Das machen sie gemeinsam: den Gatekeepern trotzen und Türen öffnen
Sie beide erheben Ihre Stimme für andere, gegen Ungerechtigkeiten und Unterdrückung. Was gibt Ihnen die Kraft dazu?
- Tsitsi Dangarembga: Meine Eltern waren Christen, wir haben früher als Familie regelmäßig den Gottesdienst besucht. Meine Eltern haben mich so erzogen, dass ich wusste, was richtig ist und was es heißt, das Richtige zu tun. Ich bin in einem Umfeld aufgewachsen, in dem es selbstverständlich war, die eigenen Talente und Fähigkeiten, die Kräfte, die uns Gott gegeben hat, dafür einzusetzen, das Richtige zu tun.
In der Pubertät musste ich die Erfahrung machen, dass es für eine junge Frau in einer patriarchalischen Gesellschaft wie der simbabwischen eben nicht so einfach war, ihren Platz zu finden, und dass von ihr Gehorsam erwartet wurde.
Der Feminismus, den ich als Studentin kennengelernt habe, hat mir geholfen, diesen Konflikt zu lösen. Speziell der schwarze Feminismus. Denn auch heute noch hängt sehr vieles davon ab, wie dunkel oder hell die Hautfarbe ist. Das Maß an Unterdrückung, das man als schwarze Frau erleiden muss, hängt davon ab, wie melanin-reich die eigene Haut ist. - Eva Maria Welskop-Deffaa: Obwohl ich ganz woanders aufgewachsen bin, sehe ich Ähnlichkeiten. Auch ich bin geprägt durch eine christliche Erziehung. Auch mir wurde das Gefühl vermittelt, ich müsse meine Talente dafür nutzen, die Welt ein bisschen besser zu machen. Und auch ich habe die Erfahrung gemacht, wenn auch vermutlich auf viel weniger brutale Art und Weise als Tsitsi Dangarembga, dass man mir als Frau weniger zutraute. Zum Beispiel als einzige Frau im VWL-Seminar an der Uni.
Eine von Ihnen ist Autorin, Regisseurin, Aktivistin. Die andere leitet den größten deutschen Wohlfahrtsverband. Welche Gemeinsamkeiten gibt es zwischen Ihrem jeweiligen Tun?
- Welskop-Deffaa: Seit 125 Jahren steht für die Caritas die Unterstützung von Menschen in Notlagen im Mittelpunkt, und dabei ganz besonders die Frage: Wie können wir Menschen empowern? Wie können wir ihnen dabei helfen, Knechtungen, Unterdrückungen aufzubrechen? Auf diese Frage suchen wir Antworten – und finden sie auch. Angefangen mit den Einwanderern aus Italien, die im späten 19. Jahrhundert, zur Zeit der Gründung der Caritas, in miserablen Verhältnissen gelebt haben. Die Caritas hat ihnen nicht nur materielle Hilfe, sondern auch Deutschkurse angeboten. Denn Sprache war der Schlüssel zu einem besseren Leben in Deutschland. Dieses Thema begleitet uns bis heute.
- Dangarembga: Ich habe Sprache, also Bücher, und später Filme als Mittel gewählt, um die Unterdrückung zu bekämpfen. Die eigene Geschichte zu erzählen hat eine therapeutische Wirkung. Ich fühle mich dazu verpflichtet, die Fähigkeit weiterzugeben, die eigene Geschichte zu erzählen. Das versuche ich mit meiner Kunst zu erreichen. Von Leserinnen und Lesern habe ich, zum Beispiel über Twitter, Rückmeldungen bekommen wie "Deine Arbeit hat mich vor dem Selbstmord gerettet". Es gibt viele Menschen da draußen, für die das, was ich tue, sehr bedeutend ist. Das trägt mich unheimlich.
Aber der Weg dahin war ein steiniger …
- Dangarembga: Oh ja! Jedes Mal, wenn jemand wie ich, also eine schwarze Frau aus Afrika, einen Schritt macht und ausstrahlt: "Ich mache das jetzt, ich darf das", begegnet ihr mächtiger Widerstand. Bei mir war das nicht anders. Ich habe in den 1980er-Jahren angefangen zu schreiben. Aber der Durchbruch als Schriftstellerin kam erst 2018. In der Literatur und nachher auch im Filmbetrieb habe ich die Erfahrung gemacht, dass man mir gesagt hat: "Das, worüber du sprechen willst, ist irrelevant, es interessiert keinen." Weil ich nämlich keine Klischees über Afrika bedienen wollte. Das hat den Gatekeepern der Verlagswelt nicht gepasst.
- Welskop-Deffaa: Es ist spannend, dass Sie von Gatekeepern sprechen. Die Menschen, denen wir zur Seite stehen, die zum Beispiel in unseren Beratungsstellen Rat suchen, begegnen solchen Gatekeepern ständig. Es wird ihnen das Gefühl vermittelt, sie könnten oder dürften bestimmte Sachen nicht. Das gilt für Menschen mit Behinderung, Menschen mit einem ausländischen Pass, Kinder aus Familien mit wenig Einkommen … Für sie alle wollen wir als Caritas Türen öffnen.
- Dangarembga: Türen waren mir lange verschlossen. In meiner Heimat dürfen nur diejenigen Kunst machen, die entweder die Unterstützung der Hilfsorganisationen haben und ein bestimmtes Bild von Afrika als verzweifelten Fleck Erde propagieren, oder die Unterstützung der Regierungspartei. Leute wie ich, die weder von der einen noch von der anderen Seite gefördert werden, haben keine Chance. Und so kann auch kein Narrativ durchdringen, welches die Menschen auf ihrem Weg weiterbringt.
Sie schauen kritisch auf Hilfsorganisationen?
- Dangarembga: Wenn wir über "internationale Organisationen" sprechen, meinen wir oft Organisationen, die in Europa gegründet wurden, viele von ihnen zur Zeit des Kolonialismus. Viele Hilfsorganisationen setzen Programme auf, zum Beispiel Ernährungsprogramme für Kinder. Diese Programme laufen zwei Jahre und die Organisationen sagen: "Schaut her, wir machen so tolle Dinge!" Und dann ist das Programm vorbei und das war’s. Diese Art von Hilfe schmeichelt dem Ego der Weißen, mehr nicht. Die richtige Strategie wäre zu identifizieren, wo die Talente und Fähigkeiten der Menschen liegen, und davon ausgehend etwas Nachhaltiges aufzubauen.
- Welskop-Deffaa: Genau deshalb versteht sich die Caritas in allen über 160 Ländern, in denen es sie gibt, bewusst als politische Kraft, nicht nur als reine Hilfsorganisation. Deshalb werden Caritas-Kolleginnen und -Kollegen auch mancherorts schikaniert und bedroht, etwa zurzeit in Brasilien. In vielen Ländern der Welt wollen die Mächtigen eine Kirche, die Almosen verteilt, und keine Kirche, die agiert und mitmischt.
Frau Dangarembga, Sie haben trotz der Widrigkeiten, die Sie beschreiben, Wege gefunden, das zu erzählen, was Sie wollten?
- Dangarembga: Ja. Und vor nicht allzu langer Zeit durfte ich eine wunderbare Erfahrung machen. Ich habe am "Future Library Project" der Stadt Oslo teilgenommen. Ich bin eine von 100 Autorinnen und Autoren, die zwischen 2014 und 2114 je ein Buch geschrieben haben oder schreiben werden – eins pro Jahr. Diese Bücher werden alle erst nach 2114 gelesen. Das Wunderbare war, dass es überhaupt keine Vorgaben gab. Ich durfte über das schreiben, was ich wollte, alles war möglich! Der Wald, aus dessen Holz das Papier zum Druck der Bücher gemacht wird, wächst gerade heran.
- Welskop-Deffaa: Gerade in diesem Jahr, in dem wir die Verbandsgründung von 1897 als Jubiläum feiern, beschäftigen wir uns als Caritas intensiv mit den Themen Geschichte, Erbe, Kontinuität, Brüche. Das Projekt der Future Library finde ich vor diesem Hintergrund umso spannender! Gut, wenn wir als Caritas heute (auch im übertragenen Sinne) Bäume pflanzen, die dazu beitragen, dass morgen noch die Lebensgrundlagen für alle vorhanden sind. Not sehen und zukunftsmutig handeln!
Das 125er-Caritas-Jubiläumsjahr findet im Caritas-Kongress seinen Abschluss. Unser Jubiläumsmotto war #DasMachenWirGemeinsam. Was machen Sie beide denn gemeinsam oder könnten Sie gemeinsam machen?
- Welskop-Deffaa: Hier und heute hören wir einander zu, aufmerksam und empathisch. Das ist in diesen Zeiten, in denen Missverständnisse omnipräsent sind, ein großes Geschenk. Durch das Zuhören und Aufeinanderzu-Gehen setzen wir ein Zeichen gegen die Globalisierung der Gleichgültigkeit.
- Dangarembga: Ich weiß aus Erfahrung, dass aus Begegnungen wie der unseren über die Zeit bedeutsame Beziehungen wachsen können.
Anmerkung
Das Gespräch moderierte DCV-Pressesprecherin Mathilde Langendorf.
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