Nur sechs Prozent Beratungseinbruch im Coronajahr 2020
Die Coronapandemie hat 2020 den Alltag in Deutschland bestimmt - im ganz persönlichen, privaten wie auch im beruflichen Leben. Auch die katholischen Schwangerschaftsberatungsstellen von Caritas und Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) waren mit ungewöhnlichen Bedingungen konfrontiert: mit Kontaktverboten, Quarantäne, Ausgangsbeschränkungen, wechselnden Maßnahmen zum Unterbrechen und Vermeiden von Infektionsketten, der notwendigen Erstellung von Hygiene- und Schutzkonzepten, mit Shift-Arbeitsplänen und noch vielem mehr. Immer wieder waren Entscheidungen zu treffen, wie und unter welchen Bedingungen Beratung stattfinden konnte - in Präsenz mit entsprechenden Schutzmaßnahmen, als Telefon[1]oder Online-Beratung oder an der frischen Luft in Form von Beratungsspaziergängen. In vielen der Beratungsstellen konnten gute Homeoffice-Regelungen getroffen werden, andere beschlossen, grundsätzlich - mit konkreter Terminvergabe - zu öffnen.
Den Beratungsstellen war es ab dem ersten Lockdown im März 2020 ein großes Anliegen, trotz aller Erschwernisse weiter für ihre Ratsuchenden da zu sein. Denn eine Schwangerschaftsberatung lässt sich nicht auf unbestimmte Zeit verschieben. Die Hilfe muss ankommen, bevor das Baby da ist.
Online-Beratung im Aufwind
Im Jahr 2020 wandten sich 103.326 Ratsuchende an die katholischen Schwangerschaftsberatungsstellen, rund 7000 weniger als im Jahr zuvor. Dieser Rückgang um lediglich sechs Prozent der Inanspruchnahme 2019 belegt, dass das Engagement der Schwangerschaftsberater(innen), die Beratung trotz Lockdownphasen und pandemiebedingtem Krisenmodus sicherzustellen, erfolgreich war.
Über das Beratungsportal der Caritas wurde 4525 Ratsuchenden im Jahr 2020 per Mailberatung geholfen. Dabei handelt es sich um Ratsuchende, die über Suchmaschinen zur Online-Beratung Kontakt aufgenommen hatten, außerdem um Ratsuchende, die über die Präsenzberatung oder über einen Telefonkontakt mit einer Beraterin vor Ort zu weiteren Kontakten in die Online-Beratung gelotst wurden.
Existenzsorgen für Schwangere und ihre Familien
Über viele Monate hinweg haben wir alle erfahren, was es bedeutet, mit Einschränkungen und sich immer wieder ändernden Regelungen zu leben - bei gleichzeitiger Unsicherheit, wann sich die Situation wieder normalisieren wird.
Die parallele Bewältigung von Homeoffice, Homeschooling und fehlender Kinderbetreuung - bei mangelnden Freizeitmöglichkeiten außerhalb des häuslichen Kontextes - stellte für viele Ratsuchende der Schwangerschaftsberatung eine Überforderung dar. Alle Familienmitglieder gleichzeitig zu Hause bei beengten Wohnverhältnissen: Das bedeutet noch einmal mehr Verlust von Rückzugsräumen und kann schnell zu Anspannung und zu innerfamiliären Konflikten führen. Hinzu kommen steigende Haushaltskosten, wenn Angebote kostenfreien Mittagessens in den Schulen und/oder Kitas entfallen.
Arbeitsplatzverluste gerade auch bei Minijobs, befristete Arbeitsverhältnisse, die nicht verlängert werden, Kurzarbeit im Niedriglohnbereich (zum Beispiel Gastronomie, Hotelgewerbe, Einzelhandel) bedingen Existenzängste. Damit verbunden ist dann teilweise auch Angst vor Wohnraumverlust. Kreditschulden können nicht mehr abgezahlt, aber auch laufende Kosten nicht mehr beglichen werden, wenn die finanziellen Reserven aufgebraucht sind. Die Themen finanzielle Absicherung (zum Beispiel Elterngeld bei Kurzarbeit) und sozialrechtliche Ansprüche (zum Beispiel nach Insolvenz des Arbeitgebers während des Mutterschutzes), mutterschutzrechtliche Bestimmungen aufgrund von pandemiebedingtem Beschäftigungsverbot sind stark in den Vordergrund der Beratung gerückt und haben oft die Schwangerschaft überschattet.1
Ein hohes Konfliktpotenzial bot die nicht gegebene oder sehr schlechte Erreichbarkeit von Ämtern und Behörden wie zum Beispiel Jobcentern, Familienkassen oder dem Ausländeramt, sowohl für Ratsuchende als auch für Berater(innen). Probleme bei der Bewilligung konnten nicht zeitnah geklärt, Ansprüche nicht geltend gemacht werden. Dadurch entstandene lange Bearbeitungszeiten erhöhten massiv den Druck - gerade, wenn die Sicherung der Existenz damit verknüpft war.
