Wenn Krankenhäuser und Praxen schließen, was wird aus der Daseinsvorsorge?
Gesundheitliche Daseinsvorsorge, der Begriff klingt abstrakt, doch er beschreibt ganz praktische Anforderungen an die flächendeckende medizinische und pflegerische Versorgung. Gerade in ländlichen Regionen sind die Menschen heute sehr verunsichert. Praxissterben, Facharztmangel und Krankenhausschließungen führen dazu, dass sie befürchten, von der wohnortnahen Gesundheitsversorgung abgehängt zu werden. Die demografische Entwicklung ist die Triebfeder für diese Auswirkungen. Dabei haben alle Bürger(innen) einen Anspruch auf gleichwertige Lebensverhältnisse, unabhängig davon, ob sie auf dem Land oder in einem Ballungsgebiet leben.
Besonders betroffen sind ältere, mehrfach erkrankte oder in ihrer Mobilität eingeschränkte Menschen. Meiden sie den Weg zur nächsten Arztpraxis oder zum Krankenhaus, weil er ihnen zu weit ist, dann drohen zusätzliche gesundheitliche Schäden. Doch auch jungen Familien ist es wichtig, eine gute gesundheitliche Versorgung in erreichbarer Nähe zu haben. Gesundheitseinrichtungen sind ein wichtiger Teil der Infrastruktur.
Neben der Nähe kommt auch der regionalen Vernetzung eine immer wichtigere Rolle zu. Patient(inn)en wünschen sich kurze Wege und dass Arztpraxen, Pflege, Reha und Krankenhaus Hand in Hand arbeiten. Das ist bei der Versorgung von pflegebedürftigen oder demenziell erkrankten Menschen besonders wichtig. Die katholischen Träger haben dies schon lange erkannt. So sind viele von ihnen caritative Komplexleistungsträger, die neben Krankenhäusern und Reha-Einrichtungen auch Pflegeheime oder medizinische Versorgungszentren unterhalten.
Kliniken bieten ganzheitliche Diagnostik
Damit eine enge Vernetzung und reibungslose Übergänge nicht die Ausnahme bleiben, sondern zur Regel werden, ist noch viel zu tun. Notwendig ist, dass Behandlungsprozesse über Sektorgrenzen wie ambulant und stationär hinweg gedacht und durchgeführt werden. Zudem sind die Versorgungsstrukturen am Patientenbedarf orientiert und aufeinander abgestimmt zu planen. Heute ist die Realität leider noch eine andere. So orientiert sich die vertragsärztliche Bedarfsplanung vielerorts nicht an dem konkreten Versorgungsbedarf der Bevölkerung. Auch wird bei der Vergütung von ambulanten Leistungen im Krankenhaus nicht berücksichtigt, dass Kliniken aufgrund ihrer multiprofessionellen Teams und des interdisziplinären Leistungsangebots höhere Kosten haben.
Gerade diese multiprofessionelle und interdisziplinäre Arbeitsweise macht Krankenhäuser jedoch zu einem idealen Ort für eine sektorenübergreifende Versorgung. Sie bieten eine ganzheitliche Diagnostik und eine Versorgung der kurzen Wege. Auch deshalb suchen Patient(inn)en selbst bei ambulant behandelbaren Notfällen allzu oft direkt ein Krankenhaus auf. Daher ist es sinnvoll, die Anlaufstellen für die ambulante Notfallversorgung generell unter dem Dach der Krankenhäuser anzusiedeln. Kontraproduktiv wäre jedoch, gleichzeitig die Zahl der Klinikstandorte, an denen ambulante Notfallversorgung stattfindet, deutlich zu reduzieren. Das würde wiederum zu längeren Anfahrtswegen führen und könnte so die Akzeptanz dieses Angebots gefährden. Daher sollte dieser falsche Ansatz im Rahmen des Konzepts für "Integrierte Notfallzentren" (INZ) nicht weiterverfolgt werden.
Unabhängig von der Notfallversorgung wird die Zahl von Patient(inn)en mit ambulantem Behandlungsbedarf künftig weiter steigen. Dies liegt an der Alterung unserer Gesellschaft. Hinzu kommt, dass dank des medizinischen Fortschritts künftig immer mehr Erkrankungen auch ambulant gut therapiert werden können. Doch ist schon heute absehbar, dass der Ausbau ambulanter Behandlungskapazitäten durch den niedergelassenen Bereich mit dieser Entwicklung nicht Schritt halten wird. Daher ist es zwingend not[1]wendig, dass Ärzte und Kliniken eng zusammenarbeiten, um die ambulante Versorgung zu sichern. Gerade in ländlichen Gebieten sollten die Krankenhäuser zudem langfristig planbar zur ambulanten ärztlichen Versorgung zugelassen werden.
Ein positives Beispiel dafür, wie mit Hilfe der Krankenhäuser eine sensible Versorgungslücke geschlossen werden kann, ist die Überleitungspflege. Für sie wurden noch kurz vor der Bundestagswahl die gesetzlichen Grundlagen geschaffen. Künftig dürfen Kliniken eine Überleitungspflege anbieten, wenn Patient(inn)en nach ihrer Krankenhausbehandlung nicht entlassen werden können, weil die Weiterversorgung nicht gesichert ist. Dies kann beispielsweise an einer längeren Wartezeit auf einen Heimplatz oder an einem fehlenden sozialen Umfeld liegen, das die Versorgung zu Hause ermöglichen könnte. Der Katholische Krankenhausverband Deutschlands (kkvd) hat sich seit vielen Jahren für eine solche Regelung starkgemacht, da katholische Kliniken häufig Patient(inn)en auf ihren Stationen behielten, bis die Anschlussversorgung geklärt war. Das führte immer wieder zu Streitigkeiten mit den Krankenkassen, die den Krankenhausaufenthalt beanstandeten und nicht bezahlten. Künftig dürfen Kliniken in solchen Fällen eine Überleitungspflege von bis zu zehn Tagen anbieten und dann auch abrechnen. Die Details zur Ausgestaltung der Regelung und ihrer Finanzierung werden gerade verhandelt.
