Wenn Papa im Gefängnis sitzt
Alles andere als normal. So kann Sozialarbeit in der Coronapandemie zusammengefasst werden. Das merkte auch Monika Fröwis, die für den SKM - Katholischer Verein für soziale Dienste in der Stadt Freiburg Angehörige von Straffälligen betreut.
Normalerweise bietet der SKM in Freiburg monatliche Austauschtreffen für Betroffene, meist Mütter und ihre Kinder, an. Mit den einsetzenden Corona-Regeln musste sich der Sozialdienst aber Alternativen überlegen, "um das Ganze irgendwie am Leben zu halten - und damit die Familien nicht das Gefühl haben, dass sie komplett vergessen werden", sagte Monika Fröwis. So startete sie Anfang des Jahres die Aktion "Corona-Pakete". Seitdem besucht die Sozialarbeiterin einmal im Monat die Familien und bringt ihnen Carepakete vorbei. Diese bestehen aus haltbaren Lebensmitteln wie Nudeln, Soßen oder Reis sowie Spiel- und Malsachen für die Kinder. Durch die mit dem Ausliefern verbundenen Hausbesuche bekommt Fröwis einen guten Eindruck über die momentane Situation in den Familien, immer mit dem Blick: "Brennt es irgendwo?"
Finanziert wird das Projekt aus Spendengeldern. "Man merkt, das spricht die Leute an, denn es geht um Kinder", betont Fröwis, denn der SKM Freiburg wirbt seit Jahren für projektbezogene Spenden und hat einen festen Stamm an Spender(inne)n. Der Sozialdienst unterstützt Angehörige aber nicht nur mit Carepaketen, sondern auch mit unkomplizierten Einzelfallhilfen für notwendige Anschaffungen wie Schulsachen oder ein neues Kinderbett. Auch beim Homeschooling wurde den Familien schnell und unbürokratisch geholfen: Mit Unterstützung des EDV-Mitarbeiters des SKM wurden für vier Kinder Laptops generalüberholt und auf den neusten technischen Stand gebracht.
Die 57-Jährige macht klar, dass Hausbesuche notwendig sind, weil mit den Familien meist kein digitaler Austausch funktioniere: "Das probiere ich gar nicht erst. Die meisten sind schlecht ausgestattet, haben zwar ein Smartphone, aber meistens keinen Laptop zu Hause." Dazu kommt, dass vor allem die jungen Mütter Probleme mit der Einhaltung von Terminen haben: "Da ist einfach zu viel los in den Familien." Deswegen muss Fröwis vor jedem Termin Erinnerungen per E-Mail verschicken: "Die Frauen haben genug mit ihrem normalen Alltag zu tun, dass das alles läuft. Das zu verstehen war für mich am Anfang schwer, aber es ist so. Natürlich nicht bei allen, aber es ist schon schwierig."
Inhaftierung ist ein Tabu
Die Sozialarbeiterin unterstützt die Familien vor allem im Umgang mit Behörden oder gibt Hilfestellung bei Fragen wie zum Beispiel "Wie kann ich über die Inhaftierung meines Partners sprechen?". Generell sieht Fröwis, dass Angehörige von Straffälligen einen enormen Beratungsbedarf haben. Die Coronapandemie habe dieses Problem verschärft: "Inhaftierung ist einfach ein Tabuthema in unserer Gesellschaft. Das spüren die Frauen auch, das heißt, sie sind sehr zurückhaltend mit Informationen, gehen mit ihrer Situation nicht nach außen - sind wirklich alleine. Da merke ich, da ist ein riesiger Bedarf." Deswegen berät Fröwis auch während der Coronapandemie weiterhin, telefonisch oder bei Hausbesuchen.
"Ohne SKM gäbe es nur das Jobcenter, aber da ist es nicht so, dass man sich aufgefangen fühlt. Ich hatte einfach immer Glück, also mit Frau Fröwis. Sie hat eine so fröhliche und liebevolle Art. E-Mails austauschen, anrufen - ich zögere jetzt nicht", erzählt eine der Mütter, die der SKM seit Oktober 2020 betreut. Der Vater ihrer Kinder, die zwei und fünf Jahre sind, war bis Mai 2021 in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Freiburg in Untersuchungshaft. Die Frau, die lieber anonym bleiben möchte, weiß noch genau wie schwer die erste Zeit war: "Am Anfang hat mein Sohn viel von Papa gesprochen und Bilder gemalt, die nicht an mich gingen, sondern an Papa." Monika Fröwis beriet die junge Mutter, wie sie mit ihrem älteren Sohn über die Inhaftierung seines Vaters sprechen kann. Der SKM half der Familie aber nicht nur beim Umgang mit Straffälligkeit, sondern auch finanziell: Als sie ein neues Kinderbrett brauchten, beteiligte sich der Sozialverband. Dieses Beispiel zeigt deutlich, wie wichtig eine konstante und persönliche Betreuung für Angehörige ist. Denn gerade die Anfangzeit ist schwer, weiß Monika Fröwis: "Wenn‘s noch ganz frisch ist, dann sind die Frauen wirklich unter Schock."
Auch andere Sozialarbeiter(innen) halten den Kontakt zu den betroffenen Familien. "Viele Angehörige werden oftmals aus Angst heraus von der Gesellschaft geächtet", betont Barbara Welle, Sozialpädagogin und Familientherapeutin des Vereins "Cocon". Die Freiburgerin betreut Familien von Straffälligen mit dem Ziel, die Angehörigen bei zwischenmenschlichen Problemen, finanziellen Angelegenheiten oder Behördengängen zu unterstützen - während der Coronapandemie natürlich alles sehr reduziert. Normalerweise besucht sie die JVA Freiburg für acht bis zehn Stunden wöchentlich, spricht mit den Häftlingen und den Angehörigen. Diese Arbeit musste bis September 2021 vollständig ruhen. Auch sie beobachtet, dass Straffälligkeit weiterhin ein Tabuthema in unserer Gesellschaft ist: "Natürlich gäbe es auch interessierte Reaktionen, wenn Frauen den Mut finden, die Inhaftierung ihres Partners öffentlich zu machen." Allgemein fehle es aber oft an Sensibilisierung in der Gesellschaft.
Während Corona besteht mehr Beratungsbedarf
Seit dem Beginn der Corona-Zeit berät Fröwis mehr Familien als sonst. Sie vermutet, dass die Angehörigen in Zeiten von Kontaktbeschränkungen mehr Sozialdienste in Anspruch nehmen. Engen Kontakt hat sie vor allem mit Familien, bei denen es einen akuten Bedarf gibt. Dies sind in Freiburg derzeit sieben. Manche Betroffene betreut die Sozialarbeiterin nur ein paarmal, manche über mehrere Jahre.
Die Schnittstelle zu den Angehörigen ist der Sozialdienst der JVA Freiburg, der über die Familiensituation der Häftlinge informiert ist. Er vermittelt dem SKM bei Bedarf den Kontakt zu den betroffenen Angehörigen. Oftmals entsteht aber auch ein Austausch, weil die Inhaftierten sich die sozialen Angebote untereinander empfehlen. Durch die enge Zusammenarbeit von Sozialdienst und SKM konnte auch während der Coronapandemie die Verbindung zu den Gefängnisinsassen bestehen bleiben. Dies ist wichtig, denn Ehrenamtliche oder externe Sozialarbeiter(innen) durften die JVA Freiburg bis Ende des Sommers 2021 nicht betreten.
Auch die Angehörigen durften nicht in die Haftanstalt - von Oktober 2020 bis März 2021 war kein persönliches Zusammensein erlaubt. Seit März stehen die Angehörigen von Straffälligen monatlich vor der Entscheidung: zwei Besuche per Videokonferenz oder ein physischer Besuch. Laut Jürgen Friese, Geschäftsführender Sozialarbeiter der JVA Freiburg, aber nur mit Trennscheibe und ohne jeglichen physischen Kontakt. Angebote, die sich nur an Väter und ihre Kinder richten, mussten vollständig eingefroren werden. Dazu gehört zum Beispiel der "Vater-Kind-Besuch": Bei diesen Treffen verbringen die Kinder bei Apfelschorle und Brezeln Zeit mit ihrem Vater. Durch Angebote wie diese kann die Vater-Kind-Beziehung gestärkt werden. Von diesen Einschränkungen waren allein in Freiburg zum Stichtag 1. März 2021 rund 250 Kinder unter 18 Jahren betroffen. Friese geht davon aus, dass jeder dritte Gefangene Kinder unter 18 Jahren hat.
Inzwischen sind viele Angebote der Straffälligenhilfe in Freiburg wieder möglich. In der JVA dürfen ehrenamtliche Betreuer(innen) wieder zu Besuch kommen und Gruppenangebote sind vereinzelt möglich. Alles scheint wieder zu funktionieren, auch wenn laut Jürgen Friese "alles kompliziert und im täglichen Wandel" ist. Mit den wechselnden Bedingungen hat sich inzwischen auch Monika Fröwis arrangiert. Seit August organisiert sie wieder Ausflüge: "Es hat den Familien viel Spaß gemacht, endlich wieder etwas zu unternehmen." Trotz der Freude: Ausflüge in den Freizeitpark oder die Therme sind durch Online-Reservierung und 3G-Nachweis aufwendig und zeitintensiv. Für den Herbst und Winter hat die Sozialarbeiterin ein Hybrid-Modell geplant: Sie wird abwechselnd Corona-Carepakete ausliefern und Ausflüge anbieten.
Die Pandemie hat allen Beteiligten gezeigt, dass vor allem junge Mütter und ihre Kinder einen erhöhten Betreuungs- und Beratungsbedarf hatten, der nicht durch rein digitale Angebote hätte abgedeckt werden können.
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