Ratsuchenden mit ausländischer Staatsbürgerschaft war wegen Corona die Beschaffung von Nachweisen aus dem Herkunftsland besonders erschwert. Abgelaufene Aufenthaltstitel, nicht ausgestellte Dokumente wie zum Beispiel Geburtsurkunden oder nicht bewilligte Leistungen verzögerten die Bearbeitung von Anträgen, die diese Belege oder Bescheide voraussetzen. Es entstanden Kettenreaktionen, die finanzielle Not produzierten.
Überforderung, physische und psychische Erschöpfung wurden immer wieder von Ratsuchenden in der Schwangerschaftsberatung benannt. In einzelnen Familien kam es zu Krisensituationen, manchmal auch in Verbindung mit häuslicher Gewalt.
Belastungen bei der Geburt
Für Schwangere haben sich die Vorbereitung auf die Geburt sowie die Geburt selbst unter Pandemiebedingungen als sehr belastend dargestellt. Die Verpflichtung in manchen Kliniken, während der Geburt eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen, wurde als einschränkend empfunden. In einigen Krankenhäusern blieb bis zuletzt unklar, ob der Partner oder eine Vertrauensperson an der Geburt teilnehmen durfte. Dies war letztlich nicht immer möglich. Auch der Kontakt des Vaters zu Mutter und Kind war gerade in der allerersten Bindungsphase in den Tagen nach der Geburt nur sehr eingeschränkt möglich.
Einsamkeit, Isolation und Rückzug wurden für einen Teil der Ratsuchenden zum ständigen Begleiter während der Schwangerschaft und nach der Geburt.
Geburtsvorbereitende Kurse fanden unzureichend statt. Arztbesuche konnten nur allein wahrgenommen werden. Ein wesentliches Standbein der Schwangerschaftsberatung sind präventiv angelegte Unterstützungsangebote. Viele Gruppenangebote wie Elterntreffs, Mutter-Kind-Gruppen etc. konnten nicht in Präsenz stattfinden. Digitale Konzepte existierten jedoch vielerorts in den ersten Monaten des Jahres 2020 nicht. Das Wegbrechen dieser wichtigen Angebotsstruktur wurde sowohl von Berater(inne)n als auch Ratsuchenden als schmerzlich empfunden.
Für Schwangere war es durch den Lockdown schwierig, kostengünstig Babyausstattung zu erhalten. Flohmärkte, Secondhandläden, Babybasare, Sozialkaufhäuser waren geschlossen.
Digital-analoge Schwangerschaftsberatung hat Stärken und Grenzen
Schwangerschaftsberater(innen) haben 2020 vielfältige Erfahrungen in "blended", also in hybrid digital-analog geführten Beratungsprozessen gesammelt. Es zeigten sich positive Effekte, aber auch Grenzen:
Bestimmte Zielgruppen konnten digital schwerer erreicht werden. Für Ratsuchende, die nur bruchstückhaft oder gar nicht Deutsch sprechen, ist der Zugang zur Beratung per Telefon oder Online-Beratung hochschwellig, wenn die Mehrsprachigkeit nicht gewährleistet, die Beratung dann mühsam und zeitaufwendiger ist. Gleichwohl gibt es zunehmend Ratsuchende, die völlig souverän und selbstverständlich digitale Übersetzungshilfen nutzen.
Online-Beratung folgt (teilweise) einer anderen Taktung und Dynamik als Präsenzberatung: Sie erfolgt eher "kürzer und öfter, aber trotzdem substanziell".
Berater(innen) sind gefordert, Präsenz- und Online-Beratung zusammenzudenken und sie in ihren Organisationseinheiten konkret abzubilden. Blended Counseling (digital-analog gemischte Beratung) bedarf gesicherter Rahmenbedingungen und ausreichender Zeitressourcen.
Für Berater(innen), die Präsenzberatung gewohnt sind, ist der Aufbau eines Vertrauensverhältnisses bei der Telefon- und Online-Beratung gefühlt schwieriger zu gestalten. Frauen, die die Beraterin bereits aus persönlichen oder visuellen Kontakten kannten, fiel es leichter, ein anderes Beratungsmedium zu nutzen.
