Symbiose, Coproduktion, Konkurrenz?
Die Ampel-Regierung hat sich im Koalitionsvertrag aus dem Jahr 2021 darauf verständigt, eine neue Engagementstrategie des Bundes zu entwickeln. Der Deutsche Caritasverband und die anderen Wohlfahrtsverbände begleiten das Vorhaben mit großer Aufmerksamkeit.1 Die Positionspapiere, die dazu entstanden sind, richten sich im Kern nach folgenden Überzeugungen:
- Freiwilliges Engagement leistet einen unverzichtbaren Beitrag zum Zusammenhalt der Gesellschaft.
- Wohlfahrtsverbände bieten in vielen sozialen Aufgabenfeldern attraktive Orte für freiwilliges Engagement. Sie zeichnen sich durch ein fruchtbares Miteinander von freiwilligem und hauptamtlichem Engagement aus, das die Stärken freiwilligen Engagements stärkt und seine Nachhaltigkeit und Wirksamkeit unterstützt - zum Beispiel, indem befristete Engagement-Bereitschaft und langfristige Hilfebedarfe durch gutes Nachfolge-Management professionell synchronisiert werden.
- Das Miteinander von freiwilligem und beruflichem Engagement funktioniert in Abhängigkeit von den jeweiligen gesetzlichen und politischen Rahmenbedingungen in den verschiedenen Handlungsfeldern der Wohlfahrtspflege unterschiedlich.
Die Engagementstrategie, die die Bundesregierung vorlegen will, sollte diese Befunde berücksichtigen. Sie sollte dem Miteinander von freiwilligem und beruflichem Engagement im Handlungsfeld der Wohlfahrtsverbände besondere Aufmerksamkeit schenken und Hinweise geben, wie die Potenziale gelingender Coproduktion politisch gestärkt werden sollen.
Verständigung mit der Politik
Die Caritas und die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege e. V. haben Gespräche mit der Bundesfamilienministerin und dem Bundespräsidenten genutzt, um deutlich zu machen, wie wichtig es gesellschaftspolitisch ist, das Projekt "Engagementstrategie und Wohlfahrtspflege" zu einem politischen Schwerpunktanliegen werden zu lassen. Die immer wieder aufflackernde Diskussion um einen Pflichtdienst tat ihr Übriges: Die Notwendigkeit, sich über die Bedeutung freiwilligen Engagements und seine Eigenart im Zusammenspiel mit beruflichem sozialem Engagement politisch zu verständigen, ist offensichtlich.
Inzwischen sind die Vorbereitungen im Familienministerium und bei den Verbänden weit gediehen. Der DCV hat eine qualitative Studie in Auftrag gegeben, um auf der Grundlage aktueller Befunde die Besonderheiten des Miteinanders klarer beschreiben und die politischen Forderungen deutlicher begründen zu können.2 Allerdings: Die Voraussetzungen für einen konstruktiven Diskurs über die Zukunft des freiwilligen sozialen Engagements haben sich über den Sommer 2023 dramatisch verschlechtert. Die tiefgreifenden Einsparpläne, die die Bundesregierung im sozialen Bereich für 2024 und darüber hinaus vorsieht, und ähnliche Engpässe in Landeshaushalten lassen Zweifel groß werden, ob der Diskurs unter diesen Bedingungen gelingen kann.
Damit Wohlfahrtsverbände als subsidiäre Leistungserbringer und Möglichkeitsräume freiwilligen Engagements glaubwürdig agieren können, brauchen sie die Sicherheit verlässlicher Refinanzierung. In einer Sandwich-Position, in der immer mehr politische Steuerungsvorgaben zu beachten sind, Programmverlässlichkeit trotz großer objektiver sozialer Problemlagen aber fehlt, fällt es schwer, Coproduktion freiwilligen und beruflichen Engagements zu gestalten, ohne den Verdacht zu nähren, Löcher in den Etats der öffentlichen Daseinsvorsorge stopfen zu sollen.
Mehrere Arten von Empathie wirken zusammen
Vor diesem Hintergrund lesen sich erste Zwischenergebnisse der Caritas-Studie durchaus ambivalent:
1. In ihrer Zusammenarbeit erfahren freiwillig und beruflich Engagierte in der Caritas: Wir stiften Gemeinschaft! - eine Erfahrung, die gegen Ohnmachtsgefühle immunisiert und die bei der Priorisierung hilft. "Coproduktion" wird als Begriff für dieses starke #DasMachenWirGemeinsam-Gefühl aber nicht akzeptiert oder löst Ökonomisierungsängste aus.
2. Das Miteinander von Haupt- und Ehrenamt und seine Wahrnehmung durch die freiwillig Engagierten sind je nach Aufgabenbereich und Tätigkeitsfeld sehr unterschiedlich. Während die befragten Ehrenamtlichen in der Wohnungslosenhilfe die Hauptamtlichen, mit denen sie zusammenarbeiten, nicht selten als "Vorgesetzte" bezeichnen, sehen die Aktiven der youngcaritas die hauptamtlichen Akteur:innen als "Dienstleister" ihres freiwilligen Engagements.