Katholische Krankenhäuser als innovative Akteure in der Region
Das Modell der Zukunft wird die intelligente Vernetzung von Gesundheitsdienstleitern in einer Regio sein. In solchen regionalen Versorgungsnetzwerken stellen die Kliniken die stationäre und teilstationäre Versorgung sicher und unterstützen mit ambulanten Angeboten. Schon heute sind die katholischen Krankenhäuser in vielen Regionen als innovative und verlässliche Akteure fest verankert. Nicht zuletzt, da die große Mehrheit von ihnen in leistungsstarken Verbundstrukturen zusammenarbeitet, haben sie viel Erfahrung darin, wie Kooperation und Vernetzung gut funktionieren. Auch in der Pandemie hat enge Kooperation zwischen den örtlichen Kliniken bereits vielerorts gut funktioniert. Zudem ist Spezialisierung bei der Versorgung beispielsweise von Patient(inn)en mit Herzinfarkt, Schlaganfall oder Krebserkrankungen längst gelebter Alltag.
Es ist ein Gebot der Subsidiarität, dass die Krankenhäuser vor Ort eigenverantwortlich und partnerschaftlich darüber entscheiden, wie und mit welchen Schwerpunkten sie zum regionalen Versorgungsnetzwerk beitragen. Eine Hierarchisierung der Kliniken entlang der Versorgungsstufen wäre kontraproduktiv, da dies den Wettbewerb um Qualität und auch die Trägerviel falt vor Ort gefährden würde. Im Konflikt sind die Län[1]der gefragt, bei denen auch zukünftig die Letztverantwortung für die Sicherung der flächendeckenden Gesundheitsversorgung und der Krankenhausplanung liegen muss.
Digitalisierung verändert Arbeitsprozesse
Solche strukturellen Reformen erfordern selbstverständlich auch Veränderungen bei der Finanzierung. Für die Krankenhausvergütung heißt dies konkret, dass das Fallpauschalen-System künftig um eine pauschale Erstattung von notwendigen Vorhaltekosten für Personal und Infrastruktur ergänzt werden muss. Gerade in ländlichen Regionen mit niedrigen Bevölkerungs- und damit Patient(inn)enzahlen ist dies unausweichlich, um die ortsnahe Krankenhausversorgung zu gewährleisten.
Zudem kommt der Digitalisierung eine Schlüsselrolle zu. In der Praxis wird von der Telemedizin bis zur Robotik bereits vieles erprobt. Doch Arbeitsroutinen, in denen Hausärzt(inn)e(n), die sich zur Fallbesprechung per Videokonferenz direkt mit dem nächsten Krankenhaus austauschen, oder ein digitaler Arztbrief, der kurz vor der Krankenhausentlassung bereits beim Hausarzt eingeht, müssen jetzt schnell in der Regelversorgung ankommen. Durch eine digitale Vernetzung der Akteure im Versorgungsverbund können gerade schwierige Behandlungsprozesse vereinfacht und sicherer gemacht werden. Hinzu kommt, dass die jüngeren Patient(inn)en heute ganz selbstverständlich erwarten, dass die Kommunikation und der Austausch von Daten digital erfolgen. Daher wird der Ausbau der Digitalisierung im Gesundheitswesen in den nächsten Jahren von besonderer Bedeutung sein. Wichtig ist, dass dies Hand in Hand geht mit konsequenten Maßnahmen zum Datenschutz und der IT-Sicherheit, da nur so die Akzeptanz bei den Menschen gewährleistet wird.
Der Fachkräftemangel bleibt
Schließlich wird es aber auch in Zukunft ganz entscheidend auf den Faktor Mensch ankommen. Eine der größten Herausforderungen heute ist der Fachkräftemangel im Gesundheitswesen. Dies betrifft mit Blick auf die Krankenhäuser ganz besonders Pflegekräfte und Ärzt(inn)e(n), aber auch IT-Expert(inn)en, ohne die der Ausbau der Digitalisierung nicht gelingen wird.
Bei den Pflegekräften wurde mit der generalistischen Pflegeausbildung und den Maßnahmenpaketen der "Konzertierten Aktion Pflege" (KAP) ein wichtiger Anfang gemacht, auch wenn die Umsetzung der KAP noch an zahlreichen Punkten hakt. So müssen die Aus- und Weiterbildungsangebote sowie die Akademisierung weiter ausgebaut und gestärkt werden. Zudem ist es überfällig, Pflegefachkräften auch außerhalb von Modellprojekten zu erlauben, heilkundliche Tätigkeiten auszuüben. Die Politik und die Akteur(inn)e(n) im Gesundheitswesen haben also noch viel zu tun.
Steigende Privatverschuldung
Inklusive Gesundheitsversorgung für alle
Zu wenig Wohnraum – zu viel Konkurrenz
Verbesserungen für vulnerable Menschen
Gut fürs Klima: Kapital nachhaltig anlegen
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