Nachhaltig und gut kochen
Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen tragen naturgemäß eine große Verantwortung für die ihnen anvertrauten Menschen, vor allem in Gesundheitsfragen. Nun hat die Bundesregierung erkannt, dass dieser Sektor auch in der gesamtgesellschaftlichen Verantwortung für die Menschen und den Planeten eine wichtige Rolle übernehmen kann.
Das Thema Nachhaltigkeit ist überall präsent und steht, nicht zuletzt aufgrund der gestiegenen Energiepreise und neuer Verordnungen zur Nachhaltigkeitsberichterstattung, immer mehr im Fokus der Gemeinschaftseinrichtungen. Viele Häuser haben erkannt, dass sie etwas tun müssen. Die meisten Überlegungen konzentrieren sich auf Energieeinsparungen, klimafreundliche Mobilität, den Kauf CO2-armer Medizinprodukte oder langwierige und kostenintensive Gebäudesanierungen. Oft ist den Institutionen dabei nicht bewusst, dass sie mit ihrer Speisenversorgung einen Hebel mit sehr viel weitreichenderem Potenzial haben. Sie haben damit massiven Einfluss auf ihren CO2- und Umweltfußabdruck und zugleich können sie so dazu beitragen, die Landwirtschaft widerstandsfähiger für den Klimawandel zu machen.
Circa 43 Prozent der Treibhausgasemissionen in einem Altenheim sind der Speisenverpflegung zuzurechnen. Es ist erstaunlich, dass dieser erhebliche Anteil bei der Entwicklung von Nachhaltigkeitsstrategien in vielen Häusern außer Acht gelassen wird.
Räume schaffen, um unbelastete Nahrungsmittel zu erzeugen
Eine nachhaltige und "enkeltaugliche" Speisenversorgung mit unbelasteten Lebensmitteln hat nicht nur positive Auswirkungen auf die Gesundheit der Bewohner:innen, Patient:innen und Mitarbeiter:innen, sondern auch auf die Umwelt. Es entsteht eine regenerative Landwirtschaft, die die Artenvielfalt fördert, die alte Saatgutsorten und Nutztierrassen erhält, die ohne Pestizide und ohne Überdüngung auskommt. Zugleich entstehen so Naturschutzflächen und Lebensräume, in denen auch gute und unbelastete Nahrungsmittel erzeugt werden können. Durch die gesteigerte Nachfrage nach Regionalität wird die Umstellung im direkten Umfeld der Einrichtungen gefördert.
Diese Transformation hin zu einer klimaresilienten und humusaufbauenden Speisenversorgung ist das Ziel der Enkelwirtschaft. Karl-Hermann Wagner, Gründer des Cateringunternehmens Procuratio und Kopf hinter der Enkelwirtschaftsidee, hat bereits früh erkannt, dass es von enormer Bedeutung für uns alle ist, die Umwelt zu schonen, damit auch für die kommenden Generationen noch genug Ressourcen zur Verfügung stehen. Karl-Hermann Wagner: "Jeder spricht über die gestiegenen Kosten und dass biologisch erzeugte Lebensmittel teurer sind. Mittlerweile habe ich verstanden, dass - wenn sich nichts ändert - die konventionelle Landwirtschaft letztlich das Teurere ist. Nur, dass wir die Folgekosten nicht bezahlen, sondern unsere Enkel. Klingt erst mal abenteuerlich. Aber das nicht zu verstehen ist abenteuerlich - für unsere Enkel."
Weniger Klimafolgekosten durch Bio-Betriebe
Diese Ansicht stützt auch eine im Januar 2023 erschienene Studie der TU München, die Umwelt- und Klimawirkungen von konventionellen und ökologischen Landwirtschaftsbetrieben über einen Zeitraum von zehn Jahren vergleicht. Die Ergebnisse zeigen: Durch Bio-Betriebe werden auf den bestehenden Flächen des ökologischen Landbaus in Deutschland jährlich Klimafolgekosten für Umweltschäden in Höhe von 1,5 Milliarden Euro vermieden. Weiter heißt es, die Böden in ökologischen Betrieben seien demnach im Durchschnitt eine Senke für Kohlenstoff, während die Böden in konventionellen Betrieben im Durchschnitt eine Quelle für Kohlenstoff seien.1
Bei der Erzeugung von Speisen bietet sich eine einzigartige Chance: Einrichtungen können sich für eine Speisenversorgung entscheiden, die mehr CO2 aufnimmt, als sie ausstößt, und der Erde mehr zurückgibt, als sie verbraucht. Durch den Einsatz von nachhaltigen Anbaumethoden, wie zum Beispiel Fruchtfolgen, Kompostierung und Vermeidung von chemischen Düngemitteln und Pestiziden, wird der Planet geschützt und aktiv Humus aufgebaut.
Die Enkelwirtschaft leistet mit ihrem regionalen Nachhaltigkeitsansatz einen echten Mehrwert - hin zur Entstehung fruchtbarer Böden durch humusaufbauende Landwirtschaft.
Humus schafft im Boden durchlässige Strukturen, sorgt dafür, dass der Boden bei extremen Wetterwechseln Wasser aufnehmen und speichern kann, und erhöht die Fruchtbarkeit. Durch den Aufbau von Humus wird Kohlenstoff aus der Luft gebunden und im Boden gespeichert. Dies reduziert die Menge an CO2 in der Atmosphäre und hilft, die Auswirkungen des Klimawandels zu bewältigen. Die regenerative Landwirtschaft schafft es somit als einziger Wirtschaftszweig, nicht nur den eigenen Klimagasausstoß zu senken, sondern darüber hinaus noch auf natürlichem Wege bereits emittierte Klimagase in großen Mengen wieder aus der Atmosphäre zu ziehen.
Als Abnehmerin von großen Lebensmittelmengen können gerade die Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen einen wichtigen marktwirtschaftlichen Einfluss nehmen. Eine regenerative Landwirtschaft wird sich dann ausbreiten, wenn sich die Nachfrage nach den Produkten erhöht.
Lösungen für den Einzelfall entwickeln
Die Umstellung auf eine "Enkelwirtschaft" ist immer ein individueller Prozess, bei dem jede Einrichtung in ihrem Einflussbereich überlegen muss, welchen Beitrag sie in welchen zeitlichen Schritten leisten kann und will. Es gibt kein Universalkonzept, bei dem ein Schalter umgelegt wird, sondern es sind intelligente Lösungen für den Einzelfall zu entwickeln.
Gemeinsam mit Landwirten aus der Region und einem Team von Procuratio kann dieser Prozess angestoßen werden, wobei der erste Schritt immer die Analyse vor Ort ist. Die Bundesregierung hat das Potenzial der enkeltauglichen Landwirtschaft in der Gemeinschaftsverpflegung erkannt und eine Förderrichtlinie herausgegeben, die solche Analysen mit bis zu 35.000 Euro unterstützt.
In aller Regel reicht es nicht, nur den Einkauf auf saisonale Produkte von regionalen Bauern umzustellen. Neben der Herkunft der Lebensmittel ist auch die ganzheitliche Verarbeitung wichtig. "Nose to Tail" und "Leaf to Root" und der Verbrauch auch von krumm gewachsenem Gemüse sind beispielsweise Ansätze, um Lebensmittelabfall (S. auch S. 9 ff. in diesem Heft) zu reduzieren und möglichst alle Teile der Pflanzen und Tiere zu verarbeiten. Weniger weggeworfene Lebensmittel sparen nicht nur Kosten, sondern auch Ressourcen schon bei der Herstellung. Unverzichtbar ist dabei das handwerkliche und fachliche Training der Köchinnen und Köche. Ein Beispiel aus der Praxis zeigt, dass Schnitt- und Schälreste, die im normalen Kochprozess etwa nach dem Kochen einer Soße oft ungenutzt entsorgt werden, in einen leckeren Aufstrich verwandelt werden können. So entsteht ein nachhaltiger, cremiger Brotaufstrich, und statt sechs Kilo Gemüseresten bleiben unterm Strich nur noch 150 Gramm übrig. Auch das Kochen mit saisonalen und regionalen Produkten schreckt oft selbst die besten Köchinnen und Köche ab - das Wissen, mit diesen Lebensmitteln abwechslungsreiche und bekömmliche Menüs zu zaubern, die nicht durch ihre Nachhaltigkeit, sondern durch ihren Geschmack begeistern, gehört nicht zur klassischen Kochausbildung.
Zudem müssen auch für Vorverarbeitungsschritte, die in den meisten Großküchen ausgelagert sind, Lösungen entwickelt und Partnerschaften aufgebaut werden, um zum Beispiel damit umzugehen, wenn das Gemüse nicht mehr gewaschen und gewürfelt aus dem Tiefkühler kommt.
Es sind viele Bausteine, die bei der Enkelwirtschaft das nachhaltige Gesamtbild formen. Das Gesundheitswesen kann durch eine regenerative Speisenversorgung ein Vorreiter sein und aktiv eine positive Veränderung für die kommenden Generationen bewirken.
Anmerkung
1. Vgl. Hülsbergen, K. J.; Schmid, H.; Chmelikova, L.; Rahmann, G.; Paulsen, H. M.; Köpke, U.: Umwelt- und Klimawirkungen des ökologischen Landbaus. Weihenstephaner Schriften für Ökologischen Landbau und Pflanzenbausysteme. Berlin, 2023, S. 52.
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