Bei allen Unterschieden erweist sich: Eine funktionale Professionalisierung der "Betreuung" Ehrenamtlicher durch spezialisierte Ehrenamts-Koordinator:innen allein reicht keinesfalls aus, um den Anspruch einzulösen, dem Zusammenwirken einen zentralen Stellenwert einzuräumen.3
3. Als Organisation sagen wir den freiwillig Engagierten und den Menschen, denen ihre/unsere Hilfe gilt, zu, die zeitlichen Möglichkeiten der Engagierten und die Bedarfe der Notleidenden zu synchronisieren. Diese Aufgabe ist größer und herausfordernder geworden, seit die Übernahme einer konkreten ehrenamtlichen Aufgabe in der Regel nicht mehr so erfolgt, dass "ein Ehrenamt übertragen" wird, mit dem eine Art Lebensaufgabe übernommen wird. Durch die größer gewordene Diskrepanz zwischen der Dauer des befristeten Engagements auf der einen und der Dauer des Unterstützungsbedarfs auf der anderen Seite ist die Synchronisations-Aufgabe der Organisation wichtiger geworden. Wohlfahrtsverbände als Engagement fördernde Strukturen werden in diesem Sinne heute mehr denn je gebraucht und müssen in diese Aufgabe stärker investieren.
4. Eine weitere spezifische Leistung besteht in der Harmonisierung von "affektiver und kognitiver Empathie"4. Im Regelfall sind es die Ehrenamtlichen, deren Engagement in besonderer Weise von affektiver Empathie geprägt ist: Sie sehen mit dem Herzen gut und verhindern, dass in einer Welt globalisierter Gleichgültigkeit das Schicksal des Wohnungslosen, der ungewollt Schwangeren, der ausgebeuteten Prostituierten oder des suizidgefährdeten Einsamen unbemerkt bleiben.
Professionelles Engagement zeichnet sich durch kognitive Empathie aus - eine rationalisierte Form der Zuwendung, die über den Einzelfall hinausblickt und Kollateraleffekte benennt: Wenn eine Tafel nicht mehr auf eine ausreichende Menge gespendeter Lebensmittel zurückgreifen kann, sondern Güter zukauft, dann muss kognitive Empathie danach fragen, ob unter diesen Bedingungen die Ausgabe noch angemessen ist.
Bei der Suche nach neuen Lösungen, bei der Harmonisierung von affektiver und kognitiver Empathie leitet die normative Empathie der Organisation - unser gemeinsames Verständnis von "Not sehen und handeln" - den Aushandlungsprozess.
Kräfte im gemeinsamen Unterstützungs-Mix bündeln
Was folgt daraus für unser weiteres Handeln im Kontext der Engagementstrategie?5 Wir treten weiter für ein emanzipatorisches Grundverständnis von Engagement ein, das komplementär zu den beruflich erbrachten Dienstleistungen ist und sie nicht ersetzt. Wir unterstützen ein emanzipatorisches Grundverständnis professioneller sozialer Arbeit, sie erbringt soziale Dienstleistungen selbst-bewusst. Freiwilliges soziales Engagement und berufliche soziale Arbeit dürfen nicht gegeneinander in Stellung gebracht werden, sondern sollten ihre Kräfte im gemeinsamen teilhabe-orientierten Unterstützungs-Mix bündeln. Dafür müssen wir als Wohlfahrtsverbände "Coproduktion" immer wieder neu lernen. Und dafür fordern wir eine Politik, die engagement-förderliche Strukturen (der Wohlfahrtsverbände) verlässlich fördert; eine Politik, die nicht auf die vermeintlich einfachste und billigste Lösung einer forcierten Ökonomisierung setzt, sondern glaubwürdige tragfähige Rahmenbedingungen für zukunftsfähige lebensweltlich-professionelle Verknüpfungen schafft.
Anmerkungen
1. Die beiden Positionspapiere aus dem Jahr 2022 sind inzwischen eingeflossen in Stellungnahmen im Konsultationsprozess zur Engagementstrategie. Sie finden sich, ebenso wie die Stellungnahmen, auf den Internetseiten www.caritas.de (unter anderem hier) und www.bagfw.de (zum Beispiel hier).
2. Vgl. den Beitrag von Carsten Wippermann in diesem Heft.
3. Zur Bedeutung gesetzlicher Anreize für Veränderungen des Miteinanders in der Pflege s. Roß, P.-S.; Roth, R.: Soziale Arbeit und bürgerschaftliches Engagement: gegeneinander - nebeneinander - miteinander (= Soziale Arbeit kontrovers 20). Berlin: Verlag des Deutschen Vereins, 2019, S. 16-27.
4. Diese Begriffe in den Diskurs eingeführt zu haben wird eine der besonders interessanten Dimensionen der Wippermann-Caritas-Studie sein.
5. Die Zusammenfassung in diesem Absatz folgt Roß, P.-S.; Roth, R.: Soziale Arbeit und bürgerschaftliches Engagement: gegeneinander - nebeneinander - miteinander, a.a.O., S. 56 f.
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