Orts-Caritasverbände sind heute straffer organisiert
Vor rund fünf Jahren ist in einer bundesweiten Studie die Aufbaustruktur von Orts-Caritasverbänden (CV) auf der Basis ihrer Organigramme untersucht worden. In Auszügen wurden die Ergebnisse auch in der neuen caritas vorgestellt.1 In einer in den Jahren 2020/21 neu durchgeführten Studie wurde die Aufbauorganisation der CV nunmehr unter anderem mit denen der Arbeiterwohlfahrt verglichen.2 Die Teilergebnisse für die Caritas ermöglichen einen Vergleich dazu, welche Entwicklungen und Veränderungen in den Aufbaustrukturen der Ortsverbände seit der ersten Erhebung festgestellt werden können.
Für die aktuelle Studie konnten 101 Orts-Caritasverbände berücksichtigt werden. Als Grundlage der Erhebung dienten die jeweiligen Organigramme. Für die Einteilung nach Größe der Verbände wurde auf die Zahl (nach "Köpfen", nicht Vollzeitäquivalenten/VZÄ) der hauptamtlich beschäftigten Mitarbeitenden abgestellt.
Dabei wird im Falle von bis zu 400 Kräften von "bis zu mittelgroßen CV" ausgegangen, darüber hinaus von "größeren und großen". Ehrenamtlich beziehungsweise freiwillig Tätige flossen nicht in die Untersuchung ein (siehe Tabelle unten "Größenklassen").
Rund 30 Prozent der untersuchten CV waren große Verbände mit über 800 Mitarbeitenden, während die übrigen Größenklassen in etwa in gleicher Anzahl vertreten waren. Diese Verteilung entspricht derjenigen aus dem Jahr 2015 und ermöglicht somit Entwicklungsvergleiche.
An der Spitze der CV lassen sich kaum Veränderungen feststellen. Nach wie vor weist eine Mehrheit von über 52 Prozent (2015: 56,4 Prozent) genau eine Person an der Organisationsspitze aus.
Ein Wandel lässt sich hingegen bei den insgesamt im Organigramm ausgewiesenen Einheiten feststellen. Zwar liegt der Mittelwert bei rund 42 organisatorischen Einheiten und hat sich damit im Vergleich zu 2015 kaum verändert. Dies deutet auf stabile organisatorische Verhältnisse hin. Während aber die Streubreite um den Mittelwert, die Standardabweichung, vor fünf Jahren noch bei 21 Organisationseinheiten lag, ist der aktuelle Wert auf 15 zurückgegangen. Das heißt, es gibt weniger Ausreißer mit sehr geringen oder sehr hohen Anzahlen, was auf weniger kleinteilige und etwas stärker gebündelte Organisationsstrukturen schließen lässt. Der Wert der administrativen Einheiten, also derjenigen Organisationsbereiche, die im engeren Sinne keine direkte Hilfeleistung anbieten (zum Beispiel Verwaltung, Controlling oder Ähnliches), bleibt mit durchschnittlich rund 7,8 Einheiten nahezu unverändert. Nach wie vor sind es die als mittlere definierten CV, die relativ gesehen viele administrative Organisationseinheiten aufführen. Tendenziell spricht dies für einen gewissen Hang zur Überorganisation.
Eine bedeutende Größe ist die Führungsspanne
Der allgemeine Organisationsaufbau hat unmittelbare Auswirkungen auf die durch den Vorstand zu leistende Steuerungskomplexität und nicht zuletzt auf die (Gehalts-)Kosten für den sogenannten Overhead. Eine bedeutende Größe ist in diesem Kontext die Leitungsbeziehungsweise Führungsspanne. Diese beschreibt die Anzahl von Stellen, die einer Linienstelle direkt zugeordnet ist. Mit der Leitungsspanne des Vorstands wird dabei zum einen die Anzahl der Leitungsstellen auf der zweiten Hierarchieebene ("Abteilungsleitungen") benannt, zum anderen umfasst der Wert auch Stabsstellen als spezialisierte Leitungshilfsstellen.
