So urteilt der Bundesfinanzhof
Lässt man die beiden Jahre 2020 und 2021 aus gemeinnützigkeitsrechtlicher Sicht Revue passieren, dann sollte man neben der im Rahmen des Jahressteuergesetzes 2020 verabschiedeten Reform des Gemeinnützigkeitsrechts1 auch einen Blick auf einige vom Bundesfinanzhof (BFH) veröffentlichten Urteile zu diesem Thema werfen.
1) Integrationsprojekt als Zweckbetrieb (BFH-Urteil vom 27. Februar 2020, Az. V R 10/18 )
In diesem Fall haben ein Finanzamt in Niedersachsen und ein gemeinnütziger Verein über die richtige Berechnung der Beschäftigungsquote eines Zweckbetriebs und damit über die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes in einem Integrationsprojekt gestritten. Der gemeinnützige Verein war im Jahr 2005 Alleingesellschafter einer ebenfalls gemeinnützigen gGmbH. Zwischen dem Verein und der gGmbH wurde eine umsatzsteuerliche Organschaft unterstellt. Der Verein betrieb eine Werkstatt für Menschen mit Behinderung. Die gGmbH unterhielt ein Integrationsprojekt. Schwerbehinderte Mitarbeitende der Werkstatt waren im Rahmen des Integrationsprojekts bei der gGmbH tätig. Der Verein war der Auffassung, dass er die in dem Integrationsprojekt ausgeführten Umsätze mit dem ermäßigten Steuersatz versteuern könne. Die in seiner Werkstatt Beschäftigten seien bei der Ermittlung der Beschäftigungsquote des Zweckbetriebs zu berücksichtigen. Denn im Rahmen des Integrationsprojekts sei versucht worden, den schwerbehinderten Mitarbeitenden der Werkstatt eine niedrigschwellige Ausbildung zu ermöglichen. Es handele sich um ausgelagerte Arbeitsplätze, die bei dem Arbeitgeber zu berücksichtigen seien, bei dem sich der ausgelagerte Arbeitsplatz befände - also bei der gGmbH.
Das Finanzamt ging hingegen davon aus, dass die gGmbH die für einen Zweckbetrieb nach § 68 Nr. 3 Buchstabe c Abgabenordnung (AO) erforderliche Beschäftigungsquote nicht erreicht habe. Nach Ansicht des Finanzamts könnten die Beschäftigten aus der Werkstatt des Vereins nicht berücksichtigt werden, da sie nicht über Anstellungsverträge mit der gGmbH verfügen würden und daher keine Betriebsbeschäftigten gewesen seien. Das Finanzamt wendete deshalb den Regelsteuersatz an.
Der Bundesfinanzhof (BFH) hat entschieden, dass bei der Berechnung der Beschäftigungsquote des Zweckbetriebs "Integrationsprojekt" auch Arbeitnehmer(innen) einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) zu berücksichtigen sind, die auf sogenannten ausgelagerten Arbeitsplätzen in einem Integrationsprojekt beschäftigt sind. Das Finanzamt und das Finanzgericht haben bei ihrer Entscheidung nicht hinreichend berücksichtigt, dass eine umsatzsteuerrechtliche Organschaft dazu führt, dass die im Inland gelegenen Unternehmensteile des Organkreises als ein Unternehmen zu behandeln sind. Besteht also zwischen den Beteiligten eine Organgesellschaft, sind die Angehörigen der vom Verein betriebenen Werkstatt bei der Ermittlung der Beschäftigungsquote des Integrationsprojekts, das von der Organgesellschaft betrieben wird, mit einzubeziehen. Der Einsatz von Menschen mit Schwerbehinderung in einem Integrationsprojekt führt allerdings nicht nur zu einer Erhöhung der Anzahl der dort mit Schwerbehinderung Beschäftigten, sondern auch zu einer Erhöhung der Gesamtzahl der dort Beschäftigten. Eine Anrechnung, wie sie der Verein befürwortet, müsste sich daher auch auf die Gesamtzahl der Beschäftigten beziehen.2 Fraglich bleibt bei der Entscheidung des BFH, warum dieser für die Quotenberechnung fordert, dass nur Beschäftigte angerechnet werden können, die über einen "Anstellungsvertrag" bei der WfbM verfügen. Die Mehrheit der Menschen mit Behinderungen stehen zu ihrer WfbM typischerweise in einem arbeitnehmerähnlichen Rechtsverhältnis, begründen also keinen "eigenen" Anstellungsvertrag bei der WfbM. Auch widerspricht ein solches Verständnis dem Grundgedanken des § 219 Abs. 1 Satz 5 SGB IX, der WfbM dazu verpflichtet, zum Zwecke des Übergangs auf den allgemeinen Arbeitsmarkt auch sogenannte "ausgelagerte Arbeitsplätze" anzubieten.
2) Satzungsänderung bei Gemeinnützigkeit (BFH-Urteil vom 23. Juli 2021, Az. V R 40/18)
Besondere Vorsicht ist stets geboten, wenn gemeinnützige Körperschaften Änderungen an ihren Satzungen vornehmen. Diese Änderungen können gemäß § 60 a Abs. 4 AO schnell zu einer Aufhebung des Feststellungsbescheids führen. Der BFH hat in seinem Urteil V R 40/18 entschieden, dass eine Änderung bei den für die Feststellung der satzungsmäßigen Voraussetzungen nach § 60 a AO erheblichen Verhältnissen erst mit der Eintragung in das Vereinsregister eintritt. Eine Aufhebung des Feststellungsbescheids kommt mit Wirkung auf den Eintragungszeitpunkt in Betracht. So hatte ein gemeinnütziger Verein bereits am 2. September 2014 eine Satzungsänderung beschlossen, die am 26. Januar 2015 in das Vereinsregister eingetragen wurde. Nachdem das Finanzamt von der Satzungsänderung Kenntnis erlangt hatte, hob es den Bescheid des klagenden gemeinnützigen Vereins bereits mit Wirkung ab 2. September 2014 auf. Der Kläger war der Auffassung, dass die Aufhebung des Feststellungsbescheides frühestens mit der Eintragung der Satzungsänderung in das Handelsregister zulässig gewesen wäre, da sie vorher weder im Innen- noch im Außenverhältnis Wirkung entfaltet habe. Nachdem der Kläger im Einspruchsverfahren und erstinstanzlich vor dem Finanzgericht Berlin-Brandenburg scheiterte, gab der BFH ihm recht. Bis zur vereinsrechtlichen Wirksamkeit einer Satzungsänderung Eintrag in das Vereinsregister) ist der bisherige gemeinnützige Handlungsrahmen gültig. In seiner Urteilsbegründung stellte der BFH maßgeblich darauf ab, dass es bei der Beurteilung einer Änderung der für die Feststellung erheblichen Verhältnisse aufgrund einer Satzungsänderung maßgeblich auf das zivilrechtliche Inkrafttreten ankomme. Eine zivilrechtlich noch nicht wirksame Satzungsänderung sei zwar angebahnt, aber noch nicht eingetreten. Daher bildet bis zum Inkrafttreten der neuen Satzung weiterhin die frühere Satzung den nach § 63 Abs. 1 AO auch gemeinnützigkeitsrechtlich bedeutsamen Handlungsrahmen für die tatsächliche Geschäftsführung der Körperschaft. Das Urteil zeigt, dass gemeinnützigen Körperschaften ab Beschlussfassung bis zur Eintragung der avisierten Satzungsänderung die Möglichkeit verbleibt, eventuelle Nachteile im Hinblick auf die Gemeinnützigkeit abzuwenden.3
3) Zur Steuerbefreiung von eng mit der Sozialfürsorge verbundenen Dienstleistungen im Rettungsdienst (BFH-Urteil vom 24. Februar 2021, Az. XI R 32/20 (XI R 42/19))
Streitig war, ob die von dem klagenden Verband durchgeführte Abrechnung von Krankentransport und Notfallrettung gegenüber den Sozialleistungsträgern für fremde Leistungserbringer der Umsatzsteuer unter[1]liegt. Der als gemeinnützig anerkannte Verband der freien Wohlfahrtspflege ist als Leistungserbringer im öffentlichen Rettungsdienst tätig. Träger des öffentlichen Rettungsdienstes ist der örtliche Landkreis A. Dieser hatte die Durchführung des Rettungsdienstes vertraglich auf vier private Leistungserbringer übertragen. Ab 2012 verlangten die Sozialleistungsträger, dass aus Kostengründen in jedem Landkreis nur eine Abrechnungsstelle vorgehalten wird. Vor diesem Hintergrund wurde zwischen dem Landkreis und den privaten Leistungserbringern vereinbart, dass der klagende Verband die Abrechnungen der Einsätze für vier andere Leistungserbringer in den Bereichen Rettungsdienst und Krankentransport gegenüber den Kostenträgern vornehmen soll.
Das verklagte örtliche Finanzamt vertrat die Auffassung, der Betrieb der Abrechnungsstelle stelle eine gesondert zu beurteilende selbstständige wirtschaftliche Tätigkeit dar, die die Voraussetzungen eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs nach § 14 AO erfülle und kein Zweckbetrieb i. S. der §§ 66 und 65 AO sei. Das Finanzgericht folgte dem Finanzamt und wies die Klage ab. Nach Ansicht des BFH sind dagegen auch für die übrigen vier Leistungserbringer die erbrachten Abrechnungsleistungen jedenfalls nach Art. 132 Abs. 1 Buchstabe g Mehrwertsteuersystemrichtlinie (MwStSystRL) steuerbefreit. Um das Merkmal "eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbunden" i. S. des Art. 132 Abs. 1 Buchstabe g MwStSystRL zu erfüllen, muss die Leistung jedenfalls für die der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit unterfallenden Umsätze "unerlässlich" sein. Das ist hier der Fall. Nur auf Geheiß der Sozialleistungsträger hatte es der klagende Verband übernommen, Leistungen auch für dritte Leistungserbringer abzurechnen. Auch hängt nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) "Finanzamt D" (EU:C:2020:811) die Steuerbefreiung von Dienstleistungen nicht mehr davon ab, an "wen" sie erbracht werden. Sie müssen lediglich einen für die Durchführung der Maßnahmen der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit unerlässlichen Schritt darstellen.
Bemerkenswert ist, dass der BFH bisher davon ausgegangen ist, dass Leistungen schon dann nicht als eng mit der Sozialfürsorge verbunden anzusehen seien, wenn sie nicht unmittelbar gegenüber dem Hilfsbedürftigen, sondern an einen Unternehmer erbracht werden, der sie benötigt, um seine eigene steuerbefreite Ausgangsleistung an den/der jeweiligen Patienten/ Patientin oder Hilfsbedürftigen zu erbringen. Dementsprechend wurde der Transport von Notärzt(inn)en (als Leistung gegenüber dem Arzt und nicht gegenüber dem Patienten) bisher nicht als steuerbefreit beurteilt (BFH vom 1. Dezember 2020, XI R 46/08, BFH/NV 202011, 712). An dieser engen Auffassung hält der BFH nach dem vorgenannten EuGH-Urteil nun nicht mehr fest.4
Anmerkungen
1. Vgl. hierzu auch Millies, H. J.: Gemeinnützigkeitsrecht: Mehr Handlungsspielraum. In: neue caritas Heft 1/2021, S. 5; Seeger, A.; Kurz, T.; Grummann, S.; Roller, F.; Imberg, A.: Die Reform des Gemeinnützigkeitsrechts JStG 2020. NWB Verlag, 1. Auflage 2021.
2. Ritter, G.: Fachbeitrag zu BFH zum Integrationsprojekt als Zweckbetrieb und zur umsatzsteuerlichen Organschaft. In: IWW-Informationsdienst vom 21.12.2020.
3. Fassbender, A. T.: Satzungsänderung bei Gemeinnützigkeit. In: ckks-Bulletin vom 24.11.2020.
4. Dürr, U.: Umsatzsteuerbefreiung für die Abrechnung von Krankentransporten. In: Haufe-News vom 21.06.2021.
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