Dienstrecht statt Dienstpflicht
Wer Jugendliche zu einem Dienst an der Gesellschaft verpflichten möchte, sieht sich neuerdings mit einer gerechtfertigten Rückfrage konfrontiert: Wer verpflichtet eigentlich den Staat dazu, dass solche Dienste überhaupt möglich sind? Und auskömmlich finanziert werden?
Die bestehenden Freiwilligendienste sind eine besondere Form des bürgerschaftlichen Engagements: Als Lern- und Orientierungsjahr stärken sie eine Kultur des Engagements und ermöglichen vielen Menschen, für das Allgemeinwohl in einer demokratischen Gesellschaft einzustehen. Sie leisten damit mehr, als ein Pflichtdienst leisten könnte. Hinzu kommt, dass es gerade jetzt genau dieses Engagement braucht: Die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich. Die eigene Bildung hängt immer stärker vom Elternhaus ab. Populisten greifen Freiheit, Demokratie und Rechtsstaat an. Kurzum: Der gesellschaftliche Zusammenhalt wird wiederholt auf die Probe gestellt.
Die Caritas und andere Verbände der Zivilgesellschaft haben Erfahrungen mit rund 100.000 Freiwilligen im Jahr - das ist etwa ein Zehntel der Schulabgänger:innen. Die jungen und lebensälteren Menschen setzen sich für Gemeinwohl und Zusammenhalt ein. In dieser Lern- und Orientierungszeit erleben Freiwillige Selbstwirksamkeit und Wertschätzung. Das stärkt ihre Bereitschaft, sich auch später für die Gesellschaft zu engagieren.
Statt einer weiteren Pflichtdienst-Debatte braucht es deshalb verlässliche Rahmenbedingungen, damit die Freiwilligendienste nachhaltig gestärkt werden und für mehr Menschen attraktiv sind, gerade für jene, die aufgrund ihrer Lebensbedingungen und Bildungslaufbahn an anderer Stelle von gesellschaftlicher Teilhabe ausgeschlossen sind.
Die zivilgesellschaftlichen Verbände fordern deshalb - gewissermaßen als Gegenvorschlag zum Pflichtdienst - einen Rechtsanspruch auf Freiwilligendienste. Heißt konkret: einen Rechtsanspruch auf staatliche, finanzielle Förderung. Dies würde bedeuten, dass jeder freiwillig zustande gekommene Vertrag ermöglicht wird. Dass jeder:jedem Freiwilligen ein existenzsicherndes Freiwilligengeld auf BAföG-Niveau zustünde. Dass alle Schulabgänger:innen zu einem Freiwilligendienst eingeladen würden. Dass sich möglicherweise bald 200.000 Schulabgänger:innen pro Jahrgang für einen Freiwilligendienst entscheiden.
Diese Forderung einer bedarfsgerechten und nachhaltigen Finanzierung für das besondere bürgerschaftliche Engagement ist nur vernünftig. Sie zu befolgen, würde viel mehr bewirken als irgendein Pflichtjahr.