Etwa 75 Prozent aller Vorstände arbeiten mit einer Leitungsspanne von bis zu zehn und knapp 80 Prozent der Vorstände mit bis zu elf direkt unterstellten Positionen. Der Wert liegt damit jeweils um eins höher als vor fünf Jahren. Die Größe der Leitungsspanne ist dabei unterschiedlich stark abhängig von mehreren Merkmalen, wie zum Beispiel der Anzahl der administrativen Einheiten, der Ausgestaltung des Personalwesens und der Anzahl der ausgewiesenen Beteiligungen/Tochterunternehmen
Es ist davon auszugehen, dass es sich vor allem bei den Abteilungsleitungen um Positionen mit hoher Eigenverantwortlichkeit handelt. Die komplexen Koordinierungsaufgaben auf Vorstandsebene werden somit durch die Abteilungsleitungen reduziert. Der leichte Anstieg der Leitungsspanne des Vorstandes kann teilweise im Lichte der Entwicklung des Merkmals "Stabsstelle beim Vorstand" erklärt werden. Über 82 Prozent der Vorstandspositionen sind aktuell sogenannte "Stabsstellen" zugeordnet, während der Wert vor fünf Jahren noch bei rund 66 Prozent lag. Das Argument der Komplexitätsreduktion gilt für die Stabsstellen nur insofern, als es sich inhaltlich nicht um verkappte Linienstellen handelt, was ein Blick auf deren inhaltliche Ausgestaltung zum Teil aber durchaus nahelegt.
Eine ähnlich gelagerte Themenstellung wird mit der Frage nach der Größe von Abteilungen aufgegriffen. Unabhängig von der tatsächlichen Benennung wird mit "Abteilung" die zweite Hierarchieebene bezeichnet, also diejenige, die der Vorstandsebene direkt unterstellt ist. Die Studie erfasst diejenige Abteilung je Ortsverband, der die größte Anzahl von Diensten und Einrichtungen zugeordnet ist, mithin also die größte Abteilung. Dieser Wert entspricht zugleich der maximalen Leitungsspanne einer Abteilungsleitung des betreffenden CV. Im Mittelwert ist nur ein geringer Anstieg von rund 0,5 Einrichtungen/Diensten zu verzeichnen. Betrachtet man indessen die kumulierten Prozente, dann hat eine beachtliche Verschiebung stattgefunden. Während vor fünf Jahren bei 75 Prozent der CV die größte Abteilung maximal neun Einrichtungen/Dienste umfasste, liegt der aktuelle Wert bei nur noch 65 Prozent. In die Praxis übersetzt folgt daraus, dass ohnehin schon große Abteilungen eher noch weiter gewachsen sind. Auch wenn die Abteilungsleitungen zum Teil selbst in Personalunion den Einrichtungen/Diensten vorstehen und insofern keine Führungsarbeit zu leisten ist, so verbleibt doch ein hoher Koordinationsaufwand, der auf dieser Ebene gestiegen ist.
"Migration" ist ein stark gewachsenes Arbeitsfeld
Eine auffällige Veränderung ist für das Merkmal "Interkulturelles, Migration, Flüchtlinge" festzustellen. Über 82 Prozent der CV weisen heute eine explizite Organisationseinheit für diesen Bereich aus, während der Wert im Jahr 2015, noch ohne die Effekte der "Flüchtlingskrise", bei rund 62 Prozent lag. Die durch die[1]se "Krise" angeschobenen Hilfeleistungen führten offenbar zu einer auch institutionellen Verstetigung der Hilfen. Bemerkenswert ist an dieser Stelle der zwar schwache, aber klare statistische Zusammenhang zwischen der Existenz einer Einheit "Interkulturelles, Migration, Flüchtlinge" und einer Organisationseinheit für "Öffentlichkeitsarbeit/Public Relations" und "Fundraising im weiteren Sinne".
Der Anteil derjenigen CV, die in ihren Organigrammen ausdrücklich eine Stelle für im weiteren Sinne Freiwilligenmanagement aufführen, ist ebenfalls angestiegen und beträgt circa 41 Prozent. Jedoch weist damit nach wie vor eine sehr deutliche Mehrheit der CV eine solche Position nicht auf. Weiterhin kann daher davon ausgegangen werden, dass typische Managementfunktionen, die für jede Art von Personalkategorie zu leisten sind, für Freiwillige offenbar in den fachlich zuständigen Einsatzbereichen wahrgenommen werden.
Das Thema "Qualitätsmanagement" war vor fünf Jahren überraschenderweise in institutionalisierter Form mehrheitlich nicht in den untersuchten CV verankert. Hier lässt sich ein Wandel feststellen. Bei immerhin nunmehr 53 Prozent der CV wird eine solche Stelle ausgewiesen. Angesichts der Präsenz des Themas ein gleichwohl noch immer geringer Anteil. Hinzu kommen eine Reihe von bemerkenswerten Zusammenhängen von Qualitätsmanagement zu anderen untersuchten Organisationseinheiten. Beispielsweise lassen sich zu "Öffentlichkeitsarbeit/ Public Relations" und "Controlling" statistisch signifikante Zusammenhänge in der Form feststellen, dass - ohne hier auf die Gründe eingehen zu können - Caritasverbände mit QM-Bereichen eher auch Bereiche für "Öffentlichkeitsarbeit" und "Controlling" einrichten.