Es gab aber auch Ratsuchende, denen es gerade nicht "Face to Face", sondern in der Anonymität der Telefon- oder Online-Beratung besser gelang, sich über persönliche Dinge zu äußern. In der Online-Beratung mit ihrem niedrigschwelligen Zugang wurde die Erfahrung gemacht, dass durchaus sensible Themen wie zum Beispiel sexuelle und häusliche Gewalt, Schwangerschafts- und Partnerschaftskonflikte, Kinderwunsch oder Verhütungsfragen von den Ratsuchenden angesprochen werden. Es ist ein nicht unerheblicher Vorteil der Online-Beratung, dass Ratsuchende in ihrem Schutzraum verbleiben und sehr selbstbestimmt entscheiden können, was sie von sich preisgeben und wie sie sich präsentieren.
Einige Beratungsstellen haben gute Erfahrungen mit der Video-Beratung gemacht. Sie bezieht die am Telefon oder in der Online-Beratung nicht sichtbaren nonverbalen Äußerungen, Mimik und Gestik mit ein. Paare können gemeinsam teilnehmen, Dolmetscher(innen) problemlos zugeschaltet werden. Teilweise präsentieren sich muslimische Frauen, die im häuslichen Bereich kein Kopftuch tragen, im Gespräch mit der Beraterin als Frau völlig neu und erweisen sich aufgeschlossener als in der Beratungsstelle.
Lektion begriffen - nun braucht es ein neues Austarieren
Es ist sehr erfreulich, dass der Verband der Diözesen Deutschlands auf Antrag des SkF einen bundesweiten Zugang zur Videotelefonie über das Online-Beratungsportal der Caritas finanziell unterstützt hat, so dass dieses Tool 2021 programmiert werden konnte. Nach Abschluss der Datenschutzfolgenabschätzung wird es freigeschaltet werden. Die modulare Konzeption der Beratungssoftware in Open Source3 hat in dieser Gemeinschaftsaktion ihre Stärke gezeigt.
Die Schwangerschaftsberater(innen) haben mit viel Engagement gezeigt, dass das Caritas-Motto "Nah bei den Menschen sein" auch in Krisenzeiten und unter ungewöhnlichen Bedingungen umgesetzt wird. Hierfür ist allen Berater(inne)n ein Dankeschön und Bravo auszusprechen!
Digital erscheint fast normal: Beratung digital, Teamsitzungen digital, Fortbildungen und Konferenzen digital - sich selbstverständlich per Video zu sehen und zu erfahren, dass Arbeitsprozesse dabei zielführend laufen können, das ist eine Erfahrung, die wir auch in die Zukunft tragen werden.
Nichtsdestotrotz bedarf es wahrscheinlich einer guten Balance zwischen analogen und digitalen Kontakten, um sich selbst und ein Gegenüber ganzheitlich wahrnehmen und erleben zu können. Noch ist Blended Counseling ein schillerndes Beratungsmodell: An vielen Orten wird es bereits in der Praxis gelebt. Da sich dadurch aber Beratung grundständig verändert, bedarf es der weiteren Auseinandersetzung auf allen Ebenen der verbandlichen Caritas mit diesem Modell. Neben einem veränderten Beratungsverständnis gilt es viele Punkte zu klären, die die Organisationen betreffen - angefangen von den Rahmenbedingungen und der Sicherstellung der digitalen Ausstattung bis hin zur Haltungsfrage, wie Beratung heute und zukünftig verstanden und umgesetzt wird.
Corona-Schutzmaßnahmen haben einerseits bei Ratsuchenden zu Isolation und Vereinzelung geführt. Andererseits konnten Fachkräfte die Vor- und Nachteile von mobilem Arbeiten oder Shiftarbeitsplänen kennenlernen. Wie viel persönlicher Kontakt und in Präsenz erlebtes Team notwendig sind, um sich als Einzelne(r) als kraftvoll zu erfahren, dies wird in den kommenden Monaten auszutarieren sein.
Anmerkungen
1. Download unter: www.caritas.de/fuerprofis/fachthemen/familie/
2. Der DCV hat seine Armutswochen 2020 der Frage der Überschuldung gewidmet und damit eines der zentralen Themen verbandlich und politisch breit aufgegriffen.
3. Der Code von Open-Source-Software ist nicht als Betriebsgeheimnis verborgen, sondern kann von allen dafür kompetenten Personen bearbeitet werden. Das erleichtert eine Erweiterung um Funktionalitäten, die im Laufe der Anwendungszeit neu gewünscht werden und die ursprüngliche Software ergänzen.
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