Ausschreibung widerspricht dem System der Eingliederungshilfe
Die Ausschreibung von Sozialleistungen nach Vergaberecht beschäftigt die freie Wohlfahrtspflege seit vielen Jahren. Die Stadt Düsseldorf hatte im Jahr 2016 den Einsatz von Schulbegleiter:innen an Düsseldorfer Schulen für Kinder mit Behinderungen öffentlich ausgeschrieben. Gegen diese Ausschreibung hatten der Caritasverband Düsseldorf und die Kaiserswerther Diakonie geklagt. Beide hatten bis dahin Schulbegleitungen auf der Grundlage von Leistungs- und Vergütungsvereinbarung geleistet und fürchteten ein Leerlaufen dieser Vereinbarungen sowie den Verlust der Trägerpluralität. Tatsächlich waren sie - wie andere Träger - nach der Zuschlagserteilung faktisch von weiteren Schulbegleitungen ausgeschlossen. Unterstützt wurde das Klageverfahren durch die Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege des Landes NRW (LAG FW). Schon in der Berufungsinstanz hatte das Landessozialgericht NRW den Klägern recht gegeben (Az. L 12 SO 227/19).
Das Bundessozialgericht (BSG) hat nun in der Revisionsinstanz am 17. Mai 2023 das Urteil des Landessozialgerichts bestätigt und entschieden, dass es der Stadt Düsseldorf untersagt war, die Ausschreibung durchzuführen und in diesem Vergabeverfahren den Zuschlag zu erteilen (Az. B 8 SO 12/22 R). Die schriftlichen Urteilsgründe liegen noch nicht vor. Aus dem Terminbericht und der mündlichen Begründung ergibt sich Folgendes:
Das Gericht hat festgestellt, dass das Vertragssystem die §§ 75 ff. SGB XII alte Fassung (a. F.) beziehungsweise heute der §§ 123 ff. SGB IX ein Verbot enthalten, Vergabeverfahren gemäß den §§ 97 ff. Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen durchzuführen. Denn eine solche Vergabe mit dem Ziel, Leistungen der Schulbegleitung auf die mit dem Zuschlag bestimmten Vertragspartner zu übertragen, widerspreche dem im SGB XII und im SGB IX vorgesehenen Versorgungssystem. Den Träger der Leistung treffe die Pflicht, den Leistungsanspruch der Berechtigten durch Abschluss von Leistungs- und Vergütungsvereinbarungen sicherzustellen, und zwar im Sinne einer dem Wunsch- und Wahlrecht der Leistungsberechtigten entsprechenden Pluralität der Leistungserbringer. Gegen diese sozialrechtlichen Strukturprinzipien aber würde verstoßen, wenn in Abkehr von dem Vertragsrecht Ausschreibungsverfahren durchgeführt würden.
Die nationale Regelung der §§ 75 ff. SGB XII a. F. beziehungsweise heute der §§ 123 ff. SGB IX verstoße auch nicht gegen Europarecht, insbesondere nicht gegen das Europäische Vergaberecht, so das BSG im Weiteren, denn Leistungs- und Vergütungsvereinbarungen seien keine öffentlichen Aufträge oder Dienstleistungskonzessionen. Das Vergaberecht finde keine Anwendung auf einfache Zulassungssysteme, in denen - wie hier nach den §§ 75 ff. SGB XII beziehungsweise heute nach den §§ 123 ff. SGB IX - keine Auswahlentscheidung des öffentlichen Trägers erfolge. Einer vergaberechtlichen Kontrolle bedürfe das eingliederungshilferechtliche Vertragsrecht nicht. Das Vertragssystem ermögliche selbst einen transparenten und gleichberechtigten Wettbewerb.
Damit ist die Unzulässigkeit von Vergabeverfahren in der Eingliederungshilfe höchstrichterlich durch das BSG bestätigt worden. Auch für die in gleicher Weise geregelten Vertragssysteme in anderen Sozialgesetzbüchern (etwa im SGB VIII) wird die Rechtsprechung von entsprechend großer Bedeutung sein.
Die Entscheidung ist aus Sicht der LAG FW ein großer Erfolg, hat doch das BSG die von der freien Wohlfahrtspflege immer wieder vorgetragenen Vorbehalte an Ausschreibungsverfahren im Ergebnis bestätigt. Es ist nun klargestellt, dass es im sozialrechtlichen Vertragssystem weder einen europarechtlichen Zwang zu Ausschreibungen gibt noch ein Recht, Vergabeverfahren durchzuführen. Die Trägerpluralität als unabdingbare Voraussetzung für das Wunsch- und Wahlrecht bleibt gewährleistet.
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