Wenn die Peergroup beim Zertifizieren hilft
Gut leben in einer Welt, in der die Wirtschaft im Einklang mit den Menschen und ethischen Werten steht: Unter Nachhaltigkeit wird allgemein der harmonische Dreiklang zwischen Ökonomie, Ökologie und der sozialen Dimension in einer Gesellschaft verstanden. Mit diesem Ansatz ist unsere Gesellschaft in der praktischen Umsetzung leider noch nicht weit genug fortgeschritten. Wenn es wirklich darauf ankommt, gibt häufig die Ökonomie den Ton an, weil man sich Ökologie und soziales Gewissen dann (vermeintlich) nicht leisten kann. Aus diesem Grund müssen wir die Fragen und Anforderungen rund um die Nachhaltigkeit als einen soziokulturellen Wandel verstehen, der bei jedem einzelnen Menschen seinen Ausgang nimmt. Ein Wandel, den auch Papst Franziskus in seiner Umwelt-Enzyklika Laudato si’ (2015) fordert: "Was gerade vor sich geht, stellt uns vor die Dringlichkeit, in einer mutigen kulturellen Revolution voranzuschreiten." Das persönliche Bewusstsein bestimmt jeden Tag unser Verhalten in jeder Beziehung, sei es im privaten Bereich, bei der Arbeit, im Ehrenamt oder in Bezug auf die Nutzung der natürlichen Ressourcen.
Die 2010 gegründete Bewegung der Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ) verfolgt das Ziel, dass Unternehmen beziehungsweise Verbände hier genauer hinschauen, und erhebt den Anspruch, in allen gesellschaftlichen Bereichen die Kultur des guten und nachhaltigen Lebens zu befördern. Sie verfolgt damit ein nachhaltiges Wirtschaften. Die soziale Wirtschaft dient dem Gemeinwohl und nicht der Geldvermehrung um ihrer selbst willen. Ungleichheiten bei Einkommen, Vermögen, aber auch Macht sind in maßvollen Grenzen zu halten und am Gemeinwohl zu orientieren. Bei der Nutzung der natürlichen Ressourcen sollte dabei die Regenerationsfähigkeit unserer Ökosysteme im Blick bleiben. Alle Anstrengungen sind deshalb auf den Menschen und die Natur statt auf Profit auszurichten, um auch künftigen Generationen gleiche Lebenschancen zu ermöglichen.
Bei der Vision der GWÖ geht es folgerichtig darum, allen Menschen ein würdevolles Dasein und aktives gesellschaftliches Wirken zu ermöglichen. Hierzu gehört auch, Mitarbeitenden eine sinnstiftende Arbeit und gute Rahmenbedingungen mit Möglichkeiten der Beteiligung und Mitsprache anzubieten.
Ziel ist eine andere Wirtschaft
Der Orts-Caritasverband Arnsberg-Sundern will die GWÖ-Bewegung trotz schwieriger Rahmenbedingungen unterstützen. Grundsätzlich steht unsere Kundenbeziehung in einem Spannungsdreieck zwischen dem Menschen, den wir begleiten, und seinen Erwartungen an eine gute Versorgung sowie dem jeweiligen Kostenträger und dessen inhaltlichen sowie wirtschaftlichen Vorgaben und den politisch gesetzten Rahmenbedingungen. Im Grunde hat ein Caritasverband (CV) mehrere Kundenbeziehungen - und jede Verschiebung innerhalb einer Erwartungsgruppe kann dazu führen, dass die Belange der anderen tangiert werden. Es gilt also immer ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den Beteiligten zu finden. Echte Gemeinwohlorientierung funktioniert nur im Gespräch auf Augenhöhe und im guten Miteinander, da die Beachtung der Interessen und das Wohl der Menschen das oberste Ziel der Zusammenarbeit sein sollten.
Anfang der 2010er-Jahre führte die Bertelsmann-Stiftung mehrere Umfragen durch. Ergebnis war unter anderem, dass sich 88 Prozent der Deutschen eine "neue Wirtschaftsordnung" wünschen. Der Kapitalismus sorge weder für einen "sozialen Ausgleich in der Gesellschaft" noch für den "Schutz der Umwelt" oder einen "sorgfältigen Umgang mit den Ressourcen".
Es geht den meisten Menschen also darum, die gelebten Werte zum Wohle aller auf wirtschaftlicher, politischer und gesellschaftlicher Ebene zu verwirklichen. In den letzten Jahren ist dies etwa durch die "Fridays for Future"-Bewegung oder noch prägnanter durch die "Letzte Generation" deutlich zum Ausdruck gekommen. Auch durch die Coronakrise und den Zusammenbruch der Lieferketten erhalten nachhaltige und soziale Themen eine große Relevanz.
Erster Bericht sollte Impulse geben
Seit 2020 sieht sich der CV Arnsberg-Sundern als Teil der Gemeinwohl-Ökonomie. Neben den regelmäßig publizierten Jahresberichten wurde 2020 erstmals ein Transparenzbericht und 2021 der erste Gemeinwohl-Bericht des Caritasverbandes (noch ohne Zertifizierungsbestreben) veröffentlicht. Er sollte zunächst Impulse geben für einen Lern- und Entwicklungsschritt. Das Bemühen, verbandsintern für die Idee der Gemeinwohl-Ökonomie zu sensibilisieren, wurde allerdings durch die Coronapandemie und den Schock des Ukraine-Krieges erschwert. Nicht wenige Nachhaltigkeitsthemen gerieten aufgrund der Hygienevorgaben während der Pandemie (Wegwerfartikel!) oder durch eine drohende Gasmangellage in Folge des russischen Angriffs auf die Ukraine ins Hintertreffen.
Gruppenarbeit an der Matrix
2022 griff der CV Arnsberg-Sundern das Thema GWÖ-Zertifizierung beziehungsweise Gemeinwohl-Bilanz dann doch wieder auf. In Arnsberg hatte sich kurzfristig eine GWÖ-Gruppe ("Peergroup") aus verschiedenen Unternehmen gegründet. Mit dieser arbeitete man gemeinsam an der jeweils eigenen Gemeinwohl-Matrix (S. a. Beitrag auf S. 12 ff. in diesem Heft). Der Zertifizierungsprozess erfolgte über einen Zeitraum von neun Monaten im Verbund mit den anderen Arnsberger Unternehmen im Rahmen einer gemischten Peergroup.1 Beteiligt waren ein Druckhaus, ein Hotel, ein Bioladen und ein Secondhand-Concept-Store. Alle Mitglieder dieser Peergroup erstellten anhand der Gemeinwohl-Kriterien in der GWÖ-Matrix jeweils einen eigenen Bericht. Die Umsetzung der Werte wurde jeweils in Bezug auf die einzelnen Berührungsgruppen bepunktet. Als Ausgangspunkt galt es zu messen, wie die Grundwerte berücksichtigt und gelebt werden. Der Grad der Realisierung wird auf dem Zertifikat dargestellt. Pro Berührungsgruppe fand eine vierstündige Arbeitssitzung statt, in der sich die Peergroup-Teilnehmenden gegenseitig bewerteten. Bewertungskriterien der GWÖ-Matrix waren etwa:
◆ Wie sinnvoll sind unsere Produkte/Dienstleistungen?
◆ Wie human sind unsere Arbeitsbedingungen?
◆ Wie ökologisch arbeiten wir?
◆ Wie kooperativ und solidarisch verhalten wir uns zu anderen Unternehmen?
◆ Wie werden unsere Erträge verteilt?
◆ Werden alle Geschlechter in unserem Caritasverband gleichbehandelt?
◆ Wie demokratisch werden im Caritasverband Entscheidungen getroffen?
Die Bewertung der einzelnen Themenbereiche durch die Peergroup-Teilnehmenden stellt hierbei einen großen Mehrwert dar. So werden viele Ideen und Impulse aus den anderen Wirtschaftsbereichen in die Diskussion eingebracht, die auch für den CV Arnsberg-Sundern lohnenswert sind. Andererseits besteht auch die Möglichkeit, in einigen Themenfeldern miteinander zu kooperieren und so Synergieeffekte zu nutzen. Es entsteht somit ein größerer Nutzen als bei einer Allein-Zertifizierung oder bei einer Peergroup mit Organisationen und Firmen des gleichen Wirtschaftszweiges.
Unsere positiven Erfahrungen sind Motivation genug, die Gemeinwohl-Ökonomie weiter zu unterstützen. Als Caritasverband möchten wir auch als Pionierunternehmen wichtige Themen in unserer Gesellschaft weiter etablieren. Dieser Anspruch benötigt Ausdauer und immer wieder auch gesellschaftliche Motivation. Der Caritasverband Arnsberg-Sundern lädt alle Mitglieder, Mitarbeiter:innen und Freund:innen ein, seine Gemeinwohl-Initiative zu unterstützen. Machen auch Sie mit und werden Sie Teil der Veränderungen, die Sie selbst in der Welt sehen wollen.
Anmerkung
1. "Caritasverband Arnsberg-Sundern erhält erstmals Gemeinwohl-Zertifikat" (www.caritas-arnsberg.de, Pressemitteilung vom 3. Februar 2023, Kurzlink: https://is.gd/0IJC9A).
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