arbeit mit Erwachsenen standen stabilisierende Maßnahmen im Vordergrund. Darüber hinaus wurde explizit mit Therapieansätzen gearbeitet, die nicht ausschließlich auf der kognitiven, sprachlichen Ebene angesiedelt sind, sondern Aspekte von Kreativität und Beziehung in den Mittelpunkt rücken. Die permanente Anspannung, unter welcher die Betroffenen meist litten, konnte so abgemildert werden. Die Erfahrungen in der Gruppe und die Beziehung zu ihren Therapeut(inn)en trugen dazu bei, langsam wieder Vertrauen zu gewinnen. Die Therapieansätze der Honorarkräfte, die den Fokus auf Kreativität und die Beziehung zueinander richteten, ermöglichten den Geflüchteten einen sehr niederschwelligen Zugang, auch ohne oder mit nur wenig Sprachkenntnissen. Die Gruppen wurden als ein "sicherer Ort" wahrgenommen, der Orientierung gibt und Kontrolle vermittelt.
Ein besonderes Anliegen waren die traumatherapeutischen Angebote für Kinder. Insbesondere bei Kindern, die traumatische Erlebnisse durchleiden muss[1]ten, herrscht oftmals Sprachlosigkeit gegenüber den tiefen seelischen Verletzungen. Durch Ansätze wie therapeutisches Sandspiel, Kunst- und Musiktherapie konnten Resilienz und Selbstheilungskräfte aktiviert und gestärkt werden. Vor allem mit der Reittherapie wurden stark belastete Kinder gut erreicht. Mit den Pferden als Bezugspunkt wurden sehr ängstliche Kinder selbstbewusster, nervöse und aggressive Kinder ruhiger und nachlässige Kinder verlässlicher.
Große Unterschiede zwischen den Geschlechtern
Auch bei den Erwachsenen wurden kreative nonverbale Angebote eingesetzt. Es zeigten sich jedoch schnell große Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Die Angebote der Kunsttherapeutinnen wurden von den Frauen gut angenommen, von den Kindern durchwegs sehr gut. Die Männer dagegen konnten sich auf diesen Ansatz nicht gut einlassen. Die Kreativangebote für Männer mussten alle mangels Teilnehmern eingestellt werden. Musiktherapeutische Angebote dagegen sind wiederum bei Männern gut angekommen, vor allem die Trommelgruppen, aber auch Tanz und Musik.
Ein wesentlicher Ansatzpunkt in der Arbeit mit Erwachsenen war auch die Psychoedukation. Sie fördert das Verständnis für Traumata und deren Auswirkungen auf Körper und Seele. Auch die Sprechstunde für Eltern kam gut an. Durch das Verständnis, dass ihre Kinder adäquat auf eine "verrückte Welt" reagieren, enthielten sie Entlastung und waren so besser in der Lage, ihre Kinder zu unterstützen.
Inzwischen ist das Projekt "Flucht und Trauma" in insgesamt 13 Kommunen vertreten, meist direkt in größeren Gemeinschaftsunterkünften, wo der Bedarf nach wie vor hoch ist. Eine Anschlussfinanzierung durch die Aktion Mensch im Jahr 2019 ermöglichte es, die Projekte weiterzuführen. Diese Finanzierung endet leider im Juni 2021, eine neue Finanzierungsmöglichkeit ist noch nicht in Sicht.
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