„Wir haben bessere Möglichkeiten“
In Deutschland hat man in Krankenhäusern sowie Betreuungs- und Pflegeeinrichtungen das Thema assistierter Suizid und insbesondere das Thema gewerbsmäßiger assistierter Suizid verstärkt im Fokus, seitdem das Bundesverfassungsgericht im Februar 2020 das Verbot zur gewerblichen Suizidbeihilfe aufgehoben hat. Es hat damit allen Menschen ein umfassendes Recht auf Selbstbestimmung in Bezug auf den Zeitpunkt des Lebensendes und auch grundsätzlichen Anspruch auf eine entsprechende Hilfestellung beim Suizid zugesprochen.
"Können wir assistierten Suizid in eigenen Einrichtungen verbieten?"
Wir haben bessere Möglichkeiten", zeigt sich Hubert Connemann, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft (AG) katholischer Krankenhäuser in Hessen, überzeugt. Es werde in der aktuellen gesellschaftlichen Debatte immer als Fakt dargestellt, dass es eine humane Handlung sei, einem Menschen am Ende seines Lebens bei psychischen Leiden und physischen Schmerzen den Suizid zu ermöglichen, und dass eine Verweigerung solcher Hilfe inhuman sei. "Wir sagen demgegenüber, dass palliativmedizinische Maßnahmen, flankiert mit der nötigen Pflege und seelsorgerischer Begleitung, viel mehr den Bedarfen eines Menschen am Lebensende entgegenkommen und seiner Würde bis zuletzt gerechter werden."
Noch gibt es keine neue gesetzliche Regelung in Deutschland, um einen mit dieser höchsten Rechtsprechung konformen, verfassungsgemäßen und verlässlichen Rahmen zu schaffen. Die Frage, die mit dem neuen Gesetz beantwortet werden muss, ist einfach zu formulieren: Was geht, und was geht nicht? Doch nur wenige in der Politik trauen sich anscheinend nach dem Scheitern des letztjährigen diesbezüglichen Anlaufs, diese Frage erneut zügig und verbindlich zu beantworten. Das daraus resultierende Vakuum kann allerdings auch keine Dauerlösung sein, sorgt es doch oft für Unsicherheit und Diskussionen. Fakten hat inzwischen bereits der Deutsche Ärztetag geschaffen und das Verbot der ärztlichen Suizidbeihilfe aus der Berufsordnung gestrichen.
Kirche und Caritas lehnen Beihilfe zum Suizid ab
Doch heißt das, dass alle Ärztinnen und Ärzte und alle Pflegekräfte die Beihilfe zum Suizid auch übernehmen wollen und werden? Eine ablehnende Haltung zeichnet sich in Einrichtungen von Kirche und Caritas schon vielerorts deutlich ab. In einer Pressemitteilung des Deutschen Caritasverbandes (DCV) zu dem Thema formulierte Caritas-Präsident Peter Neher dementsprechend die Grundhaltung der Caritas, einen Suizid nicht unterstützen zu können. Es müsse möglich sein, "…als Seelsorger, als Medizinerin, als Pflegekraft oder als Einrichtung uneingeschränkt zum Lebensschutz zu stehen"1 .
Bevor es also tatsächlich erste konkrete Fälle von Patient(inn)en oder Betreuten gibt, die ihren Sterbewunsch unter den neuen Rahmenbedingungen artikulieren und dafür Hilfe erbeten, will man in den Einrichtungen natürlich grundsätzliche Entscheidungen darüber getroffen haben und erwartet in diesem Prozess der Klärung auch seitens der Träger-Organisationen Unterstützung. Die Kirche sieht sich bei diesem Thema vor allem durch die ethischen Aspekte herausgefordert. Der Caritas als unmittelbarer Trägerin von möglicherweise betroffenen Einrichtungen und als Akteurin in der sozialen Arbeit geht es zusätzlich auch darum, die konkreten Konsequenzen für ihre Mitarbeitenden zu erfassen, sollte jemand in einer Caritas-Einrichtung Assistenz beim Suizid einfordern. Es stellen sich für die Caritas unter anderem folgende Fragen:
◆ Müssen wir assistierten Suizid überhaupt zulassen oder können wir ihn in unserer Einrichtung womöglich kategorisch verbieten?
◆ Welche Rolle spielt das eigene Gewissen jedes/jeder Mitarbeitenden?
◆ Inwieweit ist in dieser Frage eine Einrichtung gegenüber ihren Mitarbeitenden weisungsbefugt?
◆ Müssen wir den Hausbesuch von Personen zulassen, die womöglich zur professionellen Assistenz bei Sterbewilligen bereit sind?
Um Antworten und - im zweiten Schritt - einvernehmliche Lösungen bemüht, strebt die bereits erwähnte Arbeitsgemeinschaft katholischer Krankenhäuser in Hessen momentan innerhalb der AG für die repräsentierten 18 Krankenhauseinrichtungen und darüber hinaus für die Gremien und die operativen Felder der Hessen-Caritas eine entsprechende Debatte an, um aus der Praxis heraus aussagekräftige Antworten zu erhalten. Mittelfristiges Ziel dabei ist es, nicht nur einen Konsens in der argumentativen Haltung der katholischen Krankenhäuser zu diesem Thema zu erzielen, sondern auch eine verbindliche Handlungsempfehlung im Kontext ethischer Werthaltungen der katholischen Kirche zu entwickeln.
Die Politik scheint ratlos
Die augenblickliche rechtliche Situation erfordert nicht zwingend eine gesetzliche Neuerung, und die politischen Entscheider(innen) scheinen - wie schon erwähnt - nach dem überraschenden Urteil in Karlsruhe noch ratlos zu sein, wie man zu einer neuen Lösung kommen könnte, die der Intention des verworfenen Gesetzes, das seit 2015 in Kraft war2 , dennoch gerecht würde. Der Fuldaer CDU-Bundestagsabgeordnete Michael Brand, einer der Autoren des vom Bundesverfassungsgericht zurückgewiesenen Gesetzesentwurfs, unterstreicht, worum es geht: Zum einen bedürfe es einer eindeutigen Abgrenzung zwischen der "Beihilfe zum Suizid" und der "Tötung auf Verlangen". Der Grad dazwischen, so Brand, sei allerdings sehr schmal.
Zum anderen bestehe, wie man in anderen Ländern mit entsprechenden gesetzlichen Regelungen zum assistierten Suizid sehe, die Gefahr einer gesellschaftlichen Gewöhnung und daraus resultierend sogar einer Erwartungshaltung, wann das Leben eines Menschen als nicht mehr weiter lebenswert bewertet wird.
Die Lösung wird in möglichst klaren Vorgaben gesehen
Genau dieser Aspekt ist auch aus Caritas-Sicht entscheidend: Ist es nicht zu befürchten, dass ohne einschränkende klare Verbote die Maßnahmen der Assistenz immer weiter gefasst würden? Insofern sieht man etwa bei der Landesarbeitsgemeinschaft katholischer Krankenhäuser in Hessen die Lösung des Dilemmas in möglichst klaren Vorgaben - auch zum Schutz der eigenen Mitarbeitenden, die sich bei fehlenden eindeutigen Rahmenvorgaben zur "Gestattung" und zum Prozedere eines assistierten Suizids womöglich zu Handlungen genötigt sähen, die sie persönlich eventuell eigentlich ablehnen. Eine solche Handreichung könne auch unabhängig vom zu erwartenden Gesetz erarbeitet werden; nach Einschätzung von Bundestagsabgeordneten Brand wird ein Gesetz ohnehin noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Im Übrigen, so Brand gegenüber Fuldaer Caritas-Vertreter(inne)n, unterstütze er das Ansinnen der Caritas, in den eigenen Kranken- und Pflegeeinrichtungen Suizidwünsche zwar als Zeichen höchster Not ernst zu nehmen, aber den betroffenen Menschen als Antwort andere Hilfen wie zum Beispiel palliative Begleitung sowie auch psychische und seelische Unterstützung zukommen zu lassen. Mehr noch: Nach seinem Ermessen wäre ein deutliches Signal aus Kirche und Caritas an die Politik - "Wir machen da mit unseren Einrichtungen nicht mit" - ein wichtiger Beitrag im Zuge des neuen Gesetzgebungsverfahrens. Klar ist: Suizidwünsche sterbenskranker oder alter, am Lebensende stehender Menschen sind verständliche Signale in persönlichen Notlagen und scheinbar aussichtslosen Lebenssituationen. "Sterben an der Hand, nicht durch die Hand eines anderen Menschen muss dabei als unabdingbare Leitlinie gelten", so Brand. Die gefährliche Entwicklung in Nachbarländern habe dramatisch vor Augen geführt, dass auch beim Thema Sterbehilfe Angebot Nachfrage schaffe und eine tödliche Dynamik in Gang setze.
Äußerungen von Sterbewünschen - das zeigt die Erfahrung aus der Palliativmedizin und aus der Hospizbegleitung - sind manchmal auch "nur" Momentaufnahmen der augenblicklichen Verfassung betroffener Personen. Insofern ist der weitere Ausbau der palliativen Angebote und die damit einhergehende größere menschliche Nähe und Begleitung womöglich tatsächlich die richtige Antwort, wenn Menschen erklären, sie wünschten sich Hilfe, um ihrem Leben ein Ende zu machen.
Anmerkungen
1. Pressemeldung des Deutschen Caritasverbandes vom 25. Mai 2021 (Kurzlink: https://bit.ly/3jFLiNo).
2. Siehe Ärzteblatt, Kurzlink: https://bit.ly/3niqNK3
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