Im Jahr 2015 konnte noch festgestellt werden, dass "Controlling" in den CV inzwischen angekommen ist. Über 47 Prozent wiesen damals eine solche Einheit in ihren Organigrammen aus und damit mehr als für das "Qualitätsmanagement". Diese Entwicklung hat sich fortgesetzt. Mittlerweile führen 65 Prozent eine Organisationseinheit "Controlling" in ihren Organigrammen auf. Damit sind es immer noch mehr als für den Bereich (sozial-fachliches) "Qualitätsmanagement", wenn auch nicht mehr so ausgeprägt wie noch vor fünf Jahren. Anders betrachtet sieht aber knapp ein Drittel der Caritasverbände eine explizite Controllingstelle als entbehrlich an, so dass sich die Frage stellt, wie beziehungsweise auf welche (alternative) Weise dieser Funktion nachgekommen wird. Zu vermuten ist, dass versucht wird, die Controllingfunktion unmittelbar aufgrund der Daten aus der Finanzbuchhaltung "mit wahrzunehmen". Nur wenig andere Variablen weisen mit so vielen anderen einen statistischen Zusammenhang auf wie das Controlling. Beispielsweise bestehen zu "Größe des CV", "Qualitätsmanagement" und "Anzahl der Vorstände" ausgeprägte Zusammenhänge.
Stellvertretend für eine Gruppe innovativer Organisationseinheiten mit stärkerer Außenorientierung steht der Bereich "Service für Unternehmen/Corporate Social Responsibility (CSR)". CSR ist eine Entwicklung, die der Gesamtverband mit der Einrichtung des CSR-Kompetenzzentrums aufgegriffen hat, die gleichwohl in den Ortsverbänden kaum institutionell verankert ist. CSR-Einheiten sind Einzelerscheinungen und lassen sich nur in fünf Prozent der lokalen Verbände nachweisen. Analoges gilt für weitere Bereiche mit Außenorientierung, wie zum Beispiel der Abteilung "Innovationsmanagement".
Ein heterogenes Feld mit veränderlicher Tendenz
Auch die aktuellen Studienergebnisse spiegeln ein hohes Maß an Heterogenität unter den Ortsverbänden wider. Gleichwohl lassen sich Tendenzen und Veränderungen erkennen:
◆ Insgesamt wurde die Aufbauorganisation straffer und übersichtlicher, mithin professioneller.
◆ Sogenannte Matrix-Organisationen gewinnen an Bedeutung.
◆ Mittelgroße CV weisen einen Hang zur Bürokratisierung auf.
◆ Bei mehreren genannten Vorständen sind deren Zuständigkeitsbereiche in der Regel auch klar dem Organigramm zu entnehmen.
◆ Zunehmend werden "Abteilungen" als "Geschäftsfelder" bezeichnet.
◆ Der Bereich "Personal" ist öfter auf der zweiten Hierarchieebene verankert.
◆ Das Thema Migration/Flucht ist organisatorisch in den CV sehr viel sichtbarer geworden.
◆ Die Strukturen weisen eher eine Innen- als eine Außenorientierung auf.
◆ Neuere inhaltliche Bereiche wie "Innovationsmanagement" oder "Digitalisierung" existieren zwar, sind aber selten.
Eine erhebliche Anzahl der untersuchten Ortsverbände weist aus Sicht des Verfassers bemerkenswert gut und wenig gut gelungene Organisationsversionen auf. Beide Versionen bergen für die Ortsverbände insgesamt gleichwohl ein erhebliches Lern- und Entwicklungspotenzial. Ein systematischer Vergleich und Austausch ("Best Practice") drängt sich nahezu auf und wäre verhältnismäßig leicht zu bewerkstelligen.
Anmerkungen
1. Mross, M.: Die Caritas-Ortsverbände - heterogen und selbstständig, In: neue caritas Heft 19/2016, S. 26-29
2. Mross, M.: Caritas und Organisation. Untersuchung der Aufbauorganisation von Caritasverbänden. Studienbericht. Leipzig, 2021
Ganztagsbetreuung: viele Fragen
„Wir haben bessere Möglichkeiten“
Alle Wünsche erfüllt?
Vorrang für Gemeinnützigkeit
Kein Ausstieg aus der Gemeinnützigkeit
So urteilt der Bundesfinanzhof
Caritas-Rechtsträger: Mobiles Arbeiten wird immer beliebter
Hinterlassen Sie einen Kommentar zum Thema
Danke für Ihren Kommentar!
Ups...
Ein Fehler ist aufgetreten. Bitte laden Sie die Seite erneut und wiederholen Sie den Vorgang.
{{Reply.Name}} antwortet
{{Reply.